Zwar hat sich die Bundesregierung nach Reuters-Informationen mittlerweile entschieden, die vom Heinrich-Hertz-Institut (HHI) in Zusammenarbeit mit dem Robert-Koch-Institut (RKI) entwickelte App zu nutzen. Diese soll auf der Plattform der Initiative Pepp-PT aufsetzen. Aber damit sind keineswegs alle Probleme geklärt.
Machtkampf in der Bundesregierung
Auch in der Bundesregierung ging es lange hin und her. Die Entscheidung fiel Regierungskreisen zufolge erst am Freitag. Demnach kam es nach Prüfung mehrerer Varianten zu der Vereinbarung, dass die HHI/RKI-App genutzt werden soll. Dem war hinter den Kulissen ein Ringen zwischen Kanzleramt, Gesundheits- und Innenministerium vorangegangen.
Während das Innenministerium - über das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik - für die technische Prüfung zuständig ist, fühlt sich das Gesundheitsministerium zuständig, weil das RKI ihm unterstellt ist.
Zentrale oder dezentrale Datenspeicherung
Ein entscheidender Streitpunkt war die Frage, wo die Daten gespeichert werden. Während Pepp-PT in Deutschland eine zentrale Lösung verfolgt - also einen Abgleich der Daten über einen zentral verwalteten Server, gewann zuletzt das dezentrale Projekt DP-3T Anhänger, bei dem deutlich mehr Daten übermittelt werden müssen, weil der Abgleich der Informationen direkt vom Smartphone vorgenommen wird. Zuletzt zog sich das Cispa-Helmholtz-Zentrum für IT-Sicherheit aus der Pepp-PT-Initiative von 300 Wissenschaftlern aus acht Ländern zurück.
Das Gesundheitsministerium argumentiert, dass eine zentrale Lösung wichtig sei, damit das RKI und lokale Gesundheitsämter Zugang zu den Daten hätten. "Es ist die Frage, wer diese pseudonymisierten Daten zur Verfügung haben soll: eher der Handybetreiber oder eher eine staatliche Stelle, die das durch Datenschutz und Datensicherheit absichert", sagt ein Sprecher des Ministeriums.
Anreizsystem für die Benutzung?
In der Regierung wird betont, dass auch der Beauftragte für Datenschutz gegen die anonymisierte Nutzung bei einem zentralen Ansatz keine Bedenken habe. Dagegen argumentiert der SPD-Digitalexperte Jens Zimmermann: "Wenn wir den von der Regierung bevorzugten zentralen Ansatz verfolgen, haben wir das Problem, dass viele Bürger die App aus Datenschutzbedenken nicht nutzen werden." Datenschutzexpertin Claudia Milbradt von der Rechtsanwaltskanzlei Clifford Chance sagt: "Im Prinzip ist die App ein elektronischer Mundschutz und nicht mehr. Die Frage stellt sich, wer bereit ist mitzumachen und dann auch noch angibt, wenn er erkrankt ist. Vielleicht benötigen wir da ein Anreizsystem."
Europäische Lösung oder nationaler Alleingang
Entscheidend für den Erfolg ist, dass möglichst viele Bürger die App nutzen. Ideal wäre es, wenn eine App grenzüberschreitend in allen EU-Staaten funktionieren und mit dortigen Angeboten zusammenpassen würde. Pepp-PT will deswegen als Plattform letztlich beide Speichervarianten ermöglichen. Das Problem: Verschiedene EU-Regierungen planen oder haben bereits eigene Apps - die Niederländer etwa mit einem dezentralen Ansatz.
Druck auf Apple
Hinzu kommt das Problem, dass die Regierungen auf die Zusammenarbeit mit den US-Technologiegiganten Apple und Google angewiesen sind, die mehr als 90 Prozent aller Smartphones mit ihren Betriebssystemen ausstatten. Apple weigere sich aber anders als Google, für die RKI-App die dafür nötige Schnittstelle zu öffnen, heisst es im Gesundheitsministerium. Nur dann wäre es möglich, dass die Anwendung im Hintergrund Kontakte erfasst, ohne dass ständig die Bluetooth-Technik andere Apps blockiert und zudem den Akku leert.
"Nun müssen wir politisch Druck machen, dass Apple seine Schnittstelle öffnet, dass die geplante App auch auf dem iOS-System funktionieren kann", fordert der digitalpolitische Sprecher der Union, Tankred Schipanski. Auch das Kanzleramt will sich in die Gespräche mit dem US-Konzern einschalten. Zuletzt führte bereits EU-Industriekommissar Thierry Breton ein Gespräch mit Apple-Chef Tim Cook. "Solange Apple die Richtlinien zur Nutzung von Bluetooth Low Energy durch Corona-Apps nicht ändert, werden Anwendungen auf Grundlage von Pepp-PT nur eingeschränkt funktionieren", sagt Stefan Gross-Selbeck von der Beratungsgesellschaft Boston Consulting.
Wann kommt die App?
Ende der vergangenen Woche hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) angedeutet, dass die App möglicherweise eher noch vier statt zwei Wochen auf sich warten lasse. Die Berliner Informatikprofessorin Claudia Müller-Birn sagt: "Die Zeit drängt, und wir müssen uns von der Idee verabschieden, eine Software zu entwickeln, die von Anfang an perfekt funktioniert. Daher sollten wir den Einsatz einer solchen Software wissenschaftlich begleiten und die Nachjustierungen aktiv unterstützen. Die Verwendung von Open-Source ist eine zentrale Voraussetzung für die gebotene Transparenz."
(Reuters)