cash.ch: Was kommt gemeinhin bei der Auseinandersetzung mit dem Thema ‹Immobilienmarkt› zu kurz?

Ursina Kubli: Häufig wird nicht so klar differenziert.

Was meinen Sie damit?

Wenn man die Preisentwicklung betrachtet, ist ein Quartalsminus etwas Normales. Bei einer Indexberechnung gibt es nie eine gerade Linie. Diese Rücksetzer werden aber jeweils stark aufgegriffen und oftmals nicht kontextualisiert. Häufig ist dabei pauschal von ‹dem Immobilienmarkt› die Rede, wobei der regionalen Entwicklung doch eine grosse Bedeutung zukommt. Auch hört man, dass der kalkulatorische Zinssatz Schuld daran sei, dass sich Familien kein Eigenheim leisten können.

Der kalkulatorische Zinssatz - 5 Prozent - wird bei der Kreditvergabe zur Berechnung der Tragbarkeit verwendet, um die Finanzierung seitens des Kunden auch in zukünftigen Hochzinsphasen zu gewährleisten…

Ja, genau. Er wurde als Schutz der Käuferinnen und Käufer eingerichtet. Er wurde nicht eingeführt, um jemanden zu benachteiligen. Wenn der kalkulatorische Zinssatz sinken würde, hätten mehr Personen Zugang zum Markt für Wohneigentum, es bestünde aber ein grösseres Verschuldungsrisiko und die Preise wären wohl noch höher. Das Grundproblem der letzten Jahre, dass die Nachfrage nach Wohneigentum das Angebot bei Weitem übersteigt, bliebe auch so weiterhin ungelöst. 

Welche Regel gilt immer am Immobilienmarkt?

‹Lage, Lage, Lage› gilt immer für die Nachfrage nach Immobilien. Doch auch bei dieser Immobilienweisheit gilt es zu differenzieren. Was bei einer Wohnimmobilie gefragt ist, ist bei Büro- oder Gewerbeliegenschaften häufig kein Standortvorteil. So ist bei Letzteren eine gute Verkehrsanbindung ein wichtiges Kriterium. Das geht jedoch häufig mit Lärm einher, was sich negativ auf die Lagequalität von Wohnliegenschaften auswirkt. 

Die Hypozinsen sind stark gestiegen, die SNB hat im Juni zuletzt den Leitzins angehoben. Besteht bezüglich des bestehenden Zinsniveaus ein Missverständnis?

Relativ gesehen konnten wir eine enorme Bewegung beobachten. Nachdem man sich in den letzten Jahren an das Negativzinsumfeld gewöhnt hatte, war der Zinsanstieg nach der Pandemie für viele überraschend. Grundsätzlich war der Zustand mit negativen oder Nullzinsen nicht gesund, sondern das heutige Marktumfeld ist normal.

Ein Hausbesitzer steht vor der Verlängerung der Hypothek. Saron oder Festhypothek auf 10 Jahre?

Eine pauschale Antwort darauf gibt es nicht. Dafür benötigt man verschiedene Informationen zum Hintergrund der Person, wie etwa: Wie alt ist die Person? Will er oder sie das Objekt in den nächsten Jahren verkaufen? Was ist das Budget und das entsprechende Risikoprofil? Es ist eine umfassende Beratung nötig. 

Andere Frage: Haben Festhypotheken auf 10 Jahre den Höhepunkt erreicht?

Davon gehen wir aus. Man sieht bereits die Seitwärtsbewegung. Dennoch zeichnet sich zurzeit nicht ab, dass diese schnell sinken.

Warten auf tiefere Zinsen lohnt sich nicht?

Eine Rückkehr zur Phase von Negativzinsen ist sehr unwahrscheinlich. Der Begriff Zeitenwende passt in diesem Kontext.   

Beim Saron muss man hingegen prognostizieren, was die Schweizerische Nationalbank (SNB) macht…

Ja. Aber die geldpolitischen Massnahmen gegen die Inflation wirken. Wir gehen davon aus, dass die SNB die Leitzinsen nur noch einmal um 25 Basispunkte erhöhen wird. Ob die SNB danach wieder Leitzinssenkungen vornimmt, hängt vom konjunkturellen Umfeld und der Geldpolitik der Fed und der EZB ab.

