Zwar dürfte die chinesische Wirtschaft dieses Jahr sowie 2025 um jeweils mehr als vier Prozent wachsen. Doch das Wachstum verlangsamt sich, und die Probleme im Reich der Mitte sind anhaltend - so insbesondere die Krise des Immobiliensektors und ein schwacher Konsum.
Die Auswirkungen sind über die Grenzen Chinas hinaus bemerkbar, beispielsweise in Biel beim Uhrenkonzern Swatch, wie aus der jüngsten Finanzberichterstattung hervorgeht. Zum ersten Semester vermeldete das Unternehmen einen Umsatzrückgang um fast 11 Prozent zu konstanten Wechselkursen, ausgelöst «durch die stark gesunkene Nachfrage nach Luxusgütern in China».
Am Berichtstag sackte die Aktie zehn Prozent ab. Sie erholte sich zunächst teilweise, fiel dann aber weiter zurück. Erst als die Zentralbank und Regierung in Peking Ende September ein Konjunkturpaket ankündigte, zogen die Swatch-Papiere an - und zwar um 28 Prozent innert rund zwei Wochen. Auch dies kann als Hinweis auf die Abhängigkeit des Uhrenkonzerns von China gesehen werden.
Analysten zufolge wird die gedämpfte Nachfrage nach Luxusgütern wohl bis ins Jahr 2025 hinein anhalten. Das bedeutet Margendruck und setzt dem Gewinnwachstum Grenzen. Die Experten sind denn auch skeptischer geworden. Die «Sell»-Ratings sind zahlreicher geworden, während die «Buy»-Ratings weniger geworden sind. Der Tenor lautet derzeit «Hold». Bemerkenswert ist, dass die Swatch-Valoren seit Mitte Oktober wieder im Vormarsch sind und sich so auf das Zwischenhoch zubewegen, das sie in der ersten Euphorie um Chinas Konjunkturpaket erreicht hatten. Zeigen wird sich, ob sich Swatch nun tatsächlich nachhaltig stabilisiert - oder ob es sich lediglich um eine Momentaufnahme handelt.
Nicht grundsätzlich besser als dem Schweizer Uhrenunternehmen erging es dem französischen Luxusgüterkonzern LVMH. Mitte Oktober berichtete das Management von einem Umsatzrückgang nach drei Quartalen des laufenden Jahres, wobei vor allem die Geschäfte mit Uhren und Schmuck sowie mit Wein und Spirituosen gelitten haben. Mitunter wurde «die schwache lokale Nachfrage auf dem chinesischen Markt» zur Begründung genannt. Zudem sei die Vergleichsbasis hoch gewesen, nach Jahren mit aussergewöhnlichem Wachstum.
Die LVMH-Aktien fielen zwar auch unmittelbar nach dem Drittquartalsbericht. Sie befinden sich jedoch schon seit dem Frühjahr insgesamt auf Talfahrt. Damals hatten sie sich mit einem Wert von 886 Euro dem Allzeithoch von 904 Euro per April 2023 angenähert. Inzwischen bezahlt man für eine Aktie des Pariser Luxusgüterunternehmens rund 632 Euro, womit sich in den vergangenen Monaten ein Minus von 39 Prozent ergeben hat.
Analysten sehen allerdings Gründe, auf die Aktie zu setzen. So zum Beispiel Rogerio Fujimori der Investmentbank Stifel. Er hat nach der jüngsten Berichterstattung das Kursziel auf 680 von 720 Euro gesenkt, doch seine Kaufempfehlung bestätigt. Überzeugt haben ihn freilich nicht die schwächer als erwartet ausgefallenen Geschäftszahlen, sondern der Ausblick für langfristig orientierte Anleger: In China sei die Talsohle bald erreicht, ein sich verbesserndes Konsumentenvertrauen könne im Laufe des Jahres 2025 ein Katalysator sein. Und auch in den USA werde sich die Lage voraussichtlich nächstes Jahr verbessern.
