«Ein gutes Unternehmen ist wie eine befestigte Burg mit einem tiefen Graben umgeben. Ich möchte Haie im Graben haben. Ich möchte, dass die Burg unantastbar ist», sagte Buffett einst. Der Begriff «Burggraben», den der legendäre Investor geprägt hat, bezieht sich auf die Nachhaltigkeit des Wettbewerbsvorteils von Unternehmen.

In Europa versucht Morningstar, 80-90 Prozent der Unternehmen mit grosser Marktkapitalisierung zu analysieren. Dabei identifiziert der Finanzdienstleister jene, die einen Burggraben haben und dadurch die Konkurrenz auf Distanz halten können. Dies ist wichtig, da Unternehmen in unserem kapitalistischen Wirtschaftssystem in einem Wettbewerb zueinander stehen und Kunden gewinnen wollen. Dies fördert Innovation und drückt Preise.

Was Konsumenten gefällt, muss für Aktionäre nicht unbedingt gut sein: Mehr Wettbewerb bedeutet niedrigere Margen, geringeren Cashflow und geringeres Wachstum. Mit einem Burggraben können Unternehmen sich schützen und den Aktionären steigende Aktienkurse oder Dividenden bieten. 

Die meisten Unternehmen haben keinen Burggraben. Unter denjenigen, die einen haben, unterscheidet Morningstar zwischen einem engen und einem breiten Graben - letztere sind in der Minderheit. Der Unterschied besteht darin, wie lange das Unternehmen in der Lage sein wird, diese zusätzlichen Erträge zu erzielen. «Ein Unternehmen wie SGS, das einen schmalen Graben hat, ist derzeit sehr stark. Aber kann es diesen Vorteil über 15 oder 20 Jahre aufrechterhalten?», fragt Michael Fields, Aktienstratege bei Morningstar, in einem Gespräch mit cash.ch.

Quantitative und Qualitative Kriterien

Bei Morningstar wird letztendlich von einem Komitee die Einteilung genehmigt. «Quantitativ gesehen liegt ein Burggraben vor, wenn ein Unternehmen eine Rendite erwirtschaften kann, die über den durchschnittlichen Kapitalkosten liegt», erklärt Field. Die Analysten müssen dem Komitee auch qualitativ begründen, warum ein Burggraben vorhanden ist. 

Um einen tatsächlichen Burggraben festzustellen, ist es wichtig, die Branche und das Unternehmen qualitativ und quantitativ zu verstehen. «Ich decke das Reederei-Unternehmen Maersk ab. Das Unternehmen agiert in einer bekannten, wettbewerbsintensiven, unbeständigen und manchmal auch unrentablen Branche», sagt Field. In dieser Branche gibt es keine Unternehmen mit einem Burggraben.

Beim «Burggraben-Investieren» geht es nicht um kurzfristige Trades, sondern um eine langfristige Perspektive. Der Morningstar Wide Moat Focus Total Return Index hat seit seiner Auflegung eine jährliche Gesamtrendite von 12,5 Prozent erzielt, verglichen mit weniger als 10 Prozent für den Gesamtmarktindex. Kurzfristig hinkt er bei starken Bewegungen oft hinterher. Dies liegt zum Teil daran, dass Unternehmen mit einem Burggraben eine höhere Qualität und damit eine gewisse defensivere Ausrichtung haben.

Die untenstehende Liste enthält europäische Aktien mit einer Marktkapitalisierung von mehr als 500 Millionen Franken, die nach Morningstar-Kriterien über einen weiten Burggraben verfügen. Die Liste wurde unter Verwendung von Bestandteilen des Morningstar Developed Markets Europe Index erstellt.

