cash: Die Hypothekarbank Lenzburg unternimmt sehr viel in Sachen Digitalisierung. Ist Ihr Unternehmen eigentlich eine Bank oder ein Fintech?

Marianne Wildi: Das ist die grosse Frage. Was ist Digitalisierung? Was macht eigentlich eine Bank aus? Bankprodukte kann man ja nicht anfassen, sie sind seit jeher digital. Wir sind alle gemeinsam digital unterwegs. Wir leisten uns einfach teilweise noch den komplizierten Prozess mit Papier. Daher frage ich mich, ob die Frage Fintech oder klassische Bank nicht eigentlich eine rhetorische ist. Wichtig ist: Man muss mit Technologie umgehen können, speziell mit Sicherheitstechnologie.

Stichwort Open Banking: Die Hypothekarbank Lenzburg ist Pionierin auf diesem Gebiet und forciert Schnittstellenöffnungen zwischen den Banken. Wünschen Sie sich da mehr Bereitschaft und Engagement von Grossbanken?

Es geht für mich eher um die Bereitschaft von anderen Branchen. Wir leben von Kunden und der Interaktion zwischen den Branchen. Die branchenübergreifende Kooperation ist der Knackpunkt. Die Kooperation zwischen den Banken ist eigentlich gut, auch wenn sich da die Dinge auf der technologischen Schiene auch wieder verändern und entwickeln werden. Das Interessante sind aber branchenübergreifende Netzwerke und die Kunden. Dadurch können neue Produkte und Dienstleistungen entstehen, die man sich heute teilweise noch gar nicht vorstellen kann. Ein strukturierter und effizienter Datenaustausch innerhalb sowie zwischen den Branchen einerseits und zwischen Anbietern und Kunden andererseits kann zu einem Mehrwert für alle Seiten führen. So erst entsteht ein lebendiges Ecosystem.

In der EU ist 2018 eine Richtlinie in Kraft getreten, die eine Öffnung der Programmierschnittstellen vorsieht. Wann kommt eine solches Gesetz in der Schweiz?

Wenn die Kunden das nachfragen. Doch allein von meinem liberalen Gedankengut her halte ich mehr Regulierung für keine gute Idee. Die Banken sollten die Öffnung von Schnittstellen als Chance für neue Geschäftsmodelle erkennen und als Möglichkeit, den Kunden neue, kreative Dienstleistungen anzubieten. Wenn wir das alle erkennen, werden wir freiwillig unsere Schnittstellen öffnen. Es braucht dafür keinen unnötigen aufsichtsrechtlichen Druck. Eine Vorschrift zur Schnittstellenöffnung, wie sie die EU erlassen hat, ist der falsche Weg. Wenn der Staat da Regeln setzt, müssen diese auch überprüft werden. Das dauert und ist unflexibel und bringt wieder sehr viel zusätzlichen Formalismus.

Sie können der EU-Richtlinie nichts Gutes abgewinnen?

Ich finde es gut, wenn die Regeln für einen Datenaustausch klar sowie die Standards für den Meldungsaustausch formuliert sind. Schauen Sie sich e-Government in der Schweiz an…

…dabei geht es um den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien, die es ermöglichen, wichtige Geschäfte mit den Behörden elektronisch abzuwickeln.

Dort werden auch Personendaten definiert. Es sollte branchenübergreifend definiert werden: Wie beschreibe ich eine Person? Einen solchen branchenübergreifenden Standard braucht es in der Schweiz. Dies würde uns in einem gemeinsamen Ecosystem weiterbringen.

Sie kooperieren mit vielen Fintechs, unter anderen mit Neon. Die Mobile-Bank ging mit dem Kernbankensystem Finstar der Hypothekarbank Lenzburg an den Start. Schaufeln Sie damit nicht Ihr eigenes Grab als klassisches Finanzinstitut?

Wenn ich nicht der Überzeugung wäre, dass Konkurrenz etwas Positives ist, hätten wir das schon gar nicht erst gestartet. In einem attraktiven Wettbewerbsumfeld gehört Konkurrenz dazu. Ich sehe jede Bewegung im kompetitiven Umfeld daher als Chance. Und wenn das Modell von Neon durchschlagen wird, sind das auch für uns ‘Good News’. Wir selber wollten das Risiko nicht eingehen, wie Neon den Weg über ein rein mobile-only Angebot einzuschlagen. Das wäre ein zu grosses Experiment, weil wir dafür noch zu sehr eine klassische Bank sind und wir mit unseren bestehenden Kunden, welche unser heutiges Geschäftsmodell schätzen, gut unterwegs sind. Deswegen kooperieren wir mit jungen Tech-Unternehmen wie Neon und bewegen dadurch etwas. Das ist unser Weg. 

