cash.ch: Hat Donald Trump den sogenannten «American Exceptionalism» zerstört?
Mabrouk Chetouane: Nicht vollständig, aber er wurde in gewissem Masse beschädigt. Einer der Schlüsselfaktoren der US-Exzeptionalität war die Klarheit und Sichtbarkeit der makroökonomischen und fiskalpolitischen Strategie, insbesondere unter der Regierung von Joe Biden in den letzten vier Jahren. Während dieser Zeit war die Rolle der Federal Reserve klar definiert. Jetzt stellen Investoren dieses Alleinstellungsmerkmal infrage, da die Unsicherheit über die politische Ausrichtung das wirtschaftliche Momentum bedroht. Trumps disruptive Herangehensweise und die Geschwindigkeit, mit der er seine Politik umsetzt, untergraben das wirtschaftliche Erbe, das er selbst hinterlassen hat.
Erwarten Sie demnach eine deutliche Verlangsamung der US-Wirtschaft?
Wir prognostizieren keine Rezession. Die US-Wirtschaft befand sich jedoch auf einem Pfad anhaltenden hohen Wachstums, und solche hohen Erwartungen sind leicht zu enttäuschen. Investoren, Haushalte und Unternehmen benötigen Stabilität, um langfristige finanzielle Entscheidungen zu treffen. Donald Trump bietet diese nicht. Das Problem ist nicht unbedingt die Implementierung seiner Politik, sondern vielmehr die Geschwindigkeit, mit der er sie ankündigt. Trump muss das Tempo drosseln. Diese rasante Geschwindigkeit schafft Unsicherheit und erschwert es Unternehmen und Investoren, ihre Strategien anzupassen. Das Ergebnis ist wirtschaftliche Störung.
Könnte diese Volatilität und Unvorhersehbarkeit das Vertrauen in den US-Dollar als Weltreservewährung untergraben?
Das Problem ist, dass Trump ständig die Grenzen austestet – ähnlich wie ein Teenager, der seine Eltern herausfordert. Er tut dies in mehreren Bereichen und mit einer beispiellosen Frequenz. Der entscheidende Faktor ist hier die Zeit. Wenn Trump seinen Kurs bald mässigt, werden die Schäden minimal bleiben. Die US-Wirtschaft wird sich erholen, und der Dollar wird seinen Status als weltweit führende Reservewährung behalten. Sollte er jedoch diesen Kurs über einen längeren Zeitraum fortsetzen, wird die Glaubwürdigkeit der US-Regierung erodieren. Dies könnte strukturelle Schäden für den Dollar bedeuten und seine Attraktivität als sicherer Hafen verringern. Letztendlich hängt alles davon ab, wie schnell die Stabilität wiederhergestellt wird.
Die jüngsten Prognosen der Fed weisen auf höhere Zinsen über einen längeren Zeitraum und geringeres Wachstum hin. Einige Investoren fürchten bereits eine Stagflation. Wie sehen Sie das?
Es ist zu früh, um von Stagflation zu sprechen. Stagflation ist durch niedriges Wachstum, hohe Inflation und steigende Arbeitslosigkeit gekennzeichnet. Während die ersten beiden Faktoren diskutierbar sind, ist die Arbeitslosigkeit weder in den Prognosen der Fed noch in den makroökonomischen Daten signifikant gestiegen. Die aktuelle Abschwächung der US-Wirtschaft im ersten und zweiten Quartal dieses Jahres ist Teil eines normalen Konjunkturzyklus. Sollte sich jedoch das Risiko einer Stagflation materialisieren, würde die Fed wahrscheinlich mit Zinssenkungen reagieren, um die Beschäftigungsdynamik aufrechtzuerhalten. Die derzeitige Haltung der Fed ist lediglich ein Signal zur Verlangsamung und zur Evaluierung der Lage, bevor weitere Zinsschritte unternommen werden. Jegliche Spekulationen darüber hinaus sind verfrüht.
Ja oder Nein: Wird die Fed in naher Zukunft zur quantitativen Lockerung zurückkehren?
Nein, nicht sofort. Aber möglicherweise in den kommenden Jahren – langfristig ist alles möglich.
Welche Auswirkungen hat das aktuelle Umfeld auf verschiedene Anlageklassen wie Aktien und Anleihen?
Die zentrale Frage ist, ob Investoren US-Aktien trotz der jüngsten Underperformance in ihren Portfolios halten oder ihre Positionen reduzieren sollten. Unserer Ansicht nach ist es die beste Strategie, die aktuellen Aktienpositionen beizubehalten. Ein Verkauf würde es extrem schwierig machen, den Markt zum richtigen Zeitpunkt wieder zu betreten. Angesichts der Unsicherheit über die US-Politik ist es schwierig, eine klare Prognose für die Zukunft zu treffen. Europäische Aktien hingegen könnten Aufwärtspotenzial bieten, da sie Raum für positive Überraschungen haben. Auch US-Anleihen bieten weiterhin Chancen, da das langsamere Wachstum tendenziell zu leicht niedrigeren langfristigen Zinsen führen sollte. Was europäische Schuldtitel betrifft, müssen Investoren vorsichtig sein – ein stärkeres Wachstum könnte zu höheren Zinsen und möglicherweise steigender Inflation führen. Allerdings bedeuten höhere Zinsen nicht zwangsläufig ein höheres Staatsrisiko. Die Spanne zwischen deutschen Bundesanleihen und anderen europäischen Staatsanleihen bleibt stabil, und Europa hat die Möglichkeiten, darauf zu reagieren, falls sich diese Dynamik erheblich ändert.
Das deutsche Konjunkturpaket: Kann es Europa endlich aus seinem Niedrigwachstumsumfeld befreien?
