Eine Gruppe von Ökonomen der Universität St. Gallen (HSG) berichtet von knapp 407 Prozent Rendite in zehn Jahren - erzielt durch eine Anlagestrategie, die sie selbst formuliert und durchgespielt haben. Annualisiert ergab sich eine Rendite von 17,6 Prozent. 

Die Investmentstrategie schnitt damit besser ab als der S&P 500 Equal Weight Total Return Index, den die Wirtschaftswissenschaftler als Benchmark herangezogen hatten. Die Differenz der Erträge habe fast 238 Prozentpunkte betragen, heisst es in dem Forschungspapier, das die Resultate zusammenfasst.

Die HSG-Ökonomen basieren ihre Anlagestrategie auf ökonomischen Gewinnen. Dies ist ein Konzept, das sie schon im September 2023 in ihrem Projekt «Crux of Capitalism» genauer beschrieben hatten. Sie unterscheiden es von den Finanzkennzahlen, die aus der gewohnten Rechnungslegung hervorgehen - zum Beispiel also vom Gewinn vor Zinsen und Steuern (Ebit).

Berücksichtigt werden bei den ökonomischen Profiten insbesondere Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FE) sowie andere als freiwillig eingestufte Ausgaben, beispielsweise für Werbung. Die Autoren um den Wirtschaftsprofessor Simon Evenett argumentieren, die gewohnten Rechnungslegungskennzahlen würden innovative Firmen, die hohe FE-Ausgaben haben, schlecht aussehen lassen. Dabei seien diese Ausgaben gerade die Saat für künftiges Wachstum.

Sie geben das Beispiel des Chipherstellers Nvidia. Dessen finanzbuchhalterischer Profit habe sich im Jahr 2022 auf 5,6 Milliarden Dollar belaufen. Derweil habe der ökonomische Gewinn 8,8 Milliarden Dollar betragen.

Feste Regeln für die Auswahl von Aktien

Die auf ökonomischen Profiten abstellende Investmentstrategie folgt festen Regeln: Die Ökonomen gingen von den 500 grössten US-Unternehmen per Ende Dezember 2013 aus; massgebend war die Marktkapitalisierung. Dann wurden die Firmen nach ihren ökonomischen Gewinnen sowie nach dem Verhältnis dieses Gewinns zum Eigenkapital rangiert. Unternehmen, deren ökonomischer Gewinn weniger als halb so gross war wie der finanzbuchhalterische Gewinn, wurden aussortiert. Ausgeschlossen wurden zudem Unternehmungen mit einem hohen Konkursrisiko.

Letztlich blieb ein gleichgewichtetes Aktienportfolio, das die Top-20 Unternehmen enthielt. Dieses Portfolio liessen die Ökonomen während des Jahres 2014 unverändert. Zum Jahresende wiederholten sie den Anlageprozess und passten das Set der ausgewählten Unternehmen an. Dies wiederholten die Forscher während zehn Jahren - bis 2023.

Sie wollen mit ihrem Projekt zwar keine Anlageempfehlung abgeben. Sie stellen angesichts der Resultate ihrer Investmentstrategie - über 400 Prozent Rendite in zehn Jahren - aber heraus, die Börse belohne Firmen mit herausragender Wertschöpfung.

Anlagestrategie stösst zunächst auf positive Resonanz

Zwei von cash.ch angefragte Experten können dem Vorgehen der HSG-Ökonomen auch Positives abgewinnen.

Für Karsten Junius, Chefökonom der Bank J. Safra Sarasin, sprechen die Ergebnisse des Papier erstmal für sich. Das heisse allerdings nicht, «dass die gleiche Strategie auch in den nächsten zehn Jahren Übergewinne abwerfen würde.» Dies sei das Schicksal vieler Handelsregeln.

Thomas Stucki, Anlagechef der St. Galler Kantonalbank, erachtet es als grundsätzlich richtig und nachvollziehbar, dass der ökonomische Profit für die Aktien eine wichtige Rolle spielt. «Damit die Aktien langfristig die Anlegerinnen und Anleger überzeugen, müssen sie einen ökonomischen Mehrwert schaffen. Dazu gehören auch signifikante und effizient eingesetzte Aufwendungen für Forschung und Entwicklung», so Stucki.

Gewicht von Technologie-Aktie nahm zu

Über die Zeit hinweg sind Unternehmen und Branchen unterschiedlich stark im Portfolio der HSG-Ökonomen vertreten gewesen. Nvidia beispielsweise taucht erstmals im Jahr 2017 auf und hat die Selektion seither stets geschafft. Anders lief es für Apple. Das Technologieunternehmen aus Cupertino war bis 2019 dabei und ist seither nicht mehr im Portfolio erschienen. Sprich: Die Anlagestrategie hat Apple aussortiert.

2014, dem ersten Jahr, für das die Investmentstrategie angewendet wurde, tauchten vier Technologieunternehmen im Portfolio auf. 2015 waren es fünf, 2016 wieder vier. Im Jahr 2019 enthielt das Portfolio zehn Tech-Firmen - so viel wie in keinem anderen der zehn Jahre, welche die Ökonomen betrachtet hatten. Von 2020 bis 2023 stammten zwischen sieben und neun der total 20 ausgewählten Unternehmen aus dem Technologiesektor. Hinzu kamen in diesen Jahren zwei Aktien, welche die Autoren unter Kommunikationsdienste einreihen: Alphabet und Meta.

Das Aufkommen von Tech-Werten ist auch Karsten Junius aufgefallen. Was zu beachten sei, sagt er: Diese Handelsregeln führten - wie andere auch - zu einer unterschiedlichen Sektorkomposition eines Portfolios, in diesem Fall anscheinend zu einem höheren Anteil an Technologiefirmen. «Wenn die dadurch übergewichteten Sektoren in der Zehn-Jahresperiode besser laufen als andere Sektoren, kann sich so eine Überperformance ergeben, auch ohne dass das zunächst zur Filterung der Firmen verwendete Kriterium tatsächlich ausschlaggebend war», so Junius.

Auch Thomas Stucki gibt zu bedenken: «Die Überperformance der letzten Jahre stammt zum grossen Teil aus der starken Gewichtung der Tech-Titel wie Nvidia, welche aussergewöhnlich stark gelaufen sind.» Das gelte insbesondere für 2023. 

Die Investmentstrategie sei aufgrund der Konzentration der Branchen und der Titel mit mehr Risiken verbunden als dargestellt. Er glaube nicht, dass die Strategie in schwierigen Zeiten weniger verliert als der Vergleichsindex - und zwar aufgrund «der Konzentration auf wenige Aktien und dem Schwergewicht im Tech-Sektor».

Reto Zanettin
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