Die Ära nach der Finanzkrise im Jahr 2009 war geprägt von Nullzins- oder nahezu Nullzinssätzen, umfangreichen quantitativen Lockerungen und abermaligen Interventionen durch die Zentralbanken. Diese Massnahmen stützten die Finanzsysteme und liessen gleichzeitig die Vermögenspreise, von Aktien bis hin zu Immobilien, kontinuierlich steigen. Gleichzeitig blieben die Teuerungsraten über Jahre hinweg auf einem tiefen Niveau. 

Dies führte zu einem Ausbau der Bewertungsniveaus. Neben steigenden Aktienmärkten (in der Schweiz avancierte der SPI um 109 Prozent, in Europa der Stoxx 600 um 150 Prozent und in den USA der technologielastige Nasdaq 100 um fast 1500 Prozent) erhöhten sich die Bewertungen im Gleichschritt. Die Bewertungshöhe des SPI nahm gegenüber 2009 um 45 Prozent zu, beim Stoxx 600 und Nasdaq 100 waren es 26 respektive 41 Prozent.

Kurs-Gewinn-Verhältnis vom Nasdaq 100, Swiss Performance Index SPI und Stoxx 600 der vergangenen 20 Jahre.

Kurs-Gewinn-Verhältnis des Nasdaq 100, Swiss Performance Index SPI und Stoxx 600 der vergangenen 20 Jahre.

Quelle: Bloomberg

Die Pandemie im Jahr 2019 verschärfte diese Trends zusätzlich. Beispielsweise verdoppelten die Europäische Zentralbank und die Fed ihre Bilanzen - die Fed hatte dazu nur fünf Monate, die EZB etwas weniger als zwei Jahre. Anders als in den Jahren zuvor führten diese beispiellosen Liquiditätsspritzen, gekoppelt mit einer Beeinträchtigung der Lieferketten und volatilen Arbeitsmärkten, zu einer überraschenden Inflationswelle. Die Teuerungsraten haben sich seither wieder reduziert, verharren aber auf einem erhöhten Niveau.

Die De-Globalisierung führt zu Inflation

Jon Bell, Portfolio Manager bei Newton Investment Management (ein Vermögensverwalter mit verwalteten Vermögen im Umfang von 110 Milliarden Dollar und Teil der BNY Gruppe), ist überzeugt, dass die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der nächsten zehn Jahre zu einer dauerhaft höheren Inflation führen. BNY, ehemals «Bank of New York Mellon», gehört zu den grössten Finanzinstituten weltweit und ist die älteste US-amerikanische Bank.

Die Rivalität zwischen den USA und China sowie der Konflikt in der Ukraine haben Unternehmen gezeigt, dass globalisierte Lieferketten sowie eine Ressourcen- und Produktionsabhängigkeit von anderen Staaten und Unternehmen mit Kosten verbunden sind. Die derzeit stattfindende De-Globalisierung sowie das Onshoring von Produktionsstätten, was generell mit höheren Lohnkosten verbunden ist, führen gemäss Bell zu einem inflationären Druck, der nicht nachlassen dürfte. 

Eine inflationsreichere Welt verändert jedoch die Investitionskalkulation grundlegend. Da höhere Zinssätze die Diskontierungsraten für zukünftige Cashflows erhöhen, sollte das Kurspotential für gewichtige Sektoren der Aktienmärkte beschränkt sein. Besonders die Bewertungen von Wachstumsaktien wie Technologietitel sollten davon beeinflusst werden.

Alpha wird wichtiger und passives Investieren schwieriger

Mit diesen veränderten Rahmenbedingungen verliert das passive Investieren an Reiz, während aktives Investieren oder die Generierung von Alpha an Bedeutung gewinnt. Denn unter der Oberfläche brodelt es. So ist beispielsweise die Anzahl von Titeln im Nasdaq 100, die über ihrem 100-Tages-Durchschnitt befinden, von Anfang Jahr von knapp 90 Prozent auf derzeit 46 Prozent gefallen. In dieser Zeit legte der Index jedoch knapp 20 Prozent zu und markierte abermals ein Rekordhoch.

Diese Entwicklung deutet darauf hin, dass die Marktrallye nur noch von einigen wenigen Valoren getragen wird. So machen beispielsweise die obersten zehn Prozent der Unternehmen nach Marktwert knapp 77 Prozent des gesamten US-Markts aus - das ist die grösste Divergenz zwischen Large- und Small-Caps in den letzten 100 Jahren und liegt über den Rekordjahren 1929 und 1999.

Die derzeitige Abkopplung von Technologiewerten vom Rest der Vermögenswerte und die diesbezügliche Unsicherheit sind ein starkes Argument für einen aktivieren Anlagestil inklusive aktivem Risikomanagement.

Defensivaktien als Schlüssel zum Erfolg

Defensivaktien zeichnen sich durch stabile Einnahmen und geringe Volatilität aus. Sie operieren oft in Branchen, die weniger anfällig auf wirtschaftliche Schwankungen reagieren. Sie haben zwar oft ein geringeres Wachstumspotenzial als Wachstumsaktien, bieten aber dafür eine höhere Sicherheit und eine zuverlässige Performance über die Zeit.

Unternehmen im Bereich Konsumgüter, Versorger, Gesundheitswesen und defensive Finanzen sind typische Beispiele. Diese Unternehmen bieten eine geringere Volatilität sowie konstante Dividenden, was sie besonders attraktiv für konservative Anleger macht.

Besonders Schweizer Anleger dürfte die Entwicklung hin zu Value-Titeln freuen. Der hiesige Aktienmarkt wird dominiert von Unternehmen um Gesundheitssektor, Finanzbereich und Basiskonsum. Im SMI sind es 72 Prozent und im SPI 68 Prozent. Zyklische Sektoren wie Technologie und Kommunikation machen nur eine Randkomponente aus. 

Investoren sollten bei ihrer Auswahl auf Unternehmen mit starken Bilanzen achten, die niedrige Schulden und ausreichende Barreserven haben, um wirtschaftliche Abschwünge zu überstehen. Unternehmen mit hohen und konstanten Cashflows und klaren Wettbewerbsvorteilen, wie starken Marken oder proprietären Technologien, sind ebenfalls attraktiv. Die Qualität des Managements und die regulatorische Compliance spielen zudem eine wichtige Rolle bei der Auswahl sicherer Investitionen.

Morningstar bietet Investoren mit der «Economic-Moat»-Bewertungen eine Abkürzung für die Evaluation einiger dieser Kriterien. Gemäss ihrer Bewertungsformel haben zehn der 20 SMI-Titel einen weiten Burggraben. Einige dieser Unternehmen befinden sich zudem in defensiven Sektoren. Diese Konzerne sollten also nicht nur besser in einem wirtschaftlichen Abschwung abschneiden, sondern gemäss Morningstar auch hohe Kapitalrenditen über viele Jahre hinweg erwirtschaften.

Unternehmen Economic Moat
ABB Weit
Alcon Eng
Richemont Weit
Geberit Weit
Givaudan Weit
Holcim Eng
Kuehne+Nagel Eng
Logitech Keinen
Lonza Eng
Nestlé Weit
Novartis Weit
Partners Group Weit
Roche Weit
Sika Weit
Sonova Weit
Swiss Life Keinen
Swiss Re Keinen
Swisscom Eng
UBS Group Eng
Zurich Insurance Eng

 

Investieren in einer heterogenen Welt

Auch Jon Bell bevorzugt in seinem «BNY Mellon Global Equity Income Fund» Anlagen in Grossbritannien, Frankreich und der Schweiz und gewichtet die drei Länder mit 23 Prozent mehr als das Doppelte als der Benchmark. Dabei favorisiert er den Basiskonsumsektor, Versorger, Finanzunternehmen und Gesundheitstitel. 

Unter den grössten Anlagepositionen befinden sich Sanofi, PepsiCo, Samsung und Publicis. Die «Magnificent-5» (Microsoft, Apple, Nvidia, Alphabet und Amazon) meidet er komplett und gewichtet den amerikanischen Markt deutlich unterdurchschnittlich. Damit Investoren Alpha generieren können, sollte das Portfolio aktiver bewirtschaftet werden und sich von der Zusammensetzung der (technoligielastigen) Leitindizes unterscheiden. 

In einer Zeit, in der die Börsen durch hohe Bewertungen von Wachstums- und Technologiewerten geprägt sind und die Divergenzen zunehmen, bieten Defensivaktien eine attraktive Alternative für Anleger, die Stabilität und kontinuierliche Erträge suchen. Die tiefe Bewertung der Defensivsektoren sind klare Vorteile. Das Verhältnis des Value-Strategie-ETF (IWD) im Vergleich zum Growth-Strategie-ETF (IWF) befindet sich auf einem historischen Tiefpunkt.

Das Kursverhältnis der US-Value- (IWD) und US-Growth-ETFs (IWF) während den vergangenen 23 Jahren seit deren Lancierung.

Das Kursverhältnis der US-Value- (IWD) und US-Growth-ETFs (IWF) während den vergangenen 23 Jahren seit deren Lancierung.

Quelle: Tradingview

Mit Blick auf die vergangenen 23 Jahre waren die Extremen zwischen diesen beiden Anlagestilen immer der beste Investitionszeitpunkt, um überdurchschnittliche Renditen zu erzielen. Auch Jon Bell ist sich sicher, dass die Rahmenbedingungen für ein Comeback der Value-Aktien sprechen, denn «die Ära des kostenlosen Geldes ist vorbei».