cash.ch: Herr Dorn, der Populismus ist in den westlichen Demokratien im Aufwind. Wie erklären Sie sich das?

David Dorn: 2016 ist in den USA plötzlich überraschend der Unternehmer Donald Trump in den Meinungsumfragen für die republikanische Präsidentschaftskandidatur nach oben geschossen. Verschiedene Medien wie die «New York Times» spekulierten, dass dies mit Jobverlusten infolge der chinesischen Handelskonkurrenz zusammenhängt. Zu diesem Thema hatte ich bereits ein Forschungsprojekt am Laufen. Dieses hat nachgewiesen, dass Donald Trump schliesslich grössere Wahlerfolge erzielt hat in Regionen, die besonders von Importkonkurrenz und Jobverlust im Industriesektor betroffen waren.

Lässt sich das auch auf Europa übertragen?

​Mittlerweile zeigen verschiedene wissenschaftliche Studien, dass in Frankreich und Deutschland Rechtsaussen-Parteien in Regionen profitiert haben, die unter chinesischer Importkonkurrenz gelitten haben. Und Studien aus England zeigen, dass in in solchen Gebieten stärker für den Brexit votiert wurde.

Warum wählen diese Globalisierungsverlierer nicht linke Parteien? 

In den USA führte der Niedergang des Industriesektors zu einem Rechtsruck in Regionen mit überwiegend weisser Bevölkerung. In Orten mit einer mehrheitlich schwarzen oder hispanischen Bevölkerung gab es dagegen eine politische Verschiebung nach links. 

Wann und wie folgte der Schock durch chinesische Exporte?

In den 1990er und 2000er Jahren fand eine umfangreiche Globalisierungswelle statt, mit einer dramatischen Zunahme des Güterhandels. Ein wichtiger Treiber dieser Welle war die wirtschaftliche Öffnung Chinas, dem damals bevölkerungsreichsten Land der Welt, das zuvor weitgehend vom Aussenhandel abgeschottet war. China führte Reformen durch, die das Land in kürzester Zeit äusserst wettbewerbsfähig in der Produktion verschiedenster Güter machten. Für viele westliche Länder wie die USA oder Grossbritannien bedeutete dies, dass sie plötzlich viel mehr Konkurrenz für ihre Textil-, Möbel-, Spielzeug- und Elektronikindustrie bekamen, während sie gleichzeitig ihre eigenen Güterexporte nach China nicht in vergleichbaren Masse steigerten. Die Schweiz hingegen war eine Ausnahme. 

Wie war die Schweiz eine Ausnahme?

Obwohl hierzulande die Importe aus China ebenfalls stark anstiegen, waren weniger inländische Arbeitsstellen vom Konkurrenzdruck betroffen, die die Produktion in stark betroffenen Branchen wie der Textilindustrie bereits früher aufgrund der hohen Kosten ins Ausland verlagert worden war. Die Schweiz war zudem äusserst erfolgreich darin, eigene Produkte wie Arzneimittel, Maschinen und Luxusgüter wie Uhren nach China zu exportieren. Somit war die Schweiz eines der wenigen westlichen Länder, die einen ausgeglichenen Handel mit China aufrechterhalten konnten. 

Sie untersuchten den Handelskrieg in den Jahren 2018 bis 2019 zwischen den USA und China. Was sind die wichtigsten Lehren daraus?

In diesen zwei Jahren führte die Regierung Trump eine umfangreiche Serie von neuen Zöllen ein, hauptsächlich auf chinesischen Importgüter. Innerhalb weniger Monate stieg der durchschnittliche Zollsatz für chinesische Güter von 3 auf über 20 Prozent. Die amerikanische Regierung begründete dies damit, dass sie damit Jobs in die USA zurückholen wolle, die in den 1990er und 2000er Jahren aufgrund der chinesischen Importe verloren gegangen waren.

Was waren die Folgen?

Unsere Studie zeigt, dass in den Regionen der USA, in denen Branchen durch Importzölle geschützt wurden, entweder gar keine oder nur minimale Zuwächse bei der Beschäftigung zu verzeichnen waren. Im Gegensatz dazu haben Regionen, die von chinesischen Vergeltungszöllen auf Agrargütern wie Soja und Baumwolle betroffen waren, Arbeitsplätze verloren. Insgesamt ergab sich also kein Netto-Jobgewinn aus diesem Handelskrieg. 

Wann macht es überhaupt Sinn, Zölle einzuführen?

In Situationen, in denen die heimische Industrie aufgrund rasch ändernder internationaler Wettbewerbsbedingungen ihre Wettbewerbsfähigkeit schnell verliert und infolgedessen innerhalb kürzester Zeit viele Arbeitsplätze verloren gehen. Ein solcher Fall trat beispielsweise in den 2000er Jahren ein, als die britische Industrie innerhalb von nur acht Jahren, zwischen 1999 und 2007, 30 Prozent aller Jobs verlor. Bei einer solchen massiven Vernichtung von Arbeitsplätzen, die oft mit der Schliessung vieler grosser Fabriken einhergeht, ist es für die betroffenen Erwerbstätigen und Regionen sehr schwierig, wieder den Weg zurück zu wirtschaftlichem Wohlstand zu finden. 

