Der Anteil von Personen, die unter Fettleibigkeit leiden, nimmt immer weiter zu. Besonders in den USA ist das Phänomen verbreitet, und es stellt eine zunehmende Bedrohung für die Langlebigkeit und Lebensqualität der Menschen dar. Laut einer Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Fachzeitschrift «The Lancet» leiden mehr als eine Milliarde Menschen weltweit unter Adipositas.
Daher ist es nicht erstaunlich, dass der Markt um Diätpillen, Spritzen und andere Abnehmmedikamente seit geraumer Zeit boomt. Bezeichnungen wie «Wegovy», «Ozempic» und «GLP-1-Medikamente» sind mittlerweile allgemein bekannt und deren Hersteller weisen dank dem Hype starke Geschäftszahlen und Aktienkurse auf. Novo Nordisk, der Hersteller von Wegovy und Ozempic, prägt sein Heimatland Dänemark: Dank des Erfolgs hat die dänische Regierung ihre Prognosen für das Wirtschaftswachstum des Landes deutlich nach oben korrigiert.
Laut Analystenschätzungen dürfte der Markt für solche Produkte bis Anfang der 2030er-Jahre auf etwa 150 Milliarden Dollar anwachsen - zum Vergleich: Der gesamte Pharmamarkt betrug 2021 laut Statista 1,28 Billionen US-Dollar. Doch so gut der Markt für die Pharmabranche ist, so heikel sind die Änderungen für die Lebensmittelbranche.
Die GLP-1-Medikamente dürften nämlich auch Verhaltensänderungen mit sich bringen, wie die Zürcher Kantonalbank (ZKB) in einer Studie zu den Auswirkungen der Adipositas-Krise auf Schweizer Pharma- und Lebensmittelunternehmen, sowie Pharmazulieferer (CDMO) ermittelt hat. Es bestehe einerseits die Möglichkeit, dass die Mittel das Bewusstsein für Ernährung schärfen. Andererseits seien die hohen Preise für viele Akteure schmerzhaft. Basierend auf der Annahme, dass bis in zehn Jahren 8 bis 10 Prozent der Amerikaner meist nur vorübergehend GLP-1-Medikamente einnehmen, erwarten die ZKB-Analysten in den USA jedoch nur einen moderaten Rückgang des Kalorienverbrauchs um 1 bis 2 Prozent.
Die Lebensmittelindustrie steht also vor der Herausforderung, ihre Produkte gesünder zu «gestalten», jedoch ohne die geschmacklichen Vorzüge einzubüssen. Denn diese sind für die meisten Verbraucher der entscheidende Faktor bei der Kaufentscheidung - noch vor Aspekten wie Frische, hohe Qualität oder niedrigem Preis.
Fein raus
Eine Erkenntnis der Studie dürfte Schweizer Konzerne vorerst aufatmen lassen. Die ZKB prognostiziert, dass Schweizer Unternehmen im internationalen Vergleich eher unterdurchschnittlich betroffen sein werden. Als grösster Player sticht Nestlé ins Auge. Der Konzern aus Vevey erzielt derzeit 75 Prozent seines Umsatzes in Produktkategorien wie Tiernahrung, Kaffee, Wasser oder Babynahrung, die keine negative Verbindung zur Thematik aufweisen. Im Gegenteil: Der Bereich Nestlé Health Science (7 Prozent des Umsatzes) dürfte vom Trend profitieren.
Dennoch erwirtschaftet Nestlé ein Viertel des Umsatzes in Bereichen, die eine Beeinträchtigung hinnehmen müssen. Süsswaren, Süssgetränke, Fertiggerichte, und Speiseeis sind Produkte, die von einem kalorienärmeren Konsum betroffen wären. Bei den Fertigprodukten hat Nestlé allerdings bereits Abhilfe geschafft und Produkte auf den Markt gebracht, die für GLP-1-Diäten geeignet sind.
Auch Grossproduzent Emmi dürfte aufgrund der niedrigen Betroffenheit von Milchprodukten, dem Fokus auf den Schweizer Markt und einer limitierten Umsatzexponierung in den USA (16 Prozent Umsatzanteil) weniger betroffen sein als andere. Das Dessertgeschäft des Luzerner Unternehmens wäre demnach am stärksten betroffen, allerdings ist dieses ebenfalls hauptsächlich auf Europa ausgerichtet. Auch Fleisch- und Convenience-Food Unternehmen Orior, Bell sind aufgrund des Umsatzanteils von über 60 Prozent in der Schweiz keine «Gefahrenkandidaten».
Im Scheinwerferlicht
Einen beachtlichen Einfluss dürften die Schweizer Schokoladenproduzenten verspüren. Während Lindt&Sprüngli durch die Tätigkeit im Premium-Geschäft nur marginal betroffen sein sollte, dürften die Auswirkungen für Barry Callebaut (BC) grösser sein. Premium-Schokolade profitiert in gewissem Umfang vom Trend «Weniger, aber bessere Qualität», was bei einer Massenproduktion wie BC nicht zutrifft. Der CEO von Barry Callebaut scheint jedoch optimistisch, da er auf einer Konferenz im November sagte, er sehe nur geringe Auswirkungen von GLP-1, weil Schokolade ein Genussmittel und keine tägliche Kalorienzufuhr sei.
Auch Givaudan könnte den Trend gemäss ZKB zu spüren bekommen. Immerhin werden 25 Prozent in den USA erwirtschaftet, und 55 Prