Die meisten Marktstrategen waren noch Anfang Jahr angesichts steigender Zinsen und geopolitischer Unsicherheiten von weiter fallenden Märkten ausgegangen. Es kam - wieder einmal -anders heraus.
So sind viele europäische Länderindizes im Jahr 2023 in einen Bullenmarkt getreten. Der Euro Stoxx 50 legte seit Januar 15 Prozent zu, der deutsche Leitindex Dax erklomm neue Rekordhöhen. Der technologiedominierte Nasdaq 100 in den USA legte gar rund 30 Prozent zu.
Allerdings zogen nicht alle Aktien gleichermassen an: Der weltweit meist beachtete Börsenindex Dow Jones übte sich im ersten Halbjahr dagegen im Stillstand. Auch das Plus des Swiss Market Index von 4 Prozent nimmt sich im Vergleich zu den europäischen Pendants bescheiden aus.
Grund: Wachstumsaktien wie Technologietitel sowie zyklischen Werte, die im ersten Halbjahr gefragt waren, sind im SMI in der Unterzahl. Mit einer Gewichtung in Sektoren wie Gesundheitswesen und Nahrungsmittel von über 50 Prozent ist der SMI einer der defensivsten Aktien-Leitindizes weltweit.
Dennoch haben 16 von 20 SMI-Aktien im ersten Halbjahr eine positive Performance. Die defensiven Schwergewichte Nestlé (ganz knappes Minus) und Roche (minus 5 Prozent) waren dem SMI im ersten Halbjahr aber keine Hilfe. Man sollte die Aktien nun aber nicht abschreiben. Erstens: Für langfristig orientierte Anlegerinnen und Anleger sind die Titel auf den aktuellen Niveaus durchaus attraktiv. Bei Nestlé beträgt der Kursrückgang rund 10 Prozent seit Anfang Mai, der Genussschein von Roche fiel zuletzt zwischenzeitlich auf den tiefsten Stand seit Anfang 2019.
Zweitens: Eine Vielzahl von Marktstrategen (sie müssen zwar nicht partout Recht haben, siehe Artikelanfang) stellt sich sowieso auf den Standpunkt, dass im zweiten Halbjahr eher wieder defensive Werte gefragt sind. Aktien-Spezialisten der Bank Sarasin etwa erwarten eine Rezession im vierten Quartal. JPMorgan geht als Folge davon aus, dass defensive Sektoren für den Rest des Jahres ein attraktives Risiko-Rendite-Verhältnis bieten.
Vor diesem konjunkturellen Hintergrund sollten auch die SMI-Gewinner im Hinblick auf die zweite Hälfte des Jahres etwas kritisch gesehen werden. Holcim, Richemont (beide 25 Prozent plus im ersten Halbjahr) und ABB (24 Prozent) haben einen zyklischen Charakter. Es bleibt fraglich, ob diese Performance im zweiten Halbjahr wiederholt wird.
Richemont könnte zwar durchaus noch weiter vom steigenden Reiseverkehr profitieren. Die Luft bei der Aktie wird allerdings dünn. Sie hat sich seit Anfang 2020 im Wert verdreifacht.
Mit Vorsicht sollten sich Anlegerinnen und Anleger auch Logitech annähern, mit minus 8 Prozent seit Jahresbeginn die schlechteste SMI-Aktie. Der abrupte Abgang von CEO Bracken Darrell (nicht etwa zu einem ganz Grossen der Tech-Branche, sondern zum Bekleidungsunternehmen VF Corporation) hat die Investoren nebst dem schleppenden Geschäftsgang zusätzlich verunsichert.
Wie die “Bilanz” berichtet, soll Darrell mit seinem Wechsel gar seiner Entlassung zuvorgekommen sein. Er fand offensichtlich keine Antwort auf die fallenden Umsätze und Gewinne. Ein Einstieg bei den Aktien, die seit 2023 zwei Jahren unter Druck stehen, ist mit Risiken behaftet.