Steckt die Globalisierung in der Krise?

Ja, die Globalisierung befindet sich in einer Krise. Seit dem Zweiten Weltkrieg war ein jahrzehntelang ein Trend zu immer niedrigeren Zöllen zu beobachten. Die Einführung massiver Zölle während des Handelskriegs zwischen China und den USA in den Jahren 2018 und 2019, die kürzlich angekündigten Automobilzölle der USA und EU sowie neue Subventionsprogramme für heimische Industrien stellen einen Paradigmenwechsel dar.

Gibt es in der Geschichte Zeitabschnitte, die ähnliche Entwicklungen mit sich gebracht haben?

Im 20. Jahrhundert hatten wir die Erfahrung, dass der Handel bis in die 1920er Jahre sehr stark war. Doch in den 1930er Jahren, unter dem Eindruck der Grossen Depression, nahmen politische Spannungen zu, während der internationale Handel durch protektionistische Zölle zurückgedrängt wurde. Dieser Rückgang der Globalisierung wurde sowohl durch wirtschaftliche als auch geopolitische Überlegungen getrieben, die auch in der aktuellen Situation eine grosse Rolle spielen.

Zu den Glaubenssätzen der liberalen Ökonomie gehört doch auch, dass die Marktkräfte für Wohlstand für alle sorgen.

Meines Erachtens wird die Wende in der Globalisierung von zwei Entwicklungen vorangetrieben. Zum einen herrschte in den 1990er- und 2000er-Jahren die Überzeugung vor, dass mehr Handel ein Gewinn für alle sei und dass die beteiligten Volkswirtschaften sowie die meisten beteiligten Personen davon profitieren. Erst in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren hat die neuere Forschung jedoch gezeigt, dass in einigen Ländern wie den USA manche Gruppen von Arbeitnehmern sowie bestimmte Regionen und Städte erheblich unter dem zunehmenden Handel gelitten haben. 

Welches ist die zweite bedeutende Entwicklung?

Man glaubte, dass politische Spannungen der Vergangenheit angehören und richtete deshalb die Wirtschaft auf eine möglichst effiziente und kostengünstige globale Produktionsstruktur aus. Die COVID-19-Pandemie hat jedoch gezeigt, dass plötzliche Schliessungen von Landesgrenzen oder der Ausfall von chinesischen Häfen schnell einmal zu Verzögerungen in der Güterversorgung führen können. Zudem kam es zum Angriff auf die Ukraine, gefolgt von Sanktionen und dem plötzlichen Wegfall des günstigen russischen Gases in Westeuropa, sowie zu verschärften politischen Spannungen zwischen den USA und China. Diese Ereignisse verdeutlichen, dass Unternehmen bei der Planung ihrer internationalen Lieferketten vermehrt politische Risiken berücksichtigen müssen, anstatt sich nur auf die Produktion zu niedrigen Kosten zu konzentrieren.

Gibt es auch einen Grund für Optimismus?

Für den internationalen Handel sehe ich im Moment eher ein Potenzial für eine weitere Verschlechterung der Bedingungen. Es ist besorgniserregend zu sehen, dass Zölle politisch sehr populär sind. In den USA hat Donald Trump bereits damit gedroht, dass er bei einer Wiedererlangung der Präsidentschaft einen neuen 10-prozentigen Zollsatz auf Importe aller Länder erheben würde.

Wie problematisch ist die Entwicklung für die Schweiz?

Die aktuelle Entwicklung ist für die Schweiz sehr problematisch. Das Land ist stark vom Aussenhandel abhängig und dabei äusserst erfolgreich. Es besteht das Risiko, dass die Schweiz zum Kollateralschaden globaler Handelskonflikte werden könnte. Wenn sich die grossen Länder beispielsweise verstärkt zu Handelsblöcken formieren, könnten sie von kleineren Ländern wie der Schweiz fordern, nur noch mit dem einen oder dem anderen Länderblock zu handeln. Die Schweiz ist aber an guten Geschäftsbeziehungen mit fast allen Ländern der Welt interessiert.

Der 45-jährige David Dorn ist seit 2014 Professor für Wirtschaft an der Universität Zürich. Er ist und war auch an anderen renommierten ausländischen Universitäten tätig, darunter das Cemfi in Madrid, die Harvard-Universität, das Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston und die University of California in Berkeley. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Arbeitsmärkte, Globalisierung, technologischer Wandel sowie Ungleichheit und Polarisierung in der Gesellschaft. 

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