cash.ch: Verschiede Experten sagen, dass Virenausbrüche immer eine Möglichkeit sind, Aktien zuzukaufen. Sehen Sie dies ähnlich?

Anastassios Frangulidis: Die Vergangenheit hat gezeigt, dass solche Ausbrüche von vorübergehender Natur sind. Gemäss Virologen wird es solche Ausbrüche auch in Zukunft geben, vermutlich werden sie auch noch häufiger auftreten. Es gab in der jüngsten Vergangenheit bei solchen Ereignissen jeweils eine Periode des Ausbruchs und der Ausbreitung, zu einer wirklichen Epidemie kam es jedoch nie. Als Sars Anfangs 2003 ausbrach, ging das Wachstum des chinesischen Bruttoinlandsprodukt von 11.8 Prozent im ersten Quartal auf 2.7 Prozent im zweiten Quartal zurück. Im dritten Quartal wuchs aber China erneut mit 16.1 Prozent. Das zeigt, dass im Lauf der Zeit der negative Einfluss des Virus nachgelassen hat.

Ist die Situation heute vergleichbar mit Sars damals?

Ich beziehe mich auf die Aussage der Weltgesundheitsorganisation (WHO), dass China dieses Mal entschieden auf die Situation reagiert hat. Der momentane Coronavirus-Ausbruch wird uns in nächster Zeit zwar beschäftigen, wird aber basierend auf den Lehren der Vergangenheit nicht für lange Zeit bleiben. Langfristig geht es um die fundamentalen Entwicklungen der Volkswirtschaft. Aus heutiger Sicht sollte das Coronavirus die Situation der globalen Wirtschaft nicht massiv beeinträchtigen.

Dann stimmt es, dass man Aktien zukaufen sollte?

Das Umfeld der globalen Volkswirtschaft ist gut, weil die Geldpolitik sehr unterstützend ist und wir erste Zeichen eine Stabilisierung der globalen Lage der Industrie auf einem tiefen Niveau sehen. In diesem Sinne bieten Korrekturen eine Chance zum Kauf. Zeitlich gesehen ist es aber unklar, wann die Phase der Ausbreitung des Virus zu Ende geht.

Dann sollten Anleger noch zuwarten?

Wenn die Märkte weiter korrigieren, dann haben wir sicher bessere Chancen zum Kauf. Dies natürlich nur unter der Bedingung, dass keine fundamental anderen Informationen zum Virus auftauchen.

Das Wirtschaftswachstum von China hat sich letztes Jahr weiter verlangsamt. Ist das Coronavirus nun weiteres Gift für Chinas Wirtschaft?

In den letzten Jahren, speziell seit 2018, ist eine deutliche Verlangsamung des Wachstums in China festzustellen. Das war teilweise auch so gewollt, da die chinesische Regierung einen Teil der Schattenkreditwirtschaft reduzieren wollte. Wenn man aber die Zahlen der letzten zwei bis drei Monate betrachtet, zum Beispiel den Einkaufsmanagerindex in der Industrie, dann sind Zeichen einer Erholung erkennbar. Ebenso wirkt sich die Abmachung zwischen der USA und China im Zollkonflikt positiv aus. Deshalb sollte die chinesische Konjunktur nur vorübergehend unter den negativen Effekten des Virus leiden.

Der Goldpreis befindet sich momentan auch dank der Coronavirus-Krise auf einem sehr hohen Niveau. Ist die Zeit reif, Gewinne einzustreichen?

Nein, ich denke nicht. Der Goldpreis profitiert vor allem von den sehr tiefen Realzinsen, die wir weltweit haben. Erst wenn sich die globale Konjunktur sehr stark erholen würde und damit die Realzinsen deutlich stiegen, wäre dies negativ für den Goldpreis. Wir sehen zwar erste Zeichen einer Stabilisierung der globalen Industrie ausserhalb der USA. Aber Signale einer starken konjunkturellen Erholung sind nicht da. Solange dies nicht der Fall ist und die Realzinsen tief bleiben, bleibt Gold eine interessante alternative Anlage. Der Goldpreis profitiert natürlich von Ereignissen wie dem Coronavirus-Ausbruch, aber der echte Treiber für Gold sind die Realzinsen.

In diesem Sinne Gold «halten» oder «kaufen»?

Dies hängt von der jeweiligen Portfoliostruktur des Investors ab und wie stark er bereits in Gold investiert ist. Aber momentan empfehle ich keine Reduktion der Goldposition.

Anastassios Frangulidis ist Chefstratege bei Pictet Asset Management.

ManuelBoeck
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