Wer unterbewertete Unternehmen finden möchte, muss aus der Komfortzone raus. Blue Chips sind selten unter- oder überbewertet, denn die hoch kapitalisierten Titel verfügen über viel Visibilität und Liquidität. Die Gründe, weshalb sie teuer oder billig sind, sind fast immer gerechtfertigt. 

Anders sieht es bei Unternehmen mit einem niedrigen Marktwert aus. Sie werden von weniger Analysten abgedeckt, nur spärlich sind Informationen über sie verfügbar und die Marktliquidität ist vielfach gering. Das eröffnet Chancen, bedeutet aber viel Eigenleistung. In einer neuen Serie geht cash.ch auf die Suche nach solchen Unternehmen.

Schlatter ist so ein Beispiel. Die Industriegruppe aus Schlieren produziert Schweissanlagen und Schweissmaschinen, sowie Webmaschinen. Das Unternehmen hat einen Börsenwert von gerade mal 23 Millionen Franken und gehört zu 41 Prozent zwei strategischen Investoren und einer Industriefamilie. 

Kein Analyst deckt das Unternehmen ab. Entsprechend tief ist die Visibilität. Zusammenfassungen und Einschätzungen zur Geschäftstätigkeit oder Prognosen über den künftigen Geschäftsverlauf sind nicht erhältlich, ausser vom Unternehmen selbst. 

Nach unzähligen Problemjahren scheint sich der Ausblick aufzuhellen

Schlatter ist die billigste Industrie-Aktie der Schweiz. Gemäss den fünf beigezogenen Bewertungskriterien schneiden die Valoren des Industriekonzerns gegenüber den übrigen im Industriesektor angesiedelten Unternehmen mit einem grössten Bewertungsabschlag ab. Diese Position verdankt das Unternehmen dem seit 2007 sinkenden Aktienkurs und den seit etwa vier Jahren verbessernden Fundamentaldaten.

Seit 2007 haben die Schlatter-Titel 94 Prozent ihres Wertes verloren. Grund war die sprunghafte Verschlechterung der Rahmenbedingungen für das Unternehmen. Von einem Rekordumsatz von etwa 240 Millionen Franken blieb bereits zwei Jahre später nur etwa die Hälfte übrig. Das Unternehmen rutschte in tiefrote Zahlen ab. 

Kursverlauf von Schlatter in Franken.

Die folgenden zehn Jahre lag der Patient auf der Intensivstation. Kaum verbesserten sich die Werte leicht, folgte der nächste Schreck - das Unternehmen kam nicht vom Fleck. Bis vor drei Jahren. Seither verbessern sich die Umsätze und die Margen weisen tiefere Schwankungen als während den Restrukturierungsjahren auf. 

2023 wies der Industriekonzern mit knapp 370 Angestellten einen Umsatz von knapp 129 Millionen Franken aus. Dies entspricht einem Zuwachs von fast 40 Prozent gegenüber 2021. Stattgegeben: Auch Schlatter hatte unter der Pandemie gelitten, doch die Umsätze und vor allem die Margen befinden sich nun über dem Vor-Covid-Niveau. In den letzten drei Jahren erreichte Schlatter operative Margen zwischen 5 und 6 Prozent - vor 2020 betrugen sie im besten Fall 3 Prozent.

Relative Stabilität der Kennzahlen

Auch an der Schuldenfront hat Schlatter fleissig gearbeitet. Während das Unternehmen vor vier Jahren noch positive Nettofinanzverbindlichkeiten aufwies - also mehr Schulden als Liquidität - verfügt es nun über mehr kurzfristige Vermögenswerte. Nur sehr defensiv geführte Unternehmen oder die cashverwöhnten Techgiganten weisen wie Schlatter eine negative Kennzahl auf. 

Zwar unterliegt der Geldfluss weiterhin enormen Schwankungen und die notwendigen Investitionen (Capex) sind ein konstanter Widerstand auf den freien Cashflow, doch scheint das Unternehmen diese zwingenden Ausgaben und die Geldabflüsse für finanzrelevante Transaktionen wie Schuldentilgung oder Ausschüttungen aus dem operativen Geschäft stemmen können, ohne sich dafür verschulden zu müssen.

Diese volatile aber deutlich verbesserte Lage in der Cashflow-Rechnung zeigt sich in den Ausschüttungen. Nachdem das Unternehmen die Covid-Kredite des Bundes zurückgezahlt hatte, darf es wieder Dividenden ausschütten. Seit über 20 Jahren kann und macht es dies auch wieder und zahlte im Jahr 2023 eine Dividende und führte in diesem Jahr Kapital anhand einer Nennwertreduktion der Namenaktien an die Aktionäre zurück. Rendite: 5 Prozent.