Ein interessanter Fall ist das Chemieunternehmen Sika mit einem Kursplus 11 Prozent. Allerdings befindet sich der Titel noch immer 35 Prozent unter dem Rekordstand von Anfang 2022. Gewinnwarnungen bei deutschen Chemieunternehmen haben in den letzten Wochen für erhebliche Nervosität im ganzen Chemiesektor gesorgt.
Beste Aktie am Gesamtmarkt war im ersten Halbjahr Newron mit einem Plus von 268 Prozent. Das ist etwas Balsam für die leidgeprüften Investoren, denn die Aktie notierte 2008 einmal bei 80 Franken und fiel zwischenzeitlich unter die Marke von 1 Franken. Das Biotech-Unternehmen mit Sitz nahe Mailand umranken Übernahmegerüchte.
Das irische Pharmaunternehmen Jazz Pharmaceuticals soll der Abnehmer sein. Zuvor hatten gute Forschungsergebnisse von Newron mit dem Medikamente-Hoffnungsträger, dem Schizophreniemittel Evenamide, die Aktie bereits angetrieben. Ausgang der Medikamente-Entwicklung und der möglichen Übernahme: Ungewiss.
Die Aktien des Vakuumventil-Herstellers VAT stehen mit einem Plus von 46 Prozent auf Platz fünf in der Tabelle des Swiss Performance Index (SPI). Die Ankündigung von Kurzarbeit in den beiden Werken im Rheintal konnten den Lauf der Aktien Mitte Juni nur kurz aufhalten. Denn gleichzeitig hat das Unternehmen die Prognosen für die nähere Zukunft bestätigt.
Die Anleger setzen bei VAT offenbar bereits auf eine Erholung des Geschäftsganges im 2024. Das Momentum in der globalen Chipindustrie könnte laut der Bank Vontobel bereits in den kommenden Monaten wieder positiv werden. Die VAT-Aktie befindet sich über 30 Prozent unter dem Rekordstand von Ende 2021.
Der Titel des Dentalimplantateherstellers Straumann hat sich seit Mitte Oktober stetig nach oben gearbeitet, im 2023 allein steht ein Plus von 36 Prozent zu Buche. Zieht man das durchschnittliche Kursziel der bei Bloomberg erfassten Straumann-Analysten in Betracht (139 Franken), dann hat die Aktie ihr Potenzial aber bereits ausgeschöpft. Die meisten Branchenbeobachter zweifeln an der Ausgabefreudigkeit der Konsumenten im Bereich der Zahnmedizin im zweiten Halbjahr.
Achiko, Talenthouse, Relief Therapeutics oder Evolva - die letzten vier Plätze im SPI zieren nicht unerwartet Aktien, bei welchen teils weiter kräftig Luft aus der Corona-Fantasieblase gelassen wurde. Insbesondere das indonesische Unternehmen Achiko, das über 80 Prozent an Wert verloren hat, sollte als Mahnmal für gedankenlose Investoren und auch für die SIX sein, die sich wieder einmal mehr Gedanken darüber machen sollte, welche Firmen sie an der Börse zulässt.
Wegen Überschuldung musste Achiko im Mai die Bücher deponieren, der Handel der Aktien ist seit Anfang Juni ausgesetzt. Achiko hatte es nicht geschafft, geprüfte Zahlen für das Gesamtjahr 2022 vorzulegen. Eine Insolvenz in der Schweiz sei aus Sicht der Gesellschaft "unvermeidlich", liess sich der Achiko-CEO vor zwei Wochen verlauten.
1 Kommentar
zu Relief Therapeutics
Es ist korrekt festzustellen, dass das ausgezeichnete Produkt "Avripadil" während der Pandemie-Zeit leider zu früh in den USA (FDA) lanciert und aus unerklärlichen Gründen als zu wenig wirksam taxiert wurde, obschon dies nicht korrekt war.
In Indien dagegen konnte das Lungenpräparat erfolgreich eingeführt werden.
Es ist zu hoffen, dass in einem weiteren Zulassungsgesuch das Fehlverhalten korrigiert wird.