Der Euro ist wieder einmal zum Brennpunkt an den europäischen Devisenmärkten geworden. Nachdem Ende Mai noch viele Marktkommentatoren beim Stand von etwas mehr als 0,99 Euro pro Franken ein baldiges Erreichen der Parität in Aussicht gestellt hatten, ist genau das Gegenteil eingetreten. Innerhalb von drei Wochen erlebte der Euro zum Franken einen abrupten Rückgang von vier Prozent. Am Montag steht der Euro leicht höher bei 0,9542 Franken.

Die Stärke des Frankens zum Euro führte zu einer anderen Markterwartung für die Sitzung der Schweizerischen Nationalbank (SNB) am kommenden Donnerstag. Im Soge der Verunsicherung vor den anstehenden Wahlen in Frankreich erwarten gemäss der Nachrichtenagentur Reuters nun drei von vier Ökonomen eine Senkung. Vor Wochenfrist waren die Meinungen noch fünfzig zu fünfzig geteilt, ob die hiesigen Währungshüter den Leitzins im Juni um 0,25 Prozent senken würden. Die SNB müsse eine weitere Senkung durchführen, sonst könnte der Euro zum Franken noch stärker fallen, so die Annahme. 

Für die Strategen der ING Bank macht diese Logik Sinn, schieben allerdings ein Aber hinterher. Es wird argumentiert, die SNB möchte mit einer zweiten, aufeinanderfolgenden Zinssenkungen kein Signal senden. Die SNB könnte demnach mit dem Inflationsprofil zufrieden sein, schreibt Chris Turner, Leiter globale Märkte bei ING Bank, in einer Kundennotiz.

Er verweist dabei auch auf die jüngsten Reden des SNB-Vorsitzenden Thomas Jordan über die verbleibenden Aufwärtsrisiken bei der Inflation. Er erwartet deshalb weiter einen Euro, der sich zum Franken in einem Bärenmarkt befindet angesichts der anhaltenden Herausforderungen der französischen Politik und des Risikos, das die SNB ihre Zinsen doch nicht weiter senkt. 

Nachdem die SNB im März den Zins gesenkt hatte, ist der Druck nach der Zinssenkung der Europäischen Zentralbank (EZB) gering, erklärte Thomas Stucki, Anlagechef der St. Galler Kantonalbank im cash-Interview letzte Woche. Die nach oben angepassten Markterwartungen an die EZB und die amerikanische Notenbank Fed reduzieren den Druck für eine rasche Zinssenkung durch die SNB zusätzlich. Deshalb erwartet Stucki die nächste Zinssenkung durch die SNB erst im September.

Ob Juni oder September ist egal

Ob die Zinssenkung im Juni oder September erfolgt, ist für Commerzbank-Experte Ulrich Leuchtmann hingegen von nachrangiger Bedeutung. «Die Schweizerische Nationalbank hat ein Luxusproblem. Sie ist eine der wenigen Notenbanken weltweit, welche die Inflation nach dem globalen Inflationsschock wieder dort hat, wo sie sein sollte.» Genauer gesagt ist sie eher zu tief als zu hoch und liegt mit 1,4 Prozent (Kerninflation 1,2 Prozent) gut im Zielbereich von null bis zwei Prozent.

Statt sich mit der «letzten Meile» der Inflationsbekämpfung zu beschäftigen, fokussiert die SNB darauf, ob die Abwärtsdynamik der Inflationsrate ausreichend gut aufgefangen werden kann. Insofern wäre ein Zinsschritt diese Woche denkbar.

Die Frankenbewertung spielt dabei im Moment keine Rolle, betont Leuchtmann. «Würde die SNB beim nächsten Mal die Zinsen senken, aber ankündigen, dass sie keine Eile mit weiteren Zinssenkungen hat, wäre das Ergebnis vermutlich sehr ähnlich einer Situation, in der der Leitzins nicht gesenkt wird, die SNB aber eine weitere Zinssenkung in naher Zukunft in Aussicht stellt.»

An dem Punkt, an dem sich die Nationalbank im Zinszyklus befindet, dürften Timing-Fragen weit weniger relevant sein als zum Beispiel bei der EZB oder der Fed. Letztere beschäftigen sich damit, wie sie auf unklare Inflationssituationen reagieren, während es den Schweizer Währungshütern darum geht, die Inflation möglichst nahe am Zielkorridor zu halten.

Dies ist eine Phase, die viel weniger gefährlich ist, daher ist das Timing einzelner Zinsschritte nicht so entscheidend. «Ich will die Spannung nicht verderben, aber ich bin weit weniger gespannt auf den Entscheid der SNB, als es in letzter Zeit der Fall war», so Leuchtmann. 

Thomas Daniel Marti
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