Ja! Erstens wird es sich positiv auf Deutschland auswirken, da fiskalische Stimuli besonders effektiv in wirtschaftlichen Abschwungphasen sind. Das Timing ist ideal. Zweitens wird es den Rest Europas begünstigen. Einige hatten Bedenken, dass erhöhte deutsche Verteidigungsausgaben vor allem US-amerikanische oder britische Rüstungskonzerne begünstigen und somit der wirtschaftliche Impuls in Europa begrenzt bleibt. Doch Deutschland hat einen pragmatischen Ansatz gewählt, der europäische Fertigung priorisiert und bestehende Produktionsstätten umfunktioniert. Ein Beispiel ist Volkswagen: Die Werke des Konzerns, die aufgrund von Gegenwind in der Automobilbranche herausgefordert wurden, werden für alternative Nutzungen in Betracht gezogen. Meiner Meinung nach spielt Deutschland eine führende Rolle dabei, sowohl die eigene als auch die europäische Wirtschaft aus der Stagnation zu führen.
Dieses Wohlstandswachstum wird dem Multiplikatoreffekt zugeschrieben. Warum ist es vorzuziehen, in Verteidigung zu investieren, statt den Konsum zu unterstützen?
Schauen wir uns die Strategie der vorherigen US-Regierung an. Ihre fiskalpolitischen Initiativen – der Inflation Reduction Act (IRA), der CHIPS Act und das Infrastrukturgesetz – waren nicht speziell auf Verteidigung ausgerichtet. Vielmehr zielten sie darauf ab, das langfristige Wachstumspotenzial durch verstärkte Investitionen im Inland zu steigern. Die wichtigste Erkenntnis daraus ist, dass Investitionen nachhaltiges Wachstum antreiben, während Konsum das nicht tut. Die Förderung des Konsums führt in der Regel zu einem Multiplikatoreffekt von weniger als eins, was bedeutet, dass der wirtschaftliche Einfluss begrenzt ist. Frankreich ist ein Beispiel dafür: Trotz eines Haushaltsdefizits von 5,5 Prozent, das zur Stützung des Konsums verwendet wurde, bleibt das Wirtschaftswachstum relativ schwach. Deutschlands Ansatz, der Verteidigungs- und Infrastrukturinvestitionen priorisiert, ist genau die Art von Fiskalpolitik, die langfristiges Wirtschaftswachstum generieren kann.
Mabrouk Chetouane verfügt über knapp 20 Jahre Erfahrung im Bereich makroökonomischer Prognosen. Er wechselte Anfang 2022 von BFT Investment Managers, wo er Leiter für Forschung und Strategie war, zu Natixis IM. Davor war er bei IHS Global Insight als Principal Economist tätig. Ausserdem war er sechs Jahre bei der Banque de France tätig. Er hat einen Doktortitel in Wirtschaftswissenschaften der Universität Paris-Dauphine und einen Master-Abschluss der ENSAE in Wirtschaftswissenschaften und Statistikmodellierung sowie einen weiteren Master-Abschluss in quantitativer Makroökonomie der Universität Paris/Pantheon-Sorbonne.
Das Interview fand im Rahmen einer Medienreise statt, die von Natixis IM organisiert wurde.
4 Kommentare
Die "fiskalpolitischen Initiativen" erzeugten mit einem Dollar Schulden zwanzig Cent Wachstum.
Deswegen sind Zinszahlungen inzwischen der größte Haushaltsposten der USA.
In Deutschland wäre das ein Fall für den seligen Peter Zwegat.
Der Merz mimt den Biden, dabei ist er noch nicht einmal Kanzler und das Paket ist auch noch nicht durchs Parlament.
(Inzwischen leider doch.)
Natürlich ist der Staat kein Verbraucher aber einfach das Limit zu erhöhen wenn die Kreditkarte ausgereizt ist zeugt nicht gerade von besonderen Fähigkeiten.
In der Regel macht Deutschland dann später was die Vereinigten Staaten von Amerika erfolgreich vorgemacht haben.
Wikipedia weiß:
"Das Triffin-Dilemma ist ein wirtschaftliches Paradoxon, das sich aus der Rolle einer Leitwährung im internationalen Finanzsystem ergibt. Es wurde von dem belgischen Wirtschaftswissenschaftler Robert Triffin angesichts der damaligen Diskussionen über das Bretton-Woods-System (1944–1973) beschrieben. Das Dilemma beinhaltet zwei widerstrebende Anforderungen an eine Reservewährung. Um als weltweite Reservewährung dienen zu können, muss das ausgebende Land das Ausland ausreichend mit seinen Zahlungsmitteln versorgen, was mit Hilfe einer negativen Handelsbilanz und entsprechenden Zahlungsbilanzdefiziten möglich ist. Die Defizite erzeugen jedoch einen Vertrauensverlust in die Währung und im Fall von Bretton-Woods in die damals nicht mehr aufrechtzuerhaltende Zusage der Golddeckung des US-Dollars.
Umgekehrt kann eine erfolgreiche Bekämpfung der Zahlungsbilanzdefizite dazu führen, dass die Bedeutung der globalen Reservewährung geschwächt wird."
Julian Wheeler 18. Februar 2025 um 10:13 Uhr
"Trump spielt eine Form von hyperaggressivem Poker, wie sie erstmals in den 1980er Jahren von Stu Ungar (der die World Series dreimal gewann) eingeführt wurde. Man erhöht und erhöht die ganze Zeit, manchmal mit einer guten Hand und manchmal ist es ein Bluff. Der Punkt ist, dass man den Gegner ständig unter Druck setzt, den richtigen Call zu machen … und das tun sie meistens nicht."
gefunden auf morningporridge