Désirée Velleuer ist CEO von Swissrex in Liechtenstein - die Firma fungiert als Advisor eines aktiv verwalteten Crypto Funds - und der Beratungsfirma Crypto Consulting in Zürich, die den Fonds vertreibt. Désirée Velleuer hat die Firmen, die in der Schweizer Krypto-Szene stark beachtet werden, zusammen mit Reto Stiffler gegründet. Die beiden ehemaligen Fondsmanager des Vermögensverwalters GAM sind die führenden Köpfe und Partner der Unternehmen.
cash.ch: Frau Velleuer, der Bitcoin ist in den letzten Monaten von über 60'000 kurz auf unter 30'000 Dollar gefallen. Wie beurteilen Sie diesen Rückgang?
Désirée Velleuer: Der faire Wert, den wir für den Bitcoin ausrechnen, liegt bei 35'000 US-Dollar. Der aktuelle Kurs befindet seit Ende Mai ungefähr auf dieser Höhe. Deshalb haben wir zum ersten Mal in diesem Jahr wieder Bitcoin für das Portfolio gekauft. Bis vor wenigen Wochen hatten wir im 2021 keine Bitcoin.
Welche Währungen leiden derzeit besonders unter der Ausverkaufswelle?
Wir sehen derzeit vor allem einen Ausverkauf bei Zahlungstokens wie Ripple oder Dogecoin. Das ist eigentlich ein gutes Zeichen. Denn sie haben nach unserer Meinung keinen Wert. Sie werden durch Stable Coins ersetzt werden, also durch digitale Währungen, die an einen bestimmten Vermögenswert ausserhalb der Cryptowelt gebunden sind. Die Marktdominanz von Bitcoin hat dadurch wieder leicht gewonnen und ist von 40 auf 47 Prozent angewachsen. Die Bitcoin-Dominanz hat sich in den letzten Jahren in einem Kanal zwischen 30 und 70 Prozent bewegt. Je tiefer diese Marktdominanz, desto mehr Bitcoin kaufen wir. Und je höher die Bitcoin-Marktdominanz, desto mehr setzten wir auf Altcoins (alle Cryptowährungen, die nach Bitcoin erfunden wurden, Anm. der Red.)
Wie lässt sich ein 'fairer Wert' des Bitcoin überhaupt errechnen?
An den Crypto-Börsen werden etwa 6000 Tokens gehandelt. Viele davon sind wertlos und haben keine Liquidität. Wir beobachten die grössten 50 Tokens, allerdings ohne Stable Coins. Wir unterteilen die von uns beobachteten Tokens in zwei Gruppen: Eine mit und eine ohne Cash Flow. Zu letzterer gehört Bitcoin, der ja ähnlich wie Gold keine Zinsen oder Auszahlungen hat. In unser Bewertungsmodell des Bitcoin fliesst der Realzins der Fiat-Welt, die Inflation und die Umlaufgeschwindigkeit. Also die Frage, wie schnell ein Token die Hand wechseln kann. Je schneller dies passiert, desto grösser ist der verwässernde Effekt auf den Preis.
Und die Gruppe der Tokens mit Cash Flow?
Das ist der dezentrale Finanzbereich, und das ist derzeit sehr spannend. Hier kann man traditionelle Bewertungsmodelle anwenden. Beim Sushi Token zum Beispiel, einer dezentralen Börse vergleichbar mit dem Nasdaq in der alten Welt, werden Token gehandelt wie Aktien. Dadurch werden Gebühren generiert, welche wie Dividenden ausgeschüttet werden. Daraus lässt sich ein ganz normales Kurs-Gewinn-Verhältnis errechnen. Für Sushi und andere Token aus dem dezentralen Finanzbereich sehen wir sehr grosses Aufwärtspotenzial.
Welchen fairen Wert für den Bitcoin haben Sie mittel- und langfristig errechnet?
Bis Ende 2021 sind dies 40'000 Dollar, 50'000 Dollar bis Ende 2022 und bis 2025 100'000 Dollar. Sollte der Hype um Bitcoin wieder einsetzen, könnte der Preis allerdings schon nächstes Jahr bis auf 100'000 Dollar steigen.
Bis zum nächsten 'Halving' 2024 haben Sie ein Preisziel von 80'000 Dollar. Halten Sie daran fest?
Ja, sollten sich aber die Zinsen deutlich verändern, hätte dies sicher einen Einfluss auf dieses Preisziel.
Welche Auswirkungen hätten höhere Zinsen auf die Kryptowelt?
Höhere Zinsen sind grundsätzlich eher negativ für Gold oder Bitcoin.
Was braucht es, damit sich die derzeit eher schlechte Stimmungslage bei Krytowährungen wieder aufhellt?
