Der Swiss Leader Index besteht aus den 30 nach Marktwert grössten und liquidesten Unternehmen der Schweiz. Analysten sehen dabei das Gewinnwachstum des SLI für das nächste Jahr 2025 bei 12,8 Prozent.
Die Schere zwischen dem Unternehmen mit dem grössten und dem geringsten Gewinnwachstum geht dabei weit auseinander. So erwarten Analysten bei Swiss Re das grösste und bei Swisscom das tiefste Gewinnwachstum für die nächsten zwölf Monate. Das Wachstum des Gewinns pro Aktie (oder: EPS, kurz für «Earnings per Share») des Schweizer Rückversicherers wird bei 36 Prozent gesehen, während der Gewinnrückgang beim Telekomkonzerns nur bei 7 Prozent liegen dürfte.
Auffällig und wichtig für Investoren ist dabei: Kursbewegungen an der Börse und die Entwicklungen der Unternehmensgewinne sind eng miteinander verbunden. Das zeigt exemplarisch die Swatch Group: Der Uhrenhersteller dürfte in diesem Jahr punkto Wachstum wieder auf das Niveau vom Jahr 2004 fallen. Die Kursentwicklung der Swatch-Aktien zeigt ein vergleichbares Bild: Sie sind ebenfalls auf das "Level" von 20 Jahren zurückgefallen.
Der gegenteilige Fall, ein signifikanter Anstieg der Gewinne einhergehend mit einem Kursanstieg, kann man bei Givaudan beobachten. Der Duft- und Aromenhersteller erzielte vor 20 Jahren ein EPS von gut 44 Franken. Dieses Jahr werden es knapp 129 Franken sein - ein Anstieg von knapp 200 Prozent. Der Aktienkurs avancierte in dieser Zeitspanne um mehr als 460 Prozent.
Differenzen zwischen den Aktienkurs- und Gewinnveränderungen sind einer Bewertungsexpansion (bei steigenden Gewinnen) und -kontraktion (bei sinkenden Gewinnen) zuzuschreiben. Diese wird zusätzlich von den Erwartungen für die zukünftige Entwicklung beeinflusst.
Swiss Re und Swisscom: zwei Gegensätze
Bei Swiss Re gehen die Erwartungen der Experten stark auseinander. Die höchste EPS-Schätzung für das kommende Geschäftsjahr beträgt 17,26 Franken, während die tiefste bei 13,89 Franken liegt. Die Unsicherheit liegt im zugrundeliegenden Geschäft. Swiss Re ist gegenüber seinen Konkurrenten stärker vom volatilen Sachversicherungsgeschäft betroffen. Auch das US-Haftpflichtgeschäft weist enorme Unsicherheiten auf.
Die Analysten der US-Grossbank JPMorgan heben die Resilienz des Rückversicherers hervor. Trotz eines Anstiegs der Rückstellungen im US-Haftpflichtgeschäft und der weltweiten Naturkatarstophenschäden in diesem Jahr um 6 Prozent auf 310 Milliarden Dollar, verzeichnete Swiss Re eine bemerkenswerte Stabilität. Während die Nettoprämien - also Prämieneinnahmen minus Schadenfälle - rückläufig waren, konnte der Gewinn mehrheitlich gehalten werden.
Der bei Julius Bär zuständige Analyst schreibt in einer Notiz, dass die Fokussierung auf das Kerngeschäft zu einer Renditesteigerung beim Rückversicherer geführt habe. Gleichzeitig hätten die Risiken durch die Aufstockung der Reserven abgenommen. Dies und ein erwarteter Prämienanstieg im kommenden Jahr dürften für den Gewinnanstieg verantwortlich sein.
Auf Swisscom trifft der gegenteilige Fall zu. Mit Ausnahme eines Ausreissers liegen die Experten-Schätzungen für das EPS im nächsten Jahr zwischen 30 und 33 Franken. Die Spanne von 10 Prozent bei Swisscom ist damit deutlich tiefer als die bei Swiss Re mit fast 25 Prozent. Die Visibilität der Ergebnisse hängt mit der Stabilität des zugrundeliegenden Geschäfts zusammen.
Die Umsätze und operativen Erträge des Telekomkonzerns weisen zwar minimale Wachstumsraten auf, aber verändern sich eben auch nicht wesentlich. Das fördert die Prognostizierbarkeit. Dies zeigt sich auch im Aktienkurs. Mit einer 200-tägigen Kursvolatilität von 14 Prozent sind die Titel der Swisscom deutlich stabiler als die Swiss-Re-Valoren mit 24 Prozent.
Der Schweizer Telekommarkt ist gesättigt und die Wachstumsraten sind gering. Zwar versucht sich der "blaue Riese" in branchenfremden Tätigkeiten und im Ausland, doch auf die Unternehmensergebnisse haben diese Tätigkeiten einen nur kleinen Einfluss. Aufgrund geringer EPS-Steigerungen kann der Aktienkurs nicht nachhaltig aus der seit 30 Jahren anhaltenden Seitwärtsbewegung von etwa 350 bis 600 Franken ausbrechen.
Dividendenstabilität vs. Wachstum
Neben dem Gewinnwachstum sind die Rendite sowie die Kapitalrückführung wichtige Kurstreiber der beiden Aktien. Während beide Unternehmen eine vergleichbare Dividendenrendite von 4,7 Prozent für Swiss Re und 4,3 Prozent für Swisscom aufweisen, sind die Ausschüttungen der Swisscom stabiler. Swisscom hat in den vergangenen 30 Jahren die Dividenden nur zwei Mal gekürzt - und das jeweils nur marginal.
