49,18 Franken ist das neue Allzeithoch der ABB-Aktien, erreicht am letzten Donnerstag. Das ist schon fast nichts aussergewöhnliches im Jahr 2024, in dem der Titel von Rekord zu Rekord eilte und bislang ein Kursplus von 31 Prozent anhäufte. Einzig Lonza übertraf mit einem Anstieg von 45 Prozent die ABB-Performance im Swiss Market Index. Das Langzeit-Allzeithoch der ABB-Aktie von Mitte des Jahres 2000 - es wurde Anfang Februar dieses Jahres endlich geknackt.

Kursverlauf der ABB-Aktien.

«ABB befindet sich im Sweet Spot der Investitionsgüternachfrage, der Elektrifizierung. Durch die Energiewende und die Dekarbonisierung industrieller Prozesse ist auf Jahre hinaus mit starker Nachfrage zu rechnen», erklärt Bernd Laux, Analyst bei der Zürcher Kantonalbank (ZKB), gegenüber cash.ch den Kursanstieg. Etwa drei Viertel des Umsatzes des Konzerns entfallen auf diesen Wachstumsmarkt.

Speziell unter CEO Björn Rosengren hat sich ABB, nach der Beinahe-Insolvenz-Phase während der Rezession von 2002, erfolgreich umstrukturiert. Aufwärts geht es mit der ABB-Aktie erst seit der Corona-Krise. Zuvor, zwischen 2009 und 2019, wurde die der Titel lange als "20-Franken-Aktie" verspottet, weil er ständig um diese Marke herumdümpelte. Investoren waren mit dem Ulrich Spiesshofer, ABB-Chef von 2013 bis 2019, zunehmend unzufrieden.

Der Technologiekonzern zeigt sich heute dynamisch und hat etwa die Stromnetz-Sparte verkauft. ABB stellt eine Vielzahl von Produkten her, darunter Industrieroboter, Ladestationen für Elektroautos, Motoren und Automatisierungslösungen für verschiedene Fabriken, einschliesslich solcher für die digitale Vernetzung. Die vier Geschäftsbereiche des Unternehmens - Elektrifizierung, Antriebe, Prozessautomation und Robotik & Fertigungsautomation - bedienen eine Reihe von Zielmärkten, darunter die Öl- und Gasindustrie, konventionelle Stromerzeugung, die Automobil- und Schifffahrtsindustrie, Energieverteiler und Rechenzentren.

Umsatz und Wachstum ist eine Sache, Profitabilität eine andere. Doch auch hier kann der Technologiekonzern mit Sitz in Zürich mittlerweile überzeugen. Wie Mitte April bekannt wurde, konnte ABB im ersten Quartal erneut profitabler werden. Die operative Marge stieg um 1,6 Prozentpunkte auf 17,9 Prozent. Der Umsatz wuchs leicht, der Auftragseingang konnte aufgrund des Wegfalls von Grossaufträgen im Vergleich zum Vorjahr nicht gehalten werden. Die nächsten Ergebnisse (für das zweite Quartal) werden am 18. Juli veröffentlicht.

ABB profitiert an der Börse laut Mark Diethelm, Analyst bei der Bank Vontobel, davon, dass das Unternehmen von einem sehr hohen Auftragsbestand zehren kann, auch im Bereich Robotik/Automation. Dies hilft, temporär rückläufige Auftragseingänge zu überwinden. Diethelm betont, dass der Bereich «Electrification» das Zugpferd ist, das am schnellsten wächst und die Marge im ersten Quartal 2024 nochmals deutlich ausweiten konnte. Zusätzlich entfallen aussergewöhnliche Belastungen, und die Cash-Generierung war bereits im ersten Quartal sehr gut.

Aufgrund der Energiewende und der Dekarbonisierung industrieller Prozesse dürfte der Konzern langfristig beschleunigte Wachstumsraten erzielen, insbesondere im Bereich Elektrifizierung. Auch der Geschäftsbereich Process Automation ist aufgrund von ABBs starker Marktführerschaft weltweit attraktiv. Derzeit leidet noch der Bereich Robotik & Automation, aber strukturelle Trends wie die demografische Entwicklung machen diesen Bereich mittel- und langfristig sehr attraktiv.

