Laut dem Marktforschungsunternehmen Euromonitor wuchs der Markt für Nachtwäsche, Unterwäsche und Bademode in den letzten zehn Jahren um 1,1 bis 1,9 Prozent jährlich. Für die kommenden fünf Jahre erwarten Experten ein Wachstum zwischen 2,5 (Nachtwäsche) und 4 Prozent (Bademode) pro Jahr.
Damit liegt der Lingerie-Markt weit hinten im Vergleich mit anderen Branchen und sogar leicht unterhalb des globalen BIP-Wachstums. Externe Faktoren wie beispielsweise das Wetter oder Modetrends führen zu zusätzlichen Unsicherheiten. Die Umsatzvorhersehbarkeit ist damit tiefer als in anderen Branchen. Diese Faktoren drücken die Bewertungen.
Prägend für diesen fragmentierten Nischenmarkt, der aus eher kleinen und mittleren Unternehmen und besonders privat gehaltenen Konzernen besteht, ist also die Wachstumsschwäche. Und das eher schwache Wachstum führt zu tiefen Unternehmensbewertungen.
Doch das gibt Chancen für Value-Investoren. Bei der Suche nach entsprechenden Aktien wird man beim Branchenprimus, einem Turnaround- und Deep-Value-Kandidat, und einer Renditeperle fündig. Sie bieten in einem wachstumsarmen Umfeld aufgrund von unternehmensspezifischen Faktoren Chancen zu tiefen Preisen und teils sehr hohen Renditen.
Der Schweizer Unterwäsche-Konzern Calida, der Branchenprimus Victoria’s Secret und der belgische Mitstreiter Van der Velde verbindet eine tiefe Unternehmensbewertung. Doch die Ursachen dieser Gemeinsamkeit könnten nicht unterschiedlicher sein. Wiederum sind es genau diese unternehmensspezifischen Faktoren, weshalb bei den drei Unternehmen das Aktienkurspotenzial nicht unterschätzt werden sollte.
Victoria’s Secret: Günstiger Riese
44 Prozent: Das ist gemäss Unternehmensanalysten das Kurspotenzial für den Branchenprimus Victoria’s Secret. Bekannt durch die üppig inszenierten Modeschauen platziert sich das US-Unternehmen, im Gegensatz zu Calida oder Van de Velde, im mittleren Preisbereich. Das ist im Prinzip ein Problem.
Zwar verfügt Victoria’s Secret gemäss Euromonitor in den Bereichen Nachtwäsche und Unterwäsche den grössten respektive zweitgrössen Marktanteil, mit dieser Preisstrategie konkurriert das Unternehmen aber mit den globalen Modehäusern wie Zara-Mutter Inditex, H&M, Triumph und vielen anderen Modemarken. Die Margen sind deshalb relativ niedrig – die Ebitda-Marge von 9,4 Prozent ist weniger als halb so hoch wie bei Van de Velde.
Die Preispolitik ist neben der Wachstumsschwäche mehrheitlich für die niedrige Bewertung verantwortlich. Mit einem Unternehmenswert zum Ebitda von 5,6 mal oder einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 11 ist der Dessous-Konzern jedoch sehr günstig.
Die Aktien von Victoria’s Secret sind mit einer jährlichen Kursvolatilität von fast 60 Prozent jedoch fast doppelt so schwankungsanfällig wie die Valoren von Calida und mehr als dreimal so hoch wie die Van-de-Velde-Titel. In der zweiten Jahreshälfte 2024 stiegen sie von 16 Dollar auf knapp 50 Dollar an, nur um in diesem Jahr auf unter 29 Dollar zu fallen. Begründet wurden die Kursbewegungen teils mit Änderungen in den Wetterprognosen und den Konsumausgaben an US-Feiertagen.
Die Mehrheit der Analysten sind gegenüber Victoria’s Secret positiv eingestellt. Die bei Barclays zuständige Analystin sieht beispielsweise Anzeichen einer Beschleunigung des Umsatzwachstums und einer Ausweitung der operativen Marge. «Wir glauben, dass die Konsensschätzungen zu niedrig sind und in den nächsten 12 bis 24 Monaten nach oben korrigiert werden», schreibt Barclays.
Auch die UBS sieht bessere Zeiten bevorstehen und kappt die Verkaufsempfehlung. «Wir gehen davon aus, dass der neue Fokus auf Produkte, Markendifferenzierung und Innovation zu einem nachhaltigen Umsatzwachstum im mittleren einstelligen Bereich führen wird.»
Calida: Restrukturierung mit maximaler Unsicherheit
Ausgangslage für die prekäre Lage beim Luzerner Unterwäsche-Produzenten Calida ist eine Aneinanderreihung von zweifelhaften Übernahmen. Das Unternehmen schlitterte in Rekordzeit von rekordhohen Gewinnen zu rekordhohen Verlusten.
