Russland, das seinen Nachbarn vor gut zwei Jahren angriff, wurde zu dem Mitte Juni bei Luzern stattfindenden Gipfel nicht eingeladen. Entsprechend bescheiden sind die Erwartungen. Westlichen Diplomaten und Schweizer Experten zufolge arbeitet der Gipfel nicht darauf hin, den Krieg zu beenden, sondern die Risiken der Invasion einzudämmen und Russland zu isolieren.

Der ehrgeizigste internationale Vermittlungsversuch der Schweiz seit vielen Jahren zeigt auch, dass das neutrale Land im Konflikt mit Russland immer näher an Westeuropa rückt. «Wir werden weder von Russland noch von unseren westlichen Alliierten als neutral wahrgenommen,» sagt Thomas Borer, der ehemaliger Schweizer Botschafter in Deutschland.

Die Schweiz erklärte sich im Januar auf Bitte des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bereit, die Konferenz zu organisieren. Zur Konferenz am 15. und 16. Juni in einer Hotelanlage im Staatsbesitz des Emirates Katar hat Aussenminister Ignazio Cassis über 160 Delegationen eingeladen. Die Schweiz legt grossen Wert darauf, auch russische Verbündete einzubeziehen.

Dazu gehört insbesondere China, das nach eigenen Angaben eine Teilnahme erwägt. In Europa findet Bern zunehmend Unterstützung für das Unterfangen. So bestätigte der deutsche Kanzler Olaf Scholz kürzlich seine Teilnahme.

Der Fokus werde eher darauf liegen, der Ukraine den Rücken zu stärken statt auf einem «Brückenbau zum unmittelbaren Frieden», umreisst Daniel Woker, ehemaliger Schweizer Botschafter in Australien, Singapur und Kuwait, die Ziele der Konferenz.

Dem Aussenministerium in Bern zufolge soll das Treffen auf dem Berg Bürgenstock hoch über dem Vierwaldstättersee den Weg zu einem «zukünftigen Friedensprozess» ebnen. Der Gipfel werde sich auf Themen von globaler Bedeutung wie nukleare Sicherheit, Freiheit der Schifffahrt, Lebensmittelsicherheit und humanitäre Aspekte konzentrieren.

Die Regierung betonte, Russland müsse in den Prozess einbezogen werden. Das Ausbleiben einer Einladung begründete sie damit, dass Moskau wiederholt erklärt hatte, es habe kein Interesse an einer Teilnahme. Der Kreml bezeichnete die Schweiz als «offen feindselig». Insbesondere wegen ihrer Beteiligung an den EU-Sanktionen gegen das Land sei die Schweiz nicht fähig, bei Friedensbemühungen zu vermitteln.

Die Schweiz als Trittbrettfahrerin?

In einer Stellungnahme des Schweizer Aussenministeriums hiess es, das Land sei «dauernd neutral». Daran ändere auch die Ausrichtung der Konferenz nichts. «Neutral sein heisst aber nicht, gleichgültig sein. Die Schweiz verurteilt die Aggression Russlands gegen die Ukraine scharf,» heisst es vom Ministerium. «Ausserhalb des militärischen Bereichs steht das Neutralitätsrecht der Solidarität und Unterstützung der Ukraine und ihrer Bevölkerung nicht im Weg.»

Borer verweist darauf, dass die Geschäfts- und Sicherheitsinteressen der Schweiz eng an Westeuropa, Nordamerika und ihre Verbündeten geknüpft seien. Entsprechend sei es strategisch unerlässlich, an der Seite der Ukraine zu stehen. Daran änderten auch Neutralitätsbeteuerungen der Regierung nichts. Rund zwei Drittel der Schweizer Exporte gehen nach Nordamerika, in die EU, nach Grossbritannien, Japan und Australien. Weniger als ein Prozent entfällt auf Russland.

Befürworter einer stärkeren Ausrichtung auf den Westen weisen ausserdem darauf hin, dass die Schweiz fast vollständig von Nato-Staaten umgeben ist, die als Schutz gegen mögliche Angriffe von aussen dienen. «Neutralität ist eine Ausrede für ein Land, das im Grunde eine Trittbrettfahrerin von jener Sicherheit ist, für die sich andere einsetzen,» sagte die sozialdemokratische Abgeordnete Franziska Roth.

Als UN-Mitglied sei die Schweiz verpflichtet, das internationale Völkerrecht einzuhalten, gegen das Russlands Angriff auf die Ukraine verstossen habe. Der Ukraine dabei zu helfen, habe Vorrang vor veralteten Vorstellungen von Neutralität.

Neutralität wurde 1815 nach der Niederlage Napoleons anerkannt

Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine sind mit Schweden und Finnland zwar zwei andere traditionell neutrale Staaten der Nato beigetreten. In der Schweiz zeichnet sich eine ähnlichen Entwicklung aber nicht ab. Die Neutralität sei fest in der Schweizer Psyche verankert, erklärt der ehemalige Botschafter Woker. Sie aufzugeben wäre, wie wenn Grossbritannien die Monarchie abschaffen würde.

Nach einer im März von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich veröffentlichten Studie sind 91 Prozent der Schweizer der Meinung, dass das Land neutral bleiben sollte. Allerdings sprachen sich auch 26 Prozent dafür aus, in militärischen Konflikten im Ausland klar Stellung für eine Seite zu beziehen. Dies entspricht einem Anstieg von acht Prozentpunkten gegenüber 2021. Eine Mehrheit vertrat zudem die Meinung, dass sich die Schweiz der Nato annähern sollte.

Ex-Diplomat Woker und andere Kritiker argumentieren, dass die Neutralität ein Anachronismus sei, der als Vorwand zum Schutz der wirtschaftlichen und finanziellen Interessen der Schweiz genutzt werde und der Gefahr einer Isolation Vorschub leiste. Die schweizerische Neutralität wurde 1815 nach der Niederlage Napoleons von den europäischen Mächten anerkannt und im Haager Abkommen von 1907 verankert. Sie trug dazu bei, die mehrsprachige Konföderation während der beiden Weltkriege zusammenzuhalten.

Die Schweizerische Volkspartei (SVP) will an der bisherigen Auslegung der Neutralität nicht rütteln. Für die grösste Partei des Landes ist sie ein wesentlicher Bestandteil des Wohlstands der Schweiz. Die Unterstützung für die Ukraine untergrabe diese Position.

Die SVP hat eine Volksabstimmung zur Verankerung der Neutralität in der Verfassung auf den Weg gebracht, die voraussichtlich nicht vor 2025 stattfinden wird. Die prägende Figur der Partei der vergangenen Jahrzehnte, Christoph Blocher, kritisierte den Friedensgipfel kürzlich. Es sei kein gutes Zeichen, Russland nicht einzuladen. «Jetzt holen wir nur die Ukraine,» erklärte der Milliardär. «Und wir sagen wir sind neutral.»

(Reuters)