Trotz gestiegener Fallhöhe: Bei ABB überwiegt das Positive

Die Chancen für ABB liegen in nachhaltigem organischem Wachstum sowie beschleunigenden Akquisitionen, die das Unternehmen aufgrund seines starken freien Cashflows von rund 4 Milliarden Dollar pro Jahr stemmen kann. Dadurch werden voraussichtlich auch die operativen Gewinnmargen weiter steigen. Zudem können Anleger wohl mit kontinuierlich steigenden Dividenden rechnen.

«Auch wenn noch wenig konkrete Projekte aus dem Inflation Reduction Act umgesetzt wurde, dürfte ABB mittelfristig wohl schneller wachsen als vom Markt geschätzt auch dank global steigenden Investitionen in Strominfrastrukturen. Wir sind immer noch von den letzten zehn bis fünfzehn Jahren beeinflusst, in denen ABB kaum vorankam», argumentiert Diethelm.

Mit dem Inflation Reduction Act (IRA) hat die USA ein umfangreiches Gesetzespaket auf den Weg gebracht, mit dem nicht nur die Inflation bekämpft, sondern auch der Ausstoß von Treibhausgasen reduziert, die Energiepreise nachhaltig gesenkt und neue grüne Wertschöpfungsketten aufgebaut werden sollen.

Trotz dieser positiven Ausgangslage sind die Analysten bei ABB vorsichtiger geworden, da auch die Fallhöhe gestiegen ist. Laut Bloomberg-Daten gibt es stattliche 17 «Halten»- und vier «Verkaufen»-Empfehlungen im Vergleich zu zwölf «Kaufen»-Empfehlungen. Das durchschnittliche Kursziel deutet auf ein Korrekturpotenzial von 8 Prozent hin. Wobei man hier anfügen muss, dass viele Analysten bei der Anpassung ihrer Kursziele schlichtweg nicht nachkommen.

«Das Risiko, das wir als relativ gering einschätzen, besteht vor allem aus möglichen geopolitischen Ereignissen und potenziellen Akquisitionen, welche die Erwartungen eventuell nicht erfüllen können», erklärt Laux von der ZKB. Hinzu kommen die üblichen Faktoren wie Währungsschwankungen und die allgemeine Wirtschaftsentwicklung. Zumindest letzteres lässt jedoch für den Moment eine positive Kursentwicklung der Aktie erhoffen.

Rosengren-Nachfolge kein Grund zur Sorge

Der Abgang von CEO Björn Rosengren könnte derzeit jedoch Unsicherheit verursachen. Seit seinem Amtsantritt im März 2020 hat die Aktie eine Kursrendite von über 140 Prozent erzielt, wobei die Dividendenrendite derzeit bei 1,8 Prozent liegt. Die CEO-Nachfolge wurde intern bei ABB reibungslos gelöst. Es war zu erwarten, dass Björn Rosengren aufgrund seines Alters nach fast fünf äusserst erfolgreichen Jahren, in denen er ABB neu aufgestellt und vorangebracht hat, zurücktritt, erklärt Laux von der ZKB. Sein Nachfolger ist Morten Wierod, ein sehr erfahrener Manager, der die Gruppe gut kennt und zuletzt erfolgreich die beiden grössten Bereiche geleitet hat.

Auch Diethelm von Vontobel ist von dieser Wahl überzeugt: «Die Wahl fiel auf Morten Wierod, der sowohl im Bereich Motion als auch im Bereich Electrification neue Profitabilitätsniveaus erreicht hat. Mit mehr als 25 Jahren Erfahrung bei ABB kennt Morten das Unternehmen sehr gut und wird voraussichtlich die aktuelle Strategie weiterführen, aber mit einem stärkeren Fokus auf Wachstum.» Diethelm erwartet keine organisatorischen Veränderungen, was für Kontinuität sorgen sollte. Dass das Konzernleitungsmitglied Tarak Mehta ABB gleichzeitig verlassen wird, sei bedauerlich, aber war absehbar.

«Never change a winning team» - oder anders formuliert: Was läuft, einfach laufen lassen. Diese Weisheit scheint bei ABB bis auf weiteres zuzutreffen. Gleichzeitig sporadisch Gewinne mitzunehmen widerspricht diesem Prinzip nicht, denn das ist immer auch ein Rebalancing. 

ManuelBoeck
Manuel BoeckMehr erfahren