Die Schweizer Börse notiert derzeit auf Rekordniveau. Der Swiss Market Index legte seit Jahresanfang knapp 12 Prozent zu. Das entspricht dem besten Jahresstart seit mindestens 25 Jahren. 

Viele Investoren fragen sich nun: Wie geht es weiter? Welche Aktien bieten trotz des starken Index-Anstiegs noch ein attraktives Steigerungspotenzial? Bei welchen Valoren ist Vorsicht geboten? Die Kursziele und Ratings von Aktienanalysten bieten Orientierungshilfe.

DocMorris, SoftwareOne und Barry Callebaut

Das grösste Gewinnpotenzial im Swiss Performance Index (SPI) haben die Aktien von DocMorris mit einem Steigerungspotential von fast 63 Prozent. Die Valoren von SoftwareOne und Barry Callebaut sind mit einem Aufwärtspotenzial von je 39 Prozent zweitplatziert. Für diese Auswertung wurden nur Unternehmen mit mehr als neun Schätzungen berücksichtigt.

Doch alle drei Unternehmen stehen vor grossen Herausforderungen. DocMorris kämpft mit markant sinkenden Margen und Gewinnen, so dass Analysten eine Kapitalerhöhung als Grundvoraussetzung für die Fortführung der Geschäftstätigkeit sehen. SoftwareOne sieht sich bestenfalls mit einem stagnierenden Geschäft konfrontiert und sucht in der Fusion mit dem norwegischen Konkurrenten Crayon den Befreiungsschlag. Bei Barry Callebaut macht sich der stark gestiegene Kakaopreis bemerkbar. Einerseits wirkt er sich negativ auf die Nachfrage der Endkonsumenten aus, andererseits belastet er die Margen und das Nettoumlaufvermögen des Schokoladenherstellers erheblich.

In den vergangenen 52 Wochen fielen die Aktien von DocMorris um mehr als 75 Prozent. Die SoftwareOne-Titel büssten 60 Prozent ein - allein 15 Prozent nach Ankündigung der Fusion. Die Barry Callebaut-Titel verloren zeitweise um 27 Prozent.

Trotz der hohen Kursziele ist bei diesen Titeln eine gewisse Vorsicht geboten. Obwohl sich Aktienanalysten häufig auf Sektoren oder eine Gruppe von Unternehmen mit ähnlichen Einflussfaktoren spezialisieren, ist es auch für sie schwierig, die Aktienkursbewegungen präzise vorherzusagen. Zudem könnten sie Entwicklungen im Geschäftsgang verpasst oder falsch interpretiert haben. 

Erhebliche Unterschiede zwischen Aktienkurs und Kursziel sind ein Hinweis darauf. Deshalb haben Kursziel- und Ratingrevisionen einen deutlich wertvolleren Informationswert als die nackten Kursziele. Werden Kursziele abermals reduziert, weist das unabhängig vom Gewinnpotenzial auf Probleme hin.

Auf alle drei Aktien trifft dies zu, wenn auch in unterschiedlichem Ausmass. Während die Kurszielreduktionen in den vergangenen zwölf Monaten bei DocMorris und SoftwareOne jeweils 56 respektive 50 Prozent betragen, haben die Experten die Kurszielerwartungen für Barry Callebaut um 15 Prozent gesenkt.

Swissquote und Swatch

Swissquote und Swatch Group sind die beiden Aktien mit den niedrigsten Kurszielen im Swiss Performance Index (SPI). Bei Swissquote liegt der Kurszielkonsens etwa 16 Prozent unter dem derzeitigen Kursniveau, während bei den Swatch-Titeln ein weiteres Verlustpotenzial von 11 Prozent gesehen wird.

Swissquote und Swatch könnten unterschiedlicher nicht sein. Während die Valoren von Swissquote im vergangenen Jahr zeitweise über 85 Prozent avancierten, verloren die Swatch-Titel im gleichen Zeitraum mehr als 15 Prozent.

Die Geschäfte der Onlinebank aus Gland laufen hervorragend. Seit Oktober 2023 steigt der Aktienkurs bis am gestrigen Montag ohne wesentliche Rückschläge und die Kursziele und Ratings werden seit Januar 2024 abermals nach oben angepasst. Der starke Kursanstieg lässt Analysten nun vorsichtiger werden. Seit Anfang des Jahres haben zwei Experten die Swissquote-Valoren um mindestens ein Level herabgestuft, während nur einer sie noch hochgestuft hat. Vier Analysten legen den Investoren die Aktie derzeit zum Kauf nahe, während vier sie zum Halten und einer zum Verkauf empfehlen.