Geduld. Und auf die richtigen Token setzen. Wir fanden schon lange, dass der Markt überbewertet ist. Deshalb haben wir unsere Marktexponierung stark reduziert, unser Netto-Exposure liegt aktuell bei 35 Prozent. All die externen Faktoren oder Influencer wie Elon Musk waren für uns keine massgebenden Gründe für die Korrektur, höchstens der letzte 'Trigger'. Zahlungstokens mit wenig bis keinem Wert haben endlich stark korrigiert, die Bitcoin-Dominanz steigt an, die Future-Kurve flacht ab. All dies zeigt, dass die Spekulation abflacht und eine Bodenbildung bei Bitcoin zwischen 25'000 und 30'000 Dollar stattfinden könnte.
Anlagevehikel wie Dogecoin sind ja nicht besonders reputationsfördernd für den Gesamtmarkt.
Dogecoin ist ein typisches Zeichen eines ‘Hypes’. Eine solche Phase hatten wir bereits 2017. Dann fängt der Zyklus quasi wieder von vorne an. Nach einem Rückgang wie damals kaufen Investoren nur Bitcoin, was dann dazu führt, dass einige qualitativ hochwertige Altcoins günstig bewertet sind, die dann ihrerseits nach und nach wiederentdeckt werden. Am Ende des Zyklus wird wieder alles Mögliche und Unmögliche gekauft. Dann heisst es, rechtzeitig auszusteigen, bevor die Korrektur kommt. In dieser Phase ist die Asset Allokation wichtiger als die Token-Selektion.
Zahlungstoken wie Dogecoin oder Ripple schwemmt es dann irgendwann mal weg?
Die werden unserer Ansicht nach verschwinden.
Für viele Leute besteht die Crypto-Welt bloss aus Bitcoin und Ethereum...
Das sind zwei völlig verschiedene Geschäftsmodelle. Bitcoin ist unserer Meinung nach ein Wertaufbewahrungsmittel. Etherum ist eine Plattform und das Betriebssystem der Blockchain, vergleichbar etwa mit Windows in der traditionellen Welt. Wir sehen ein grosses Potenzial bei Ethereum.
Wie setzt sich Ihr Crypto-Fund zusammen derzeit?
Momentan sind wir sehr konservativ exponiert, also zu etwa 35 Prozent. Derzeit nutzen wir die Korrektur zum Aufbau von Positionen. Wir setzen wie gesagt auf Bitcoin und Tokens wie Sushi, Aave oder Synthetix. Also dezentrale Börsen oder Banken, die nur noch auf Software basieren. Für den Regulator ist es übrigens sehr schwierig, hier einzuschreiten. Es gibt keinen zentralen Anlaufpunkt mehr, sondern bloss noch Programmierer und Software. Diese neuen Geschäftsmodelle könnten sehr disruptiv werden für traditionelle Finanzinstitute.
Wie funktionieren die Abläufe beim Investieren?
Unsere Depotbank ist die Sygnum Bank in Zürich. Sie hält unsere Tokens, wobei der grösste Teil vom Internet abgetrennt auf Hardware-Sicherheitsmodulen irgendwo im Alpenmassiv gelagert ist. Aus Trading-Gründen ist ein kleiner Teil der Tokens ans Internet angeschlossen. Wir arbeiten beim Brokerage und bei der Aufbewahrung mit zwei weiteren Schweizer Partnern zusammen. Wir handeln zum Teil auch direkt an den drei grössten Crypto-Börsen.
Wie schwierig war es, Geld einzusammeln?
Der Fonds wurde vor etwas mehr als drei Jahren lanciert. Wir fanden Investoren, aber die Banken zeichneten einfach keine Cryptofonds für ihre Kunden. Das war für uns anfänglich ein grosses Problem. Letztes Jahr lancierten wir dann ein Tracker-Zertifikat, mit denen qualifizierte Investoren Fondsanteile kaufen können. Investoren legten zu Beginn zwischen 10'000 und 100'000 Franken an, letztes Jahr wurden die Beträge dann grösser. Heute haben wir 100 Millionen Franken an verwalteten Vermögen im Fonds.
Wer sind die Investoren?
Das sind primär Family Offices und Vermögensverwalter. Es sind auch vier verschiedene Crypto-Fund-of-Funds investiert, drei Stiftungen und mit Alpine Select eine börsenkotierte Gesellschaft. Auch die ersten Freizügigkeitsgelder fliessen in den Fonds.
Sie haben eine klassische Banklaufbahn gemacht: HSG-Abschluss, Credit Suisse, dann Co-Managerin eines Drei-Milliarden-Aktienfonds bei GAM. Warum haben Sie diese Welt verlassen?
Ich habe die Konsolidierung als belastend empfunden. Es gab kein Wachstum, der Druck auf die Gebühren stieg laufend. Ich sah auch, dass ich meine eigenen Ideen nicht schnell genug umsetzen konnte. Ich entdeckte im Crypto-System ein neues, wachsendes Ökosystem, wo ich jeden Tag eine steile Lernkurve habe.