Titel Land Preis Morningstar Fairer Wert pro Aktie Kursentwicklung seit Jahresbeginn
ABB Schweiz 49 Franken 40,5 Franken +31 Prozent
Air Liquide Frankreich 164 Euro 168,1818 Euro +3 Prozent
Airbus Niederlande 131 Euro 163 Euro -5 Prozent
Anheuser-Busch InBev Belgien 56 Euro 83 Euro -5 Prozent
ASML Niederlande 847 Euro 900 Euro +24 Prozent
AstraZeneca Grossbritannien 12'160 Pfund Sterling 12'400 Pfund Sterling +15 Prozent
Atlas Copco Schweden 185 Schwedische Kronen 145 Schwedische Kronen +6 Prozent
British American Tobacco Grossbritannien 2559 Pfund Sterling 3900 Pfund Sterling +11 Prozent
Diageo Grossbritannien 2486 Pfund Sterling 3100 Pfund Sterling -13 Prozent
EssilorLuxottica Frankreich 194 Euro 162 Euro +7 Prozent
Ferrari Italien 386 Euro 281 Euro +27 Prozent
GSK Grossbritannien 1519 Pfund Sterling 2200 Pfund Sterling +5 Prozent
Hermès International Frankreich 2057 Euro 1480 Euro +8 Prozent
L'Oreal Frankreich 407 Euro 410 Euro -10 Prozent
LVMH Frankreich 683 Euro 670 Euro -7 Prozent
Nestlé Schweiz 94 Franken 109 Franken -3 Prozent
Novartis Schweiz 95 Franken 96 Franken +12 Prozent
Novo Nordisk Dänemark 913 Dänische Kronen 600 Dänische Kronen +31 Prozent
RELX Grossbritannien 3489 Pfund Sterling 3650 Pfund Sterling +12 Prozent
Richemont Schweiz 137 Franken 154 Franken +15 Prozent
Roche Schweiz 279 Franken 379 Franken +14 Prozent
Safran Frankreich 200 Euro 200 Euro +26 Prozent
Sanofi Frankreich 92 Euro 113 Euro +3 Prozent
Schneider Electric Frankreich 224 Euro 208 Euro +23 Prozent
Siemens Deutschland 173 Euro 180 Euro +2 Prozent
Unilever Grossbritannien 4524 Pfund Sterling 4380 Pfund Sterling +19 Prozent

Daten: Bloomberg und Morningstar, Stand 19. Juli 2024.

Fünf Burggrabentypen

Es ist jedoch zu beachten, dass nicht alle Burggräben gleich sind. Es gibt fünf verschiedene Typen, die den Unternehmen unterschiedliche Wettbewerbsvorteile bieten. Eine Übersicht:

1. Burggraben durch Wechselkosten

Ein Unternehmen hat einen Wettbewerbsvorteil, wenn Kunden hohe Kosten für einen Wechsel zu einem anderen Anbieter tragen müssen. Dadurch haben die Anbieter eine Verhandlungsmacht über die Preise und können eine relativ hohe Gewinnspanne erzielen. Salesforce, Shopify und Macy's sind gute Beispiele für einen solchen Burggraben. Bei Salesforce ist dies offensichtlich: Wenn die Software stark in die Infrastruktur des Kunden integriert ist, sind die Kosten für einen Wechsel zum Anbieter sehr hoch.

2. Burggraben durch immaterielle Vermögenswerte

Insbesondere immaterielle Vermögenswerte wie Marken, Patente und behördliche Lizenzen bieten Unternehmen oft einen dauerhaften Burggraben. Neue Marktteilnehmer haben diese Wettbewerbsvorteile nicht und können das Produkt oder die Dienstleistung daher nicht duplizieren. «Coca-Cola, Adidas oder Gap haben starke Marken aufgebaut. Das ist es, was ihnen Überschussrenditen ermöglicht», sagt Michael Field, Aktienstratege bei Morningstar. Aber auch wissensbasierte Unternehmen wie der Biotechnologiekonzern Biogen gehören dieser Kategorie an.

3. Burggraben durch Netzwerkeffekte

«Netzwerkeffekte sind wahrscheinlich die stärkste Quelle für einen Burggraben», sagt Field von Morningstar. Beispiele dafür sind Facebook oder TikTok, bei denen das Netzwerk durch das Wachstum gestärkt wird. Das Gleiche gilt für Unternehmen wie MasterCard oder Visa. Je mehr Händler sagen «Wir akzeptieren MasterCard», desto stärker wird das Netzwerk. Field glaubt, dass Unternehmen mit einem solchen Schneeballeffekt diesen Vorteil etwa 20 Jahre oder länger behalten können.

4. Burggraben durch Kostenvorteile

Ein Unternehmen hat hier einen Wettbewerbsvorteil, wenn es nachhaltig zu niedrigeren Kosten als seine Konkurrenten arbeiten kann. Unternehmen mit erheblichen Kostenvorteilen können die Preise der Wettbewerber unterbieten, sobald diese versuchen, in die Branche einzutreten. Amazon ist hier das beste Beispiel. Sie haben eine Infrastruktur aufgebaut, die es ihnen ermöglicht, Produkte, einschliesslich Bücher, zu niedrigeren Preisen anzubieten. Unternehmen, die einen bedeutenden Grössenvorteil haben, nutzen diese Karte besonders aus.

5. Burggraben durch Skaleneffekte

In bestimmten Branchen gilt «gross ist schön». Unternehmen, die bestimmte Märkte dominieren, verhindern oft den Markteintritt neuer Wettbewerber. Der Eintritt weiterer Wettbewerber würde die Ertragskraft für alle verringern. Versorgungsunternehmen wie Enel aus Italien oder Transportunternehmen im Bereich Schiene befinden sich in oligopolistischen (oder sogar monopolistischen) Situationen und profitieren daher von Grössenvorteilen.
 

