Es ist allgemein bekannt, dass die Aktien der grossen Technologiekonzerne der Haupttreiber des derzeitigen Bullenmarktes sind. Mit einer derartig robusten Leistung scheint eine Diversifikation derzeit fast unnötig. Schliesslich hat der Technologiesektor-ETF (XLK) seit dem Markttief im November 2022 Kursgewinne von 41 Prozent erzielt und den S&P 500 um 35 Prozentpunkte geschlagen. 

Doch nichts steigt unbegrenzt, und da der Technologie- und der themenverwandte Kommunikationssektor etwa 40 Prozent des S&P 500 ausmachen und sich nahe der höchsten Bewertungen seit über zwei Jahrzehnten befinden, könnte Diversifikation keine schlechte Idee sein, so das Wirtschaftsmagazin «Barron's». In diesem Zusammenhang bringt die Zeitschrift Ölwerte ins Spiel.

Das mag erstaunen, denn diese Anlagen haben eine eher enttäuschende Leistung in diesem Jahr hinter sich - der Energiesektor ist im ersten halben Jahr nur um 8,7 Prozent gestiegen. Der S&P 500 avancierte um knapp 15 Prozent. Der Börsenwert des Energiesektors beträgt bescheidene 1,7 Milliarden Dollar. Das entspricht nur etwas mehr als die Hälfte von Nvidia, Apple oder Microsoft. Selbst die grösste Energiekomponente Exxon Mobil hat mit einem Börsenwert von 500 Milliarden Dollar einen relativ geringen Wert. Doch die Energiewerte aufgrund ihrer tiefen Bewertung als Randrisiko zu bezeichnen, wäre ein Fehler.

Öl als Anti-Tech-Trade

Ölwerte bieten zwar die Gelegenheit eines "Anti-Tech-Trade". Seit dem Markttief 2022 hat der Energiesektor des S&P 500 fast keine Korrelation zum Technologiesektor. Im Juni wechselte die Korrelation sogar in den negativen Bereich. Der Energiesektor stieg also, während Technologiewerte fielen und umgekehrt. Diese inverse Beziehung könnte besonders bei einem Platzen der derzeitigen KI-Technologieblase von Vorteil sein.

«Offensichtlich ist das Gewicht der Energie so gering, dass sie wenig dazu beitragen würden, den breiten Markt abzufedern. Aber für diejenigen, die damit spielen können, denken wir, lohnt es sich, einen Blick darauf zu werfen», schreibt ein Marktanalyst an der Wall-Street.

Und Energiewerte zeigen Anzeichen von Widerstandsfähigkeit. Ein Chart-Analyst weist darauf hin, dass der Energiesektor, gemessen am XLE-ETF, trotz eines Rückgangs von 10 Prozent vom April-Hoch bis zum Juni-Tief, seinen 200-Tage-Durchschnitt nahe 88 Dollar gehalten hat.

Dies bietet Anlegern, die sich vor weiteren Rückgängen fürchten, etwas Trost. Im Gegenzug würde ein Durchbrechen des Widerstands im Bereich von 91 bis 92 Dollar «darauf hindeuten, dass ein neuer Aufwärtstrend beginnt - mit dem Ziel zurück in den oberen 90er-Bereich».

XLE - Energy Select Sector SPDR Fund

Damit Energiewerte steigen, müssen aber mehr als nur technische Faktoren stimmen. Für den weiteren Kursverlauf des Sektors ist der Ölpreis entscheidend. West Texas Intermediate (WTI) Rohöl, der US-Benchmark, hat sich seit dem 4. Juni gut entwickelt.  Nach dem Erreichen eines Tiefs von 73,25 Dollar ist der Kurs um 10 Prozent auf 80,66 Dollar angestiegen. Analysten gehen von einer Fortführung der Rallye aus. Die Strategen der US-Bank J.P. Morgan weisen darauf hin, dass sie von einer nachhaltig starken Ölnachfrage ausgehen. 

Gemäss den Analysten arbeiten die Raffinerien derzeit mit voller Kapazität, während die seegestützten Ölexporte der OPEC ihr niedrigstes Niveau seit zwei Jahren erreicht haben. Falls die Analysten recht behalten, sollte der Brent-Rohöl-Preis, der europäische Benchmark, im dritten Quartal 2024 ein durchschnittliches Kursniveau von 84 Dollar erreichen. Dabei wären Höchststände von 90 Dollar im August oder September möglich.

Diese Rahmenbedingungen gäben dem Energiesektor des S&P 500 wie auch den Ölpreisen wichtigen Rückenwind. In diesem Umfeld, schreibt Barron’s, sollten besonders Coterra Energy, EOG Resources und Occidental Petroleum, ein Favorit von Warren Buffett, profitieren.

Exxon Mobil sticht besonders hervor

Analysten der UBS nannten den Energieriesen kürzlich die «beste Aktie, die man für die nächsten fünf Jahre besitzen kann». Ihre Begründung war relativ einfach: Exxon sollte in der Lage sein, seine Gewinne zu steigern und Kapital den Investoren zurückzuführen, selbst wenn die Ölpreise nicht weiter steigen. Dies ist auf die Stärke des Raffineriegeschäfts, 5 Milliarden Dollar an geplanten Kostensenkungen, neue Ölprojekte, welche die Gewinne um 4 Milliarden Dollar erhöhen könnten, eine starke Bilanz, die weiterhin Dividendenzahlungen und Aktienrückkäufe ermöglicht, und Investitionen in kohlenstoffarme Initiativen zurückzuführen. 

Die Summe dieser Faktoren könnte die Aktie auf 154 Dollar hieven, was einem Anstieg von 35 Prozent gegenüber einem aktuellen Wert von 114,41 Dollar entspricht. Und selbst dann würden die Aktien nur zu einem bescheidenen 10-fachen freien Cashflow gehandelt. Das entspricht dem historischen Durchschnitt der Aktie. 

Eine derartige Unterbewertung sei selten zu finden. Summa summarum führt der Technologiesektor zwar weiterhin den Markt an, aber Ölwerte bieten eine strategische und dabei noch günstige Diversifikationsmöglichkeit. Mit einem Investment in den Energiesektor können sich Investoren gegen mögliche Rückschläge im Technologiesektor schützen und gleichzeitig die einzigartigen Dynamiken des Energiemarktes nutzen.

(cash)