Wie Schlatter so auch die Konkurrenz - ausser bei der Bewertung

Bei Unternehmen mit wenig Visibilität lohnt sich ein Blick auf die Konkurrenz. Im Schweissmaschinenbereich konkurriert das Zürcher Industrieunternehmen mit hauptsächlich asiatischen Gesellschaften. Shenzhen United Winners Laser und Lincoln Electric Holding eignen sich am besten zum Vergleich, aber auch Ador Welding oder Obara Group finden sich auf der Liste.

Auffällig ist die deutliche Höherbewertung der Vergleichsfirmen. Sie liegt im Durchschnitt bei einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 20 - der tiefste Wert von Obara ist mit 10 immer noch mehr als doppelt so hoch wie Schlatter (4,1). Bei allen Unternehmen zeigt sich ein zu Schlatter vergleichbares Bild: seit drei Jahren stark steigende Umsätze mit einem Rücksetzer in diesem Jahr.

Im Segment der Webmaschinen - es trägt ein Fünftel des Umsatzes bei - konkurriert Schlatter unter anderem mit OC Oerlikon, Saurer, Lakshmi Machines oder Juki aus Japan.

Dem Sektor geht es nicht gut. Bei fast allen Mitbewerbern wird bis im Jahr 2025 mit rückläufigen und bestenfalls stagnierenden Umsätzen gerechnet. Ausser Oerlikon weisen die asiatischen Unternehmen zudem erhebliche Verluste auf. Die KGV sind bei vielen deshalb sehr hoch und dienen nicht als Referenzwert.

Auch Schlatter leidet. In der ersten Jahreshälfe 2024 fielen die neuen Aufträge um 30 Prozent und das Order Backlog - also wie viele Aufträge noch in Bearbeitung sind - sank auch um einen Drittel. Zwar hat das Management der Zürcher darauf hingewiesen, dass das zweite Halbjahr mit einem starken Auftragseingang gestartet ist, jedoch sehen sie die Herausforderung zurecht in der «Beibehaltung und nachhaltigen Steigerung» dieser. Mit Sicht auf den Sektorprimus Oerlikon sind die Aussichten nicht eindeutig. Umsatzstagnation bei leicht höheren Gewinnen - doch die Analystenrevisionen sind tendenziell negativ ausgefallen.

Unterbewertung? Ja, aber…

Gemäss dem Schlatter-Management hat sich die Situation auf den Beschaffungsmärkten im wichtigeren Segment der Schweissmaschinen «normalisiert», so dass ein Ende des Rückstaus in Sicht ist. Die durch die Verzögerungen zusätzlich entstandenen Kosten und die für drohende Vertragsstrafen gebildete Rückstellungen haben zwar die Ergebnisse im ersten Halbjahr belastet, doch peilt das Management nun eine Steigerung des Betriebsergebnisses für die zweite Jahreshälfte gegenüber dem Vorjahr an. Das Gesamtjahr dürfte dennoch unter den Vorjahreswerten liegen.

Diese generell verbesserten Rahmenbedingungen zeigen sich auch bei den Analystenprognosen bei Lincoln und Shenzhen United. Für 2025 wird bei den beiden Unternehmen ein Umsatzwachstum von 4 respektive 11 Prozent erwartet. Von 13 Analysten empfehlen 12 den chinesischen Schweisskonzern zum Kauf. Bei Lincoln stehen sechs Kaufempfehlungen, vier «Halten» und zwei «Verkaufen» gegenüber. Gleichzeitig werden die Kursziele seit einigen Monaten nicht weiter reduziert. 

Und was macht der Schlatter-Aktienkurs? Dieser reagiert aufgrund des fehlenden Anlegerinteresse und Visibilität in den Finanzkreisen auf die fundamentalen Veränderungen und Ausschüttungen kaum. Doch Vorsicht ist geboten. Im Durchschnitt wechseln pro Tag etwa 500 Aktien mit einem Gegenwert von 10’000 Franken die Hände. Im Orderbuch finden sich auf jeder Seite nur 50 Stück und der Spread - also die Differenz zwischen Geld- und Briefkurs - ist enorme 3 Prozent.

Wer in dieses Unternehmen investiert, muss sich bewusst sein, dass sich der Einstieg und der Verkauf als äusserst langwierig gestaltet. Momentan lockt die Dividendenrendite, doch wenn Schlatter die Ausschüttungen aufgrund des volatilen Geschäfts streichen sollte, sitzen Investoren auf einer illiquiden Position, die keine Rendite abwirft. 

Auch wenn die zugrundeliegenden Daten die These der Unterbewertung stützen, kann diese Frage nicht allein durch eine Fundamentalanalyse beantwortet werden. Die Beantwortung der Frage über ein Investment in die Schlatter-Titel orientiert sich nicht unwesentlich an der Liquidität des Finanzinstruments, der Haltedauer sowie des Risikoappetits des Anlegers.

Luca_Niederkofler
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