Die USA sind seit über einem Jahrhundert die grösste Volkswirtschaft der Welt und der Aktienmarkt weist die höchste Börsenkapitalisierung weltweit aus. Den Titel als grösste Volkswirtschaft wird Amerika in den kommenden Jahrzehnten aber voraussichtlich abgeben müssen - Indien und China dürften beim Bruttoinlandprodukt (BIP) bis 2075 gleichziehen, schreibt Goldman Sachs in einer am letzten Freitag publizierten Studie.
Im Bezug auf das Vermögen und die Grösse des Aktienmarkts sollten die USA über die nächsten fünfzig Jahre aber Spitzenreiter bleiben. Die Experten der US-Investmentbank stützen sich bei ihren sehr langfristigen Prognosen auf die demografische Entwicklung und die langfristigen Produktivitätstreiber. Tatsächlich seien diese längerfristigen Prognosen in mancher Hinsicht einfacher als kurzfristigere Schätzungen über ein oder zwei Jahre, die durch Booms, Rezessionen und andere Überraschungen beeinträchtigt werden können.
Das liegt gemäss Kevin Daly, Co-Leiter der Ökonomie für Mittel- und Osteuropa, den Nahen Osten und Afrika beim Global Macro Research von Goldman Sachs, sowie deren Ökonom Tadas Gedminas daran, dass sich einerseits einige der Schlüsselvariablen, die das langfristige BIP-Wachstum stützen, langsamer ändern. Andererseits gleicht sich die kurzfristige Volatilität des Konjunkturzyklus im Laufe der Zeit tendenziell aus.
«Langfristig bestimmen Faktoren wie Bevölkerungswachstum und Produktivitätswachstum die Grösse von Volkswirtschaften. Diese Faktoren sind tendenziell langsamer und weniger variabel», erklärt der Experte Daly von Goldman Sachs.
Reiche Länder haben tendenziell grössere Aktienmärkte
Prognosen des Pro-Kopf-BIP können viel über die Entwicklung der weltweiten Aktienmärkte in Jahrzehnten verraten. Dabei stellen die Ökonomen von Goldman Sachs einen statistischen Zusammenhang zwischen dem Verhältnis von Aktienmarktkapitalisierung zum BIP und dem Pro-Kopf-BIP fest. Anders ausgedrückt: Mit dem Anstieg des Pro-Kopf-BIP steigt auch die Grösse des Aktienmarktes im Verhältnis zum BIP. Zwar verläuft die Entwicklung nicht geradlinig, aber steigendes Vermögen korreliert mit einem grösseren Aktienmarkt.
Die Prognose zeigt einen weiterhin weltweit führenden US-Aktienmarkt. Die gesamte Börsenkapitalisierung der US-Unternehmen dürfte bis 2075 von 42 Billionen Dollar auf 116 Billionen ansteigen. Das ist ein Plus von 167 Prozent. An zweiter Stelle kommt China mit prognostizierten 70 Billionen Dollar und einem Anstieg der Börsenkapitalisierung um 480 Prozent. Indien folgt mit erwarteten 62 Billionen Dollar in 2075 und einem Zuwachs bei der Börsenkapitalisierung von 2100 Prozent. Das ist der höchste Zuwachs der Börsenkapitalisierung bei den von Goldman Sachs abgedeckten Volkswirtschaften.
In Japan sollte der Wertanstieg bei der Börsenkapitalisierung über die nächsten fünfzig Jahre 180 Prozent auf 16,4 Billionen Dollar betragen, gefolgt von Grossbritannien (+360 Prozent auf 14,7 Billionen Dollar), Frankreich (+340 Prozent auf 10,2 Billionen Dollar) und Deutschland (+420 Prozent auf 19,9 Billionen Dollar).
Schwellenländer bleiben hinter Industriestaaten zurück
Das Pro-Kopf-BIP der Schwellenländer dürfte voraussichtlich nicht ganz zu den Industrieländern aufholen und die Grösse der Aktienmärkte der Schwellenländer voraussichtlich hinter den USA und anderen Industrieländern zurückbleiben. Obwohl der US-Anteil an der globalen Marktkapitalisierung sinken wird, wird dieser der Prognose zufolge im Jahr 2075 immer noch um rund 60 Prozent höher sein als beim zweitgrössten, chinesischen Markt.
Die relative Bedeutung der Kapitalmärkte in den Schwellenländern wird dennoch wachsen, von heute rund einem Viertel der gesamten globalen Marktkapitalisierung auf über die Hälfte bis 2075. Die Studie zeigt, dass reiche Industrieländer zwar auch in den kommenden Jahrzehnten von entscheidender Bedeutung bleiben, es jedoch nicht möglich sein wird, langfristige, weltweite Wachstumstrends ohne Engagement in den Schwellenländern und ihren Finanzmärkten zu nutzen.