Wie schmerzhaft ist diese Zinsentwicklung für Besitzer von Wohneigentum?

Es ist dahingehend schmerzhaft, da Hypotheken zuvor sehr günstig zu haben waren und jetzt wieder etwas kosten. Was sich seit den 90er Jahren, als die Zinsen noch viel höher waren, tatsächlich verändert hat, sind die Summen, die für Wohneigentum zu zahlen sind. Die absolute Verschuldung, die heute jemand trägt, ist höher als vor 30 Jahren. Der Zürcher Wohneigentumsindex hat sich beispielsweise seit den 90er-Jahren mehr als verdoppelt. Das durchschnittliche Einkommen hat sich nicht in diesem Masse erhöht. 

Die Zinsentwicklung ist entscheidend für den Immobilienmarkt. Wie haben sich das Angebot und die Nachfrage auf dem Markt für Wohneigentum in den letzten Monaten entwickelt? 

Bei einem Blick auf die Immobilienportale fällt ein etwas grösseres Angebot auf. Es hat aber keine Verkaufswelle von Wohneigentum eingesetzt. Vielmehr dauert es länger, bis ein Objekt verkauft wird. Insbesondere an den begehrten Wohnlagen stehen nach wie vor nur wenige Eigenheime zum Verkauf, die Nachfrage ist vorhanden. Folglich ist der Eigenheimmarkt noch immer stabil.  

Auch die gute Konjunkturlage stützt in der Schweiz die Nachfrage. Welche Rolle spielt das Wachstum der Wohnbevölkerung?

Die Zuwanderung von Arbeitskräften hat in erster Linie einen Effekt auf den Mietwohnungsmarkt. Die Verknappung auf dem Mietwohnungsmarkt spielt aber indirekt auch in den Markt für Wohneigentum hinein. Ist die Suche nach einer geeigneten Mietwohnung nicht erfolgreich, erhöht dies je nach Ausgangslage auch den Anreiz für einen Kauf.

In der Stadt Zürich wird die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS zum Thema. Droht eine deutliche Angebotsausweitung von Zürcher Wohneigentum, weil hochbezahlte Chefs der CS von dannen ziehen?

Es ist viel zu früh, um dies zu beurteilen. Interessentinnen und Interessenten für Eigentum im höheren Preissegment sind in verschiedenen Branchen tätig, nebst der Bankbranche beispielsweise auch im Bereich ICT oder Medtech. 

Die Nachfrage bleibt hoch und das Angebot knapp: Das Schlagwort ‹Wohnungsnot› macht in der Schweiz die Runde. Eine Schwarzmalerei oder ein echtes Problem?

Bislang ist es schweizweit insbesondere ein Verteilungsproblem. Es gibt zwar Leerstände – aber es nützt nicht viel, wenn diese abseits der Zentren, beispielsweise im Kanton Jura, sind. Die Nähe zum Arbeitsmarkt bleibt wichtig. Und wenn man nach vorne schaut: Wenn der Wohnungsmarkt funktionieren soll, müssen Angebot und Nachfrage die gleiche Dynamik haben. Dies ist zurzeit nicht der Fall. Die Bevölkerung wächst stark und die Bautätigkeit geht zurück. Die Anzahl leerstehender Wohnungen wird Jahr für Jahr weiter zurückgehen. 

Die leerstehenden Wohnungen gehen wieder zurück. Warum wird nicht mehr gebaut?

Die Bautätigkeit ging nicht wegen der steigenden Zinsen zurück, sondern schon zuvor. Der Höhepunkt wurde anhand der Baubewilligungen im Jahr 2019 erreicht. Selbst in Zeiten von Negativzinsen und damit verbundenem Anlagenotstand, wo alle hungrig nach Immobilien waren, ging die Aktivität zurück. Einerseits ist diese Entwicklung den damals höheren Leerständen geschuldet - in einigen Regionen wurde an der Nachfrage vorbeigebaut -, andererseits schreitet die Verdichtung nicht in dem Masse voran, wie sie das sollte.

Was hat sich bezüglich der Regulierung verändert?