Der Stifel-Experte ist keine Ausnahme. Zwei Drittel der Analysten haben gemäss Angaben von Bloomberg eine Kaufempfehlung für LMVH abgegeben. Der Expertenkonsens geht von einem Kursziel von 706 Euro aus, was gegenüber den aktuellen Notierungen ein zwölfprozentiges Aufwärtspotenzial bedeutet. Allerdings gibt es auch Schattierungen: Der Anteil der Buy-Ratings an allen Einstufungen ist seit September von 72 auf 67 Prozent gesunken, und erstmals seit Mitte Jahr liegt eine Verkaufsempfehlung vor. Sie geht mit einem Kursziel von 618 Euro einher.
Anders als zu LVMH stellt sich die Fachwelt zum Luxusproduktekonzern Kering. Der Tenor lautet «Halten», daneben gibt es doppelt so viele Verkaufs- wie Kaufempfehlungen. Zu den Pessimisten gehört die US-Grossbank Goldman Sachs. Im Oktober ging sie von «Hold» auf «Sell». Die Begründung: Das von der chinesischen Geld- und Wirtschaftspolitik aufgesetzte Massnahmenpaket werde die Konsumausgaben im oberen Preissegment in naher Zukunft nicht ankurbeln.
Der Goldman-Sachs-Kommentar trug zum Kursverfall der Kering-Aktie ab Ende September bei. Es ging von 267 auf 216 Euro hinunter - ein Mehrjahrestief, das nicht mehr unterschritten wurde. Selbst nachdem das Unternehmen Ende Oktober einen Umsatzrückgang um einen Sechstel im dritten Quartal berichtete, sank die Aktie kaum. In den Tagen nach der Quartalsberichterstattung zog sie sogar rund sechs Prozent an.
Mit den aktuellen Notierungen um 242 Euro ist Kering allerdings weit vom Allzeithoch bei 798 Euro per August 2021 entfernt. Eine kräftige Kurserholung ist nicht zu erwarten - zumindest dann nicht, wenn die Schätzungen der UBS zutreffen. Die zuständige Analystin geht davon aus, dass der «Gucci»-Konzern Umsatz und Gewinn bis 2026 zwar verbessern kann, mit dem Zahlenwerk aber unter dem Abschluss des Jahres 2023 bleiben wird.
Nicht Luxusgütersegment, auch Automobilbranche und Industrie ist von China betroffen
Chinas wirtschaftliche Probleme betreffen nicht nur den Luxusgütersektor, sondern auch die Industrie. Ein Beispiel ist der Komponentenhersteller LEM. Das Unternehmen aus Meyrin machte im Geschäftsjahr 2023/24 zirka 30 Prozent des Umsatzes in China, im ersten Quartal des laufenden Geschäftsjahres waren es 40 Prozent.
Die Präsenz im Reich der Mitte schlägt auf die Umsätze durch. Laut Erstquartalsbericht vom Juli sank der Absatz in China um 20 Prozent und total um 28 Prozent. Im zuvor abgeschlossenen Geschäftsjahr 2023/24 war der Effekt deutlicher: Die Verkäufe in China in gingen zu konstanten Wechselkursen um 15 Prozent zurück, während sie in den anderen Weltregionen zunahmen. Im Raum Europa, Mittlerer Osten und Afrika (EMEA) sowie im Rest von Asien betrug das Plus 26 Prozent, in Amerika knapp zwei Prozent.
Alles in allem verzeichnete LEM im Geschäftsjahr 2023/24 einen Umsatzzuwachs von 7,2 Prozent zu konstanten Wechselkursen - der Rückgang in China hatte das positive Abschneiden in anderen Regionen zu einem guten Teil neutralisiert. «LEM sah sich auf dem chinesischen Markt mit einem schwierigen Umfeld konfrontiert», erklärte das Management zum Geschäftsgang im Reich der Mitte.
