Nein, Angst muss man um Lindt & Sprüngli nicht haben, wenn es am Samstag zum Stabwechsel kommen wird. Nach über 23 Jahren übergibt Lindt-Urgestein Ernst Tanner den CEO-Posten an den bisherigen Finanzchef Dieter Weisskopf. Tanner behält dabei das Verwaltungsratspräsidium.
Angst deshalb nicht, weil Weisskopf als langjähriger Finanzchef und Verantwortlicher Produktion den Schokoladenhersteller aus dem Effeff kennt. An den Pressekonferenzen hatte man bisweilen auch den Eindruck, Finanzchef Weisskopf wisse auf Anhieb besser Bescheid über die Zahlen des Unternehmens als CEO Tanner selber.
Angst auch deshalb nicht, weil Tanner stets betont hatte, nach einem Rückzug als CEO ein sehr aktiver Verwaltungsratspräsident zu bleiben. "Ernst Tanner wird weiterhin extrem stark präsent sein", prophezeit auch Jean-Philippe Baertschy, Analyst bei der Bank Vontobel. Das geht soweit, dass einige Beobachter davon ausgehen, bei Lindt bleibe trotz des CEO-Wechsels alles beim Alten.
Tanners Machtposition
Ist das so? Tanners beängstigende Machtfülle - er hatte 22 Jahre das Doppelmandat CEO und VR-Präsident, ist zweitgrösster Einzelaktionär des Unternehmens und hat den Leistungsausweis, dass unter ihm der Gewinn verzehnfacht wurde - kann tatsächlich zur Annahme verleiten, dass er nur auf dem Papier kürzer tritt. Er und Weisskopf kontrollieren über Stiftungen von Lindt auch fast einen Viertel der Stimmen am Lindt-Kapital.
Doch der 61-jährige Weisskopf, der eigentlich nicht gerne im Vordergrund steht, könnte sich in seiner neuen Rolle emanzipieren. Vor 21 Jahren trat der ehemalige Angestellte des Schweizerischen Bankvereins als Finanzchef in das Top-Management von Lindt ein, seit 2004 ist er Leiter Produktion. Der ursprünglich aus Basel stammende Weisskopf, der verheiratet und Vater von zwei Kindern ist, hat die Erfolgstory von Lindt wesentlich mitgeschrieben. Bei Analysten geniesst er hohes Ansehen.
Low-Profile-Weisskopf trug auch dazu bei, dass sich der Umsatz seit 1995 vervierfacht hat. Kurse von Namenaktie und Partizipationschein stiegen in diesem Zeitraum um etwa das 25fache. Was dazu führte, dass die Namenaktie von Lindt mit einem Rekordstand von 76'000 Franken, erreicht im letzten Dezember, eine der schwersten im auf der ganzen Welt ist.
Lindt-Aktienkurs in den letzten Monaten gefallen
Auffallend ist, dass der Aktienkurs von Lindt seit der Ankündigung des CEO-Wechsels Anfang Juni fast kontinuierlich abgebröckelt ist, was für die Lindt-Papiere eine ungewöhnlich lange Zeit darstellt. Der Kurs liegt heute 10 Prozent tiefer. Brandet da Weisskopf erstes Misstrauen von Investorenseite entgegen?
Nein, sagen Marktbeobachter. Der Kursverlust habe vielmehr mit dem US-Markt zu tun. Dort schwächelt der Schokolademarkt in diesem Jahr wie schon 2015. Dazu kommt, dass Lindt das Produkteangebot bei der 2014 übernommenen US-Firma Russell Stover gestrafft hat, was zu einem Umsatzrückgang führte.
Dennoch bleibt der US-Markt für Neu-CEO Weisskopf die grösste Herausforderung. Dort ist Lindt seit der Grossübernahme des Pralinenspezialisten Russel Stover mit einem Marktanteil von fast 10 Prozent die Nummer drei auf dem Schoko-Markt, bei den Premiumschokoladen ist Lindt die Nummer Eins. Das nordamerikanische Geschäft, mit rund 40 Prozent Umsatzanteil der mit Abstand wichtigste Markt von Lindt, wird in den nächsten drei bis vier Jahren um rund einen Viertel zulegen.
Die Profitabilität dieses Marktes liegt bei Lindt aber deutlich hinter derjenigen von Europa. Weisskopf muss in Nordamerika also die Kosten in Griff haben und gleichzeitig neue Produkte lancieren, und dies in einem momentanen Umfeld von ziemlich lauer Konsumentenstimmung - wie in Europa übrigens auch. Die Rückkehr zu alten Wachstumszahlen in Nordamerika wird für Weisskopf nicht einfach.
Ausbau des Filialnetzes
Eine weitere anspruchsvolle Aufgabe ist der Ausbau des Filialnetzes. Nicht weniger als 65 Neueröffnungen plant Lindt & Sprüngli in diesem Jahr weltweit, womit die Anzahl der Läden auf fast 400 steigt. Man darf insbesondere gespannt sein, wie Weisskopf das Wachstum in den neuen Märkten vorantreibt. In China hatte Lindt schon 2011 einen Laden eröffnet, doch Tanner hat sich wiederholt vorsichtig zu Expansionsplänen in China geäussert.
Russland ist ein grosser Schokoladenmarkt, und in Moskau wird Lindt im November seinen ersten Shop eröffnen. Russland leidet aber wie Brasilien, wo Lindt mit einem Gemeinschaftsunternehmen präsent ist, unter Konjunkturproblemen.
Die Vorgaben für Weisskopf sind hoch: Bis 2020 soll der Umsatz nochmals 50 Prozent klettern. Das Ziel eines organischen Umsatzwachstums von 6 bis 8 Prozent jährlich muss dabei erreicht werden. Überdies sagte Ernst Tanner kürzlich mit Blick auf die Konsumentenstimmung und die Rohstoffpreise, dass 2016 sein schwierigstes Jahr in seiner Geschichte beim Konzern sei. Weisskopf weiss um diese Umstände. Hätte er Bedenken am eigenen Erfolg oder demjenigen der Firma, hätte er das CEO-Amt kaum angenommen.