Swatch ist das Spiegelbild von Swissquote. Seit März 2023 sinken die Aktien des Uhrenkonzerns fast unaufhaltsam, wobei sie sich seit November 2024 in einem Bodenbildungsprozess befinden - also eine Phase, in der der Aktienkurs nach längeren Verlusten stabil bleibt und sich möglicherweise erholt. Experten passen seit Mai 2023 die Kursziele abermals nach unten an. Bis September 2024 hinkten sie dem Wertverlust der Aktien hinterher. Nun kommen sie ihm voraus. 

Zwei hierzulande unbekannte Bewertungshäuser empfehlen die Swatch-Akten derzeit zwar zum Kauf, doch die überwältigende Mehrheit der Experten hat Bedenken. Elf Analysten bewerten sie mit einem «Halten», während zwölf Spezialisten trotz der niedrigen Bewertung weiterhin eine Verkaufsempfehlung aussprechen. 14 dieser 23 Analysten haben das Rating in den vergangenen Monaten um mindestens eine Stufe gesenkt.

Analysten unterschätzen Bewegungen und Swatch als Ausnahme

So wie das Kurspotenzial von DocMorris, SoftwareOne oder Barry Callebaut nicht automatisch ein Kaufargument ist, ist das Verlustpotenzial der Swissquote-Titel nicht zwingend ein Grund zur Sorge. Der Marktkonsens unterhalb des derzeitigen Aktienkurses signalisiert lediglich, dass die Analysten die Stärke des Geschäftsganges und den Kursanstieg unterschätzt haben. Das Unterschätzen von Kursbewegungen in beide Richtungen kommt sehr häufig vor. Somit ist es unmöglich, Wendepunkte anhand der Kursziele verlässlich zu identifizieren. Doch in der allgemeinen Einschätzung liegen die Analysten nicht immer ganz daneben.

Beispiel: cash.ch berichtete im September vergangenen Jahres über Givaudan als die Aktie mit dem tiefsten Kursziel im SPI. Das Verlustpotenzial des Aromen- und Riechstoffherstellers betrug 10 Prozent, während abermalige Ratingreduktionen festgestellt wurden. Seither haben die Aktien etwa 12 Prozent eingebüsst. Das Verlustpotenzial wurde damit «eingelöst».

Barry Callebaut dürfte in die gleiche Kategorie fallen. Die derzeitigen Probleme sind fast ausschliesslich auf den Kakaopreis zurückzuführen. Und dieser scheint sich bereits zu normalisieren: Seit dem Dezember-Hoch ist er um 32 Prozent gefallen. Wie auch im Fall Givaudan bewegen sich die Empfehlungen in umgekehrter Richtung nach oben. Seit Jahresanfang wurden die Aktien siebenmal hochgestuft und nur einmal heruntergestuft. Zudem liegen die Barry-Titel seit zwei Wochen über 15 Prozent im Plus. Normalisiert sich der Kakaopreis weiter, dürfte dem Erreichen des Kursziels in der Region von 1’470 Franken nichts im Weg stehen.

Die Swatch Group ist in dieser Auflistung eine Ausnahme. Normalerweise hinken Analysten in der Kurszielanpassung hinterher - nicht so beim Bieler Uhrenkonzern. Swatch sieht sich wie DocMorris und SoftwareOne starken Widerständen gegenüber, doch werden im Gegensatz zu den beiden anderen Aktien zusätzliche Kursverluste prognostiziert. Ist die schonungslose Beurteilung der Experten das Resultat der unangemessenen Verhaltensweise von Nick Hayek Jr. dieser Zielgruppe gegenüber? 

Vielleicht. Doch vielmehr dürfte ein wesentlicher Teil des negativen Ausblicks der geringen Bewertungsdifferenz zum Mitstreiter Richemont geschuldet sein. Die Swatch-Aktien sind mit einem vorwärtsgerichteten Kurs-Gewinn-Verhältnis von über 21 sehr teuer. Richemont, als einer der derzeit besten Branchenvertreter, wird hingegen nur mit einem KGV von 29 gehandelt. Und deshalb investieren Anleger, so wie bei der berüchtigten Telefonkonferenz von Hayek gefordert, in der Tat nun woanders.
 

Luca_Niederkofler
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