Vor zwei Jahren wurden deshalb Restrukturierungsmassnahmen eingeleitet. Das komplette Management wurde ausgewechselt und dessen Anzahl reduziert, diverse Verwaltungsratsmitglieder sind abgetreten und Nicht-Kernmarken wurden verkauft. Das Ziel: Die Stabilisierung des freien Cashflows und der Ergebnisse sowie ein Fokus auf das Wesentliche. Zusätzliches Kopfzerbrechen bereitete der Verkaufswunsch der Ankeraktionärsfamilie.
Zwischenzeitlich hat die Familie Kellenberger bestätigt, mittelfristig bei Calida engagiert bleiben zu wollen, doch der Druck bleibt. Das schlankere Calida besteht noch aus drei Marken - «Calida», «Aubade» und «Cosabella». Mit diesen Marken positioniert sich das Unternehmen im Premium- und Luxussegment für Unterwäsche und Dessous.
Calida fällt in die Kategorie der Deep-Value-Aktien. Im Vergleich zu Value-Aktien sind diese entweder ungemein unterbewertet oder stehen kurz vor der Insolvenz. Bei Calida trifft weder das erste noch zweite Argument zu - der Konzern wird mit einem KGV von 17 und Unternehmenswert zu Ebitda von 14,3 bewertet und ist damit je nach Kennzahl dreimal so teuer wie Victoria’s Secret. Doch aufgrund der personellen Neubelegung und fehlenden Leistungsausweisen der jungen Personen in Schlüsselpositionen mit gleichzeitiger Komplettsanierung ist der Unsicherheitsfaktor gewaltig. Ebenso sind es die Chancen.
Calida behält zwei etablierte Marken und eine Wachstumsmarke. Sie bieten den Vorteil der Nischenpositionierung. Das Hochpreissegment ist etwas weniger konjunkturabhängig - im derzeitigen Umfeld ein Vorteil.
Gemessen an historisch erzielten Werten ist das Potenzial enorm. Als das Unternehmen nur aus den Marken Calida und Aubade bestand, erreichten die Luzerner Reingewinnmargen von 10 bis 12 Prozent. Aktuell sind es drei bis viermal weniger. Die strategischen Anpassungen mit Fokus auf Qualität statt Quantität gehen in die richtige Richtung.
Erste Analystenstimmen nach der Publikation der Jahresergebnisse Ende Februar lassen hoffen. Die Bank Vontobel begrüsst den stärkeren Fokus auf die Rentabilität bei Calida und Aubade und sieht bereits erste Anzeichen für Verbesserungen.
Van de Velde: Hohe Renditen und Stabilität
Van de Velde schliesslich ist ein in Belgien kotierter Mid-Cap mit Börsenwert von etwa 400 Millionen Euro und bringt damit mehr als das Doppelte von Calida auf die Waage. Wie auch die Schweizer fokussieren sich die Belgier auf drei Kernmarken im Premiumsegment.
Während den vergangenen 20 Jahre steigt der Umsatz im Durchschnitt 4,7 Prozent pro Jahr, bis auf einige wenige Ausnahmen, und liegt damit über dem Branchenschnitt. In dieser Zeit verzeichnete das Unternehmen nie Verluste, Covid-19 inklusive, und die Ebitda-Margen rangieren seit Jahren zwischen 20 und 30 Prozent.
Der Grossteil des Gewinns wird in Form von Dividenden an die Aktionäre zurückgeführt. Das Payout-Ratio - also das Verhältnis zwischen Dividenden und Erträgen - beträgt teilweise 90 Prozent. Die Höhe der Ausschüttungsquote ist mitunter der Grund, weshalb das Unternehmen keine ununterbrochene Dividendenhistorie vorweisen kann. Doch die Rendite beträgt derzeit knapp 8 Prozent. Für die nächsten zwei Jahre erwarten Unternehmensanalysten weiteres Umsatzwachstum, eine leicht negativ tendierende Ebitda-Marge und leicht höhere Reingewinne. Die Ausschüttungen dürften bis 2026 um 25 Prozent ansteigen.
Im Gegensatz zu den Kursverlusten bei Victoria’s Secret und Calida notieren die Van-de-Velde-Aktien im Vierjahresvergleich im Plus - mit knapp 30 Prozent. Gemäss der belgischen Bank KBC sind die Titel weiterhin ein Kauf. Die Analysten veranschlagen das Kursziel bei 38,50 Euro und damit 23 Prozent über dem aktuellen Kursniveau.
Die starke Marktpositionierung der Marken «PrimaDonna» und «Marie Jo» in den Benelux-Ländern und Deutschland bietet dem Unternehmen eine solide Grundlage für die Zukunft. Ausserdem kann der Omnichannel-Fokus die schwierigen Rahmenbedingungen im klassischen Ladengeschäft mehr als kompensieren. Der Start der Marke «Sarda» ist vielversprechend verlaufen, womit zusätzliche Kundensegmente erschlossen werden können.
Mit der Fokussierung auf wenige Marken und Märkte schärft das Unternehmen laut dem Experten seine Marktposition und dürfte die Margen in einem herausfordernden Umfeld schützen. Die Aktien handeln derzeit mit einem KGV von unter 12 und werden mit einem Unternehmenswert zum Ebitda von 6,7 bewertet. Das ist günstig für ein über dem Markt liegenden Wachstum mit hoher Rendite.