Sowohl nach dem Bericht zum Gesamtjahr 2023/24 als auch nach dem jüngsten Erstquartalsbericht fiel die LEM-Aktie deutlich - einmal um 7 und einmal um 15 Prozent. Das Minus seit Anfang Jahr beträgt 41 Prozent. Gegenwärtig notieren die Valoren des Komponentenherstellers um 1200 Franken. Zum Allzeithoch von 2690 Franken per Ende 2021 ist ein Verlust von 55 Prozent aufgelaufen.
Das Management sieht allerdings «erste Anzeichen einer Stabilisierung in China». Analysten haben ihre Kursziele seit der letzten Berichterstattung zwar gesenkt. Der Konsens - 1586 Franken - liegt zurzeit aber über dem aktuellen Preis. Das Aufwärtspotenzial beträgt 32 Prozent. Unterstrichen wird diese optimistische Einschätzung durch einen hohen Anteil von Kaufempfehlungen: 85 Prozent Experten stufen die LEM-Aktie mit «Buy» ein. Im Juli waren es noch 33 Prozent.
Dass ein zyklisches Geschäft wie die Automobilbranche von Schwächen einer relevanten Volkswirtschaft wie China betroffen ist, zeigt sich an Mercedes-Benz. Am vergangenen Freitag berichtete der Stuttgarter Automobilkonzern von einem fünfprozentigen Umsatzrückgang in den ersten neun Monaten des Jahres. Der Gewinn ging um gut einen Drittel zurück. Wie das Management unter anderem erklärte, sei der chinesische Markt gerade im Premium- und Luxussegment schwach geblieben.
Die Aktie verlor am Tag der Berichterstattung zwar 1,5 Prozent. Ein grösserer Verlust blieb aus, da die schlechten Nachrichten wohl teilweise schon vorweggenommen wurden. Denn im September stutzte Mercedes-Benz den Ausblick für das Gesamtjahr. Das Wirtschaftswachstum in China habe aufgrund des schwächeren Konsums sowie des anhaltenden Abschwungs im Immobiliensektor weiter an Dynamik verloren, hiess es damals. In der Folge sackte die Aktie um über sieben Prozent ab.
Analysten sind aber grundsätzlich durchaus positiv gestimmt, manche sehen die Aktie auf über 70 oder sogar über 100 Euro steigen. Sie unterstreichen ihre Einschätzung mit Kaufempfehlungen. Die wichtigsten Kennziffern des Autobauers zum dritten Quartal 2024 hätten seine Prognosen zwar verfehlt, schrieb beispielsweise der zuständige Analyst von Warburg Research. Er geht aber davon aus, dass sich die Geschäftsentwicklung im vierten Quartal bessern wird.
Wirken die Konjunkturmassnahmen nachhaltig?
Kurzfristig hat das chinesische Konjunkturpaket etwas ausgelöst. Chinas Börsen sind Ende September auf den höchsten Stand seit 1992 gestiegen, und auch von Chinas Wirtschaft abhängigen Schweizer und europäischen Aktien haben deutlich angezogen - beispielsweise Swatch.
Fraglich ist nun, ob der Stimulus nachhaltig wirkt. Raiffeisen-Anlagechef Matthias Geissbühler ist skeptisch. Die Massnahmen würden «den Konsum kaum nachhaltig befeuern können». Teil der Erklärung ist der Umstand, dass die eigene Immobilie für die meisten Chinesinnen und Chinesen den grössten Vermögenswert darstellt. Er hat unter der Preiskorrektur der jüngeren Vergangenheit gelitten. Die Reaktion der Menschen war: Mehr Sparen. Vom verfügbaren Einkommen legen Chinesinnen und Chinesen derzeit fast 45 Prozent auf die hohe Kante, schätzt Geissbühler. Weiter sagt er: «Nicht zuletzt auch wegen der sehr schlecht ausgebauten Gesundheits- und Altersvorsorge dürften die Sparquoten kaum stark sinken.» Am ehesten könnten fiskalpolitische Massnahmen wie eine Senkung der Einkommens- oder Konsumsteuern helfen. «Aufgrund der hohen Staatsverschuldung in China ist der Spielraum dafür aber begrenzt», so der Raiffeisen-Anlagechef.