Sie wünschen sich einen Krypto-Franken, herausgegeben von der Schweizerischen Nationalbank. Warum?

Das hat einen ganz praktischen Grund. Wir haben ein Blockchain-Projekt am Laufen, welches die Abwicklung von Mietkautions-Konten massiv vereinfachen könnte. Die Technik war ausgelegt auf der Basis von einem Smart Contract…

…also einem digitalen Vertag, der auf der Blockchain-Technologie aufbaut.

Damit wir das erfolgreich umsetzen können, brauchen wir einen digitalen Wert, der nicht so volatil wie der Bitcoin ist, eben den Schweizer Franken. Um das Projekt abzuschliessen, hätten wir also einen solchen digitalen Franken gebraucht. Daher macht es in meinen Augen Sinn, wenn unsere Währung neben dem ‘normalen’ Franken auch noch zu gewissem Teil in Krypto besteht.

Aber das soll von der SNB ausgehen?

Ja. Zuletzt konnte man lesen, dass die SIX an einem eigenen Stable Coin, also einer Kryptowährung mit Kopplung an den Schweizer Franken arbeitet. Ich finde das schade. Das wäre die Aufgabe der Nationalbank. Sie steuert ja schliesslich auch die Geldmenge.

Wenn man die Idee der Blockchain-Technologie zu Ende denkt: Fürchten Sie nicht, als Finanzdienstleister – sei es als klassische Bank oder Fintech – irgendwann obsolet zu werden?

Wissen Sie, Angst ist so ein schlechter Ratgeber. Es gab im Stapferhaus bei uns in Lenzburg einmal eine Ausstellung. Dort ging es unter anderem darum, wie die Leute Angst hatten, als damals das Radio eingeführt wurde. Es gab schon und wird immer wieder viele Ängste bei den Menschen geben, das gehört zu uns. Doch Angst macht unbeweglich und hält einen davon ab, Chancen zu ergreifen. Menschen haben gegenüber Maschinen und Technik andere werthaltige Eigenschaften  wie etwa Emotionen. Ich glaube, wir werden uns auch in Zukunft mit Beratungen und zusätzlichen Dienstleistungen einbringen können und uns gegenüber von Robotern unterscheiden. Das heisst, diese werden uns unterstützen und ergänzen.

Zu den Geschäftszahlen. Die Hypothekarbank Lenzburg erlebte 2018 einen Gewinnrückgang. Was war los?

Wir sind immer noch zu dreiviertel vom Zinsdifferenzgeschäft abhängig. Unser Resultat ist massiv durch das Zinsniveau bedingt, aber wir investieren auch in unsere Zukunft und somit in unsere Mitarbeitenden.

Auch das Hypothekargeschäft ist mit 1,7 Prozent unterdurchschnittlich gewachsen.

Wir wollen keine unnötigen Risiken eingehen, die später auf uns zurückschlagen. Im Hypothekargeschäft Volumen aufbauen, ist aufgrund der tiefen Zinsen heute einfach – zu einfach. Aber das hat nichts mit einem qualitativen Wachstum zu tun. Wir wollen kein Wachstum um jeden Preis und haben uns in diesem Geschäft daher bewusst zurückgehalten.

Glauben Sie, dass wir uns auf eine Immobilienblase zubewegen?

Es gibt sicherlich Regionen, welche durch den Bauboom von Wohnrendite-Liegenschaften exponiert sind und wo Vorsicht geboten ist. Die Tiefzinsphase hat die Preise von Mehrfamilienhäuser stetig in die Höhe getrieben. Ebenso wächst die Anzahl der Leerwohnungen schweizweit.

Wann sind wir die Negativzinsen los?

Ich glaube, in dem wirtschaftlichen Umfeld, in dem wir uns in der Schweiz und international heute befinden, wird der Zins noch relativ lange tief bleiben. 

Das heisst? Ein Jahr, zwei?

Ich bin keine Prognostikerin, aber ich rechne nicht mit kurzfristigen Anpassungen.

Das Interview mit Marianne Wildi fand letzte Woche in Rotkreuz am Rande der "Swiss Digital Finance Conference" der Hochschule Luzern statt.

Marianne Wildi steht seit 2010 der Hypothekarbank Lenzburg als Geschäftsführerin vor. Die gelernte Betriebsökonomin stiess 1986 als Programmiererin zur Regionalbank und avancierte 2001 zur stellvertretenden Informatikchefin. Unter Wildis Leitung investierte die "Hypi" vermehrt in technologische Investitionen, was ihr 2016 den Titel "Digitalste Bank der Schweiz" einbrachte. Zudem war Wildi 2016 Gründungsmitglied von Swiss Fintech Innovations, einem Verband, der die Digitalisierung des Schweizer Finanzplatzes vorantreiben möchte.