Die Reduktionen beliefen sich auf jeweils 1 Franken pro Aktie (auf eine Dividende pro Aktie von 20 Franken). Die Ausschüttungen im Umfang von 1,1 Milliarden Franken sind gleichzeitig durch den deutlich höheren freien Cashflow von etwa 1,6 Milliarden Franken gedeckt. Swisscom kauft jedoch keine Aktien zurück und hat in den 13 vergangenen Jahren die Ausschüttungen nicht weiter erhöht.
Demgegenüber steht Swiss Re mit einem Dividendenwachstum, aber erhöhter Unsicherheit. Neben den jährlich steigenden Ausschüttungen kommen die Aktionäre regelmässig in den Genuss von Aktienrückkaufprogrammen. Zwar steht vorerst keines an, doch die Experten von JPMorgan nennen das Überraschungspotenzial zusätzlicher Kapitalrückflüsse mitunter ein Grund für ihre Kaufempfehlung.
Der Rückversicherer kürzte allerdings in den vergangenen 30 Jahren die Ausschüttungen drei Mal und strich sie ein Mal fast komplett. Die Grundvolatilität des Rückversicherungsgeschäfts und der damit verbundene stark schwankende freie Cashflow machen die Ausschüttungen etwas unsicherer.
Zwar muss im nächsten Jahr nicht mit einer Kürzung gerechnet werden. Analysten gehen von einem Dividendenwachstum von 7,6 Prozent aus. Doch für die Bewertungshöhe hat die relative Renditesicherheit, je nach Marktsituation, einen merklichen Einfluss.
Grundsätzlich profitieren beide Aktien von sinkenden Leitzinsen in der Schweiz. Gehen die Leitzinsreduktionen hingegen mit einer Rezession einher, dürfte Swisscom den besseren Kursverlauf aufweisen. Das Rückversicherungsgeschäft reagiert empfindlich auf Konjunkturzyklen.
Gehen die Leitzinssenkungen mit einem sogenannten «no landing»-Szenario oder einer weichen Landung einher, dürfte Swiss Re besser abschneiden. Die weiterhin vorteilhaften wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und gleichzeitigem Dividendenwachstum dürften den Swiss-Re-Aktien zusätzlichen Schub verleihen.
Bewertungen und was bereits eingepreist ist
Welche Aktien am 31. Dezember 2025 das bessere Investment sein wird, hängt letztlich auch vom Bewertungsniveau ab - denn es preist Zukunftserwartungen ein. Gemäss den Experten der Bank Vontobel sind Swiss Re günstig bewertet. Zwar liegt das vorwärtsgerichtete Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) für das kommende Jahr bei 10 und damit nur knapp über dem langjährigen Durchschnitt von 9,6, doch besonders bei Lancierung eines neues Aktienrückkaufprogramms, wären die Swiss-ReTitel unterbewertet.
Die Swiss-Re-Titel haben dieses Jahr jedoch eine der stärksten Kursavancen unter den Blue Chips zurückgelegt. Im SLI belegen sie den vierten Platz. Diese Kursentwicklung deutet darauf hin, dass der Markt fest von einem «no landing»-Szenario oder einer weichen Landung ausgeht und dies teilweise schon eingepreist hat. Die JPMorgan-Experten sehen deshalb nächstes Jahr ein limitiertes Aufwärtspotenzial. Das Kursziel setzen sie knapp 20 Prozent über den derzeitigen Kursen - das liegt unter dem Gewinnwachstum von 36 Prozent im nächsten Jahr.
Die Titel von Swisscom sind im eigenen historischen Vergleich etwas teurer. Obwohl sie mit dem 16,8-fachen KGV auf dem langjährigen Durchschnitt liegen, ist der Ausblick aufgrund des sinkendem Gewinnwachstums im Vergleich zur Vergangenheit weniger attraktiv. In der vergangenen Dekade betrug das durchschnittliche EPS-Wachstum knapp 1 Prozent. Für die nächsten drei Jahre erwarten Analysten einen jährlichen Rückgang von 2,3 Prozent.
Dürfte sich ein unerwarteter Wirtschaftsabschwung verdeutlichen, wäre jedoch nicht mehr die Wachstumsschwäche, sondern die Ertragsstabilität des Telekomkonzerns im Fokus. Käme in diesem Zusammenhang das unwahrscheinliche Risiko einer Dividendenkürzung bei Swiss Re auf, hätte dies gravierende Auswirkungen auf deren Aktienkurs. Bei Swisscom kann dieses Risiko auf einen derart kurzen Zeitraum fast gänzlich ausgeschlossen werden. Nicht umsonst ist Swisscom bei Schweizer Franken Anlegern als Obligationenersatz beliebt.
Demnach spielen die Leitzinsentwicklung, die Eintrittswahrscheinlichkeit einer Rezession und die weitere Entwicklung der Gewinnerwartungen für die Kursentwicklung der beiden Aktien im kommenden Jahr eine wichtige Rolle. Dabei scheinen Swiss Re derzeit die Nase vorn zu haben. Wobei schwer abgeschätzt werden kann, wie viel bereits dieses Jahr von dieser Entwicklung eingepreist worden ist.