Die Inflationsrate ist wieder dort, wo die Schweizerische Nationalbank (SNB) sie gerne sieht: Zwischen null und zwei Prozent. Mit 0,6 Prozent per Oktober 2024 ist sie deutlich tiefer als im August 2022, als sie auf einen Hochstand von 3,5 Prozent gestiegen war.
Für das Gesamtjahr 2024 wird die Teuerungsrate voraussichtlich bei 1,2 Prozent liegen, so die Prognose der Nationalbank vom September. Ihr zufolge werden es 2025 rund 0,6 Prozent und 2026 zirka 0,7 Prozent sein. So betrachtet ist die Inflation wieder im Griff - wobei nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich die wirtschaftliche respektive geopolitische Lage ändert und die Prognosen durchkreuzt.
In diese weitgehend beruhigte Inflationssituation fällt eine These des britischen Analyseunternehmens Capital Economics: Es sei durchaus möglich, dass die Schweiz nächstes Jahr in eine Deflation gerate, heisst es in einer Publikation von Ende Oktober. Damit würde die Teuerungsrate unter null Prozent sinken, die Preise also fallen.
Die Einschätzung von Capital Economics geht auf eine Revision der hauseigenen Inflationsprognose zurück. Die Ökonomen gehen neu von 0,3 Prozent Teuerung im Jahr 2025 aus. Zuvor rechneten sie mit einer Inflationsrate von 0,8 Prozent.
Die neue Prognose unterliegt Abwärtsrisiken, wie in der Publikation dargestellt wird. Erstens würde das Öffnen von Schleusen in der Ölproduktion zu sinkenden Erdölpreisen führen. Als Faustregel gelte, dass ein Rückgang der Ölpreise um 10 Prozent die Inflationsrate um 0,2 Prozentpunkte drücke.
Weitere Aufwertung des Franken könnte Inflation auf unter null Prozent drücken
Zweitens dürften weitere und stärker als erwartet ausfallende SNB-Zinssenkungen den hypothekarischen Referenzzinssatz mittelbar so weit senken, dass Mieter Anspruch auf eine Mietpreissenkung haben. Da Mieten im Landesindex der Konsumentenpreise stark gewichtet sind, würde der Index entsprechend kräftig gedämpft.
Drittens: Der starke Franken. Eine weitere Aufwertung der Schweizer Währung um fünf Prozent könnte die Inflation auf unter null Prozent drücken. Dies, da die importierte Inflation weiter abnimmt. Sie liegt bereits heute bei minus 3,1 Prozent, während die Inflationsrate der Inlandgüter 1,8 Prozent beträgt.
«Auf lange Sicht dürfte der Franken weiter erstarken, was für eine tiefere Inflation spricht», bestätigt Thomas Heller, Anlagechef der Frankfurter Bankgesellschaft. «Ob sie unter null Prozent fällt, ist aber fraglich.»
Heller will den Begriff Deflation vorsichtig eingesetzt sehen. Deflation bezeichne ein über längere Zeit spürbar sinkendes Preisniveau. Doch erstens, so Heller, habe die Schweiz in den vergangenen Jahren mehrfach kurzzeitig negative Inflationsraten gesehen - «sie blieben ohne Folgen für die Konjunktur.» Phasen mit negativen Teuerungsraten gab es zuletzt 2020 und 2021, den ersten Pandemiejahren, sowie zwischen 2011 und 2016.
Zweitens, erklärt Heller: «Sinkende Preise mancher Importgüter aufgrund eines starken Franken sind nicht gleichzusetzen mit einem flächendeckenden Preisniveaurückgang.» Deshalb würden die üblicherweise mit einer Deflation verbundenen Konjunkturrisiken kaum eintreffen.
Sinkende Preise, wie sie in deflationären Phasen beobachtbar sind, klingen aus Konsumentensicht zunächst gut: Güter werden günstiger, das Portemonnaie wird entlastet. Gesamtwirtschaftlich ist eine Deflation jedoch mit der Sorge verbunden, die Nachfrage werde zurückgehen, der Konsum sich verlangsamen, die Konjunktur sich eintrüben. Denn bei fallenden Preisen werden, so das Kalkül, Ausgaben auf die Zukunft vertagt - es könnte ja noch günstiger werden.
Die Experten von Capital Economics räumen zwar ein, es sei nicht mit einer anhaltenden Deflation wie in den 2010er-Jahren zu rechnen - auch wenn die Inflationsrate wieder unter null Prozent fallen sollte.
Allerdings werde eine sich abzeichnende Deflation die Nationalbank in erhöhte Wachsamkeit versetzen. Capital Economics geht davon aus, dass die SNB die Frankenstärke mit Interventionen am Devisenmarkt angehen wird. Klassischerweise kaufen die Schweizer Währungshüter Fremdwährungen, um den Franken zu schwächen. Diese Option hielt der inzwischen zurückgetretene SNB-Präsident Thomas Jordan beim Zinsentscheid vom September offen. Er sagte: «Bei Bedarf sind wir weiterhin bereit, am Devisenmarkt aktiv zu sein.»
Thomas Jordans Nachfolger Martin Schlegel bekräftigte vergangene Woche: «Der Schweizer Franken ist ein sicherer Hafen, der typischerweise nachgefragt wird, wenn es Unsicherheiten in der Welt gibt.» Die SNB habe gesagt, dass sie bereit sei, an den Devisenmärkten zu intervenieren, antwortete der neue SNB-Präsident mit Blick auf die Frage, wie die Notenbank reagieren werde, sollten die US-Wahlen eine Flucht in den Franken auslösen - und dessen Wert hochtreiben.