Knapp 18 Prozent der Unternehmen stammen aus der Schweiz

In der Tabelle stammen fünf der 28 Titel aus der Schweiz, nur Frankreich und Grossbritannien schneiden noch besser ab. Morningstar sieht das grösste Potenzial jedoch beim Pharmakonzern Roche. Roche ist ein gutes Beispiel für immaterielle Vermögenswerte, die einen Burggraben schaffen, insbesondere aufgrund ihrer Patente. Die Zahlen für das erste Halbjahr wird das Unternehmen aus Basel kommenden Donnerstag veröffentlichen. Zuletzt konnten sich die Roche-Aktien dank positiver Nachrichten zu einem Produktkandidaten zur Behandlung von Fettleibigkeit deutlich von ihrem Mehrjahrestief Anfang Mai erholen.

Der europäische Luft- und Raumfahrtkonzern Airbus hat in letzter Zeit hingegen Federn lassen müssen, sodass die Kursbilanz für 2024 negativ ist. Die von Bloomberg befragten Analysten sehen im Durchschnitt jedoch ein Kurspotenzial von 22 Prozent. Airbus musste letzten Monat seine Gewinn- und Produktionsziele revidieren, auch aufgrund von Problemen, die Lieferkette nach langjährigen, durch Covid verursachten Störungen wieder in den Griff zu bekommen.

Allerdings hat sich ein möglicher Rückgang der Nachfrage aufgrund sinkender Erträge und Überkapazitäten bisher noch nicht ausgewirkt, wie Christian Scherer, Leiter des zivilen Flugzeuggeschäfts von Airbus, zuletzt sagte. Das Umsatzwachstum soll nach einem verlangsamten Jahr 2021 im Jahr 2025 wieder anziehen. Ähnlich sieht es bei der Margenentwicklung aus. Die Bewertung des Unternehmens bewegt sich auch wieder auf ein interessantes Niveau zu, gemessen am vorwärtsgerichteten Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 24.

Hermès mit Luxus-Burggraben, Air Liquide mit grüner Fantasie

Der Luxusgüterhersteller Hermès Internationalist bekannt für seine exklusiven Handtaschen wie die Birkin-Bags. Das Unternehmen, das am Donnerstag die Halbjahreszahlen präsentiert, hat ein vorwärtsgerichtetes KGV von 47 - was zeigt, dass Qualität ihren Preis hat. Das hochwertige Angebot von Hermès zieht Kunden mit hoher Kaufkraft an und ist relativ unempfindlich gegenüber Konjunkturabschwächungen. Das Unternehmen verzeichnet ein Wachstum und eine Rentabilität, die über dem Branchendurchschnitt liegen.

Hermès baut seine Produktionskapazitäten aus, entwickelt neue Geschäfte und Designs und ist in der Lage, bei Bedarf die Preise zu erhöhen. Diese Positionierung dürfte dazu beitragen, die aktuellen China-Dämpfer und die Verzögerung der Erholung im Jahr 2025 abzufedern. Die Nettoliquidität von über 11 Milliarden Euro rechtfertigt höhere Dividenden, Aktienrückkäufe und Investitionen.

Ein ähnliches Bild zeigt sich beim führenden Unternehmen für Industrie-, Medizin- und Umweltschutzgase, Air Liquide. Angesichts der steigenden CO2-Emissionen setzen viele EU-Länder auf Carbon Capture and Storage, was den Einstieg bei Air Liquide attraktiv macht. Das Unternehmen hat bereits langjährige Erfahrung in der Umsetzung von Carbon-Capture-Projekten und hat solche Projekte bereits mit mehreren Baustoffherstellern in Frankreich und Belgien umgesetzt. Air Liquide bietet zudem eine Dividendenrendite von 1,8 Prozent und die von Bloomberg befragten Analysten empfehlen den Kauf der Aktie, die auch als Wasserstoff-Wette gilt, mehrheitlich, wobei sie im Durchschnitt einen Kursanstieg von 10 Prozent prognostizieren.

ABB ist mit einem Kursplus von 29 Prozent die zweitbeste Aktie im Swiss Market Index (SMI), zeigte jedoch zuletzt Schwäche. Der Technologiekonzern verzeichnete im zweiten Quartal einen stabilen Auftragseingang und ein organisches Wachstum von vier Prozent. Insbesondere der Bereich Elektrifizierung war stark. Die Aufträge in diesem Bereich stiegen um sieben Prozent. Mit dem bevorstehenden CEO-Wechsel wird das Unternehmen seinen Fokus auf Wachstum legen. Es besteht jedoch Unsicherheit darüber, wie sich diese Investitionen auf die Finanzergebnisse auswirken werden, so Marktstimmen.

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