Die Raumplanung hat mit der Revision das Ziel, an verdichteten Orten zu wachsen. Aufgrund der sogenannten NIMBY-Problematik ist der Widerstand in diesen zumeist städtischen Gebieten grösser. Das baurechtliche Korsett hätte lockerer werden müssen. Das war aber nicht der Fall. Im Gegenteil besteht seit 2016 das Bundesgerichtsurteil zum Lärmschutz. Seitdem muss das Lärmschutzgesetz 1:1 umgesetzt werden, vorher wurde das Thema Lärm mit der sogenannten Lüftungspraxis pragmatischer angegangen. Die strengere Umsetzung der Lärmvorschriften hat viele Bauprojekte für Wohnungen zum Kippen gebracht.

Im zweiten Quartal sind die Preise für Wohneigentum trotz Zinsanstieg wieder gewachsen. Wie geht es weiter? 

Ein Seitwärtstrend zeichnet sich ab. Die Preise werden sich stabilisieren. Der Nachfrageüberhang hat sich gegenüber dem Corona-Boom normalisiert. Damals reichte für den Verkauf eines Hauses ein Besichtigungstermin am Wochenende. Dies ist jetzt nicht mehr der Fall, man hat wieder Einzelbesichtigungen.

Es ist eine Normalisierung…

Ja, und das ist auch gesund. Der Markt war zuvor überhitzt; und es war frustrierend für alle Suchenden. Jetzt hat man wieder Zeit, sich mit dem Kaufobjekt im Vorfeld auseinanderzusetzen.

Das Preisniveau bleibt hoch: Wer kann sich Wohneigentum überhaupt leisten? 

Wohneigentum ist ein Luxus. Nicht nur braucht man das notwendige Einkommen, sondern auch das entsprechende Vermögen. Die Preise sind in der Vergangenheit so stark gestiegen - im Median um 50’000 Franken pro Jahr -, sodass Sparanstrengungen kaum ausreichten, den Traum des Eigenheimwunsches zu verwirklichen. Gemäss einer Studie der Zürcher Kantonalbank aus dem Jahr 2019 hatten nur 10 Prozent der Mieterinnen und Mieter das Einkommen und das Vermögen, um sich den Wunsch der eigenen vier Wände zu verwirklichen.

Braucht es daher vielfach die ‹Mami-und-Papi-Bank›?

Erbvorbezug für Wohneigentum ist sicherlich etwas, was man in der Familie diskutiert und ermöglicht.

Anderes Thema: Mit welcher Mietzinsentwicklung müssen die Haushalte rechnen?

Die Mietentwicklung wird weiterhin nach oben gerichtet sein. Die Nebenkosten werden aufgrund höherer Stromkosten weiter steigen, während der Referenzzinssatz gegen Ende Jahr nochmals erhöht werden dürfte. Gleichzeitig verknappt sich das Angebot an Mietwohnungen. Konkret erwarten wir bei den Angebotsmieten in der Schweiz ein Plus von 4,0 Prozent, im Kanton Zürich dürfte das Plus mit 4,5 Prozent sogar noch höher ausfallen. 

Freie Mietwohnungen werden knapper – vor allem in den Städten. Handelt es sich hier um einen langfristigen Trend?

Ja, eindeutig. Und je knapper die Mietwohnungen sind, desto weniger werden die Menschen ihre Mietwohnung wechseln. Was die Diskrepanz zwischen Wohnungssuchenden und bestehenden Mieterinnen und Mieter noch erhöht. Die Wohnungsnotproblematik wird sich daher in den nächsten Jahren noch akzentuieren. Es kommen einfach zu wenige neue Wohnungen auf den Markt.

Sollte im Zuge von mehr Homeoffice die Reduktion der Büroflächen und deren Umnutzung nicht Entspannung bringen?

Es ist immerhin etwas. Doch vielfach befinden sich Büroflächen an lärmigen Orten, wo eine Umnutzung nicht möglich ist. Teilweise macht aus architektonischen Gründen nur ein Ersatzneubau Sinn, da beispielsweise die Wasser-, Strom oder Abwasserleitungen nicht passen oder das Licht nicht für Wohnzwecke ausreicht. Zudem ist gerade an zentralen Orten der Leerstand bei Büroflächen zurückgegangen. Ein grosses Angebot an freien Büroflächen findet man eher an dezentralen Lagen.

Ursina Kubli leitet in der Zürcher Kantonalbank das Immobilien Research. Die diplomierte Ökonomin verfügt über eine langjährige Erfahrung in der Konjunktur- und Immobilienanalyse.

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