Es gilt noch immer als eines der geläufigsten Mittel, um den Preis einer Aktie zu messen: Das Kurs-Gewinn-Verhältnis, kurz KGV. Es hat zumindest als Teil der Analyse weiterhin seinen Platz in der Bewertung von Aktien. Das KGV sagt aus, mit welchem Faktor des Jahresgewinns das Unternehmen bewertet wird. Ein Beispiel: Beträgt das KGV eines Unternehmens 10, bedeutet dies, dass aktuell 10 Prozent der Marktkapitalisierung einen Jahresgewinn ausmachen.
Allerdings sollten Anleger nicht blind auf tiefe KGV Ausschau halten. "Das KGV ist eine rein buchhalterische Grösse. Anleger sollten nicht allein anhand dieses Werts eine Kaufentscheidung treffen", sagt Jan Widmer, Fondsmanager bei der St. Galler Kantonalbank, gegenüber cash. So biete es sich an, neben dem KGV den Cashflow des Unternehmens anzuschauen. "Ein hoher Cashflow unterstreicht die Substanz und Leistungsfähigkeit des Unternehmens", so Widmer.
Niedriges KGV = günstige Bewertung?
In der Tat lässt sich allein am KGV nicht sagen, ob eine Aktie teuer oder eher günstig ist. Generell gilt: Jede Branche hat ihr eigenes KGV. In diesem Sinne sieht das auch Eric Steinhauser, Anlagechef bei der Privatbank Rahn+Bodmer. "In jeder Branche kommen bei den KGVs andere Massstäbe zum Zug. Es ist aber insgesamt noch immer ein wichtiges Element der Bewertung von Aktien", sagt Steinhauser gegenüber cash.
So lässt sich sagen: Firmen aus der Automobilbranche haben eher tiefes KGV, weil das Geschäft sehr kapitalintensiv ist und die Margen eher gering sind. Hier können KGV über 15 bereits teuer sein. Handkehrum wäre ein solches KGV für einen Wachstumswert aus der Technologiebranche äusserst günstig. Hier antizipiert der Markt die hohen Gewinne, die das Unternehmen in der Zukunft voraussichtlich erwirtschaften wird, was hohe KGVs vertretbar macht.
Ein Beispiel: Das KGV des Technologie-Riesen Amazon bewegt sich seit Jahren um etwa 80. Doch bisher hat das Unternehmen die hohe Bewertung stets gerechtfertigt.
Das KGV kann Anlegern also eine gute Orientierung geben, wenn Faktoren wie Branche und finanzielle Stabilität mitberücksichtigt werden. Folgende drei Aktien zeigen exemplarisch, wie und wann das KGV bei der Bewertung helfen kann, und wann es nichts taugt.
AMS: Günstige Bewertung, aber Achtung
Der Halbleiterhersteller AMS ist mit einem geschätzten KGV für 2021 von unter 13 für ein Tech-Unternehmen, welches in einem Wachstumsmarkt tätig ist, äusserst tief bewertet. "Vergleicht man AMS mit anderen Halbleiterherstellern wie etwa Infineon, ist die AMS-Aktie rein vom KGV mit einem Abschlag von etwa 50 Prozent massiv unterbewertet", sagt Steinhauser. Allerdings: Bei AMS drücken Fragen um die finanzielle Konstitution den Aktienkurs. "Die Bilanz von AMS ist eher schwach, die Verschuldung sehr gross", so Steinhauser.
Es stelle sich die Frage, wie viel Free Cashflow AMS erarbeiten könne, um den hohen Verschuldungsgrad zu reduzieren und die schwache Finanzierung zu verbessern. "Hinzu kommen andere offene Fragen: Wie gut funktioniert die Integration von Osram? Was ist mit der hohen Abhängigkeit zum Grosskunden Apple?", betont Steinhauser.
AMS zeigt also exemplarisch, dass ein günstiges KGV allein kein Kaufargument sein muss. In der Aktie stecken viele unsichere Variablen. Wenn diese voll aufgehen, ist die derzeitige Bewertung sogar fast ein Schnäppchen. Doch falls nicht, droht (noch mehr) Ungemach.
Arbonia: Geschätztes KGV für 2021 ist Kaufargument
Gemessen am geschätzten KGV für 2021 (unter 10) ist Arbonia aktuell günstig bewertet. Der Gebäudezulieferer befindet sich in seiner Restrukturierung auf gutem Weg. Für das Jahr 2020 meldete das Unternehmen zwar einen leichten Corona-bedingten Umsatzrückgang, doch beim operativen Ergebnis zeigten sich bereits positive Effekte aus der Umstrukturierung. So legte der Gewinn 2020 um 70 Prozent auf 45 Millionen Franken zu.
Bei der Arbonia-Aktie zeigt sich anhand des KGV, dass in dem Titel noch Luft nach oben ist. Und zwar wegen des positiven Ausblicks, der noch nicht im Kurs eingepreist zu sein scheint. Schaut man sich das rückwärtsgewandte KGV für 2020 an, zeigt sich ein Wert von etwa 27, was moderat, aber dennoch nicht günstig ist. Allerdings: Arbonia selbst hat einen zuversichtlichen Ausblick für 2021 herausgegeben. Analysten gehen von einem weiter stark wachsenden Gewinn aus. Je nachdem, wie hoch man diesen ansetzt, liegt das geschätzte KGV für die Aktie zwischen 8 und 10.
Kann Arbonia die Erwartungen beim Gewinn erfüllen, hat die Aktie noch viel Luft nach oben und kann als klar unterbewertet betitelt werden.
BB Biotech: KGV ultratief, aber kaum aussagekräftig
Gemessen am KGV (geschätzt etwa 6) erscheint die Aktie der Beteiligungsgesellschaft spottbillig. Das Unternehmen investiert in Biotechnologieunternehmen und ist damit in einem starken Wachstumsmarkt vertreten. Auch an der Börse ging es in den letzten sechs Monaten mit knapp 30 Prozent bergauf. Dennoch weisst BB Biotech eins der tiefsten KGVs auf dem Schweizer Aktienmarkt aus. Grund: Das KGV-Kriterium ist bei Beteiligungsgesellschaften selten ausschlaggebend.
"Bei einer Beteiligungsgesellschaft wie BB Biotech müsste man sich theoretisch jede einzelne Beteiligung anschauen und bewerten", sagt Widmer. Besser sei es, hier auf das den Nettoinventarwert des Beteiligungsportfolios, den Net Asset Value (NAV) zu schauen. Dieser "innere Wert" muss ins Verhältnis zum Kurs gesetzt werden. "BB Biotech müsste man eher wie einen Immobilienfonds betrachten", sagt Widmer.
Der NAV lag bei BB Biotech Ende 2020 bei 71,3 Franken je Aktie, während der Kurs damals bei 74,15 Franken lag. Dies deutet auf eine leichte Überbewertung hin. Die Gesamtrendite entsprach 22 Prozent, was leicht unter der des Nasdaq Biotech-Index (+27 Prozent) lag. Dennoch: Von drei Analystenhäusern, die BB Biotech abdecken, empfehlen alle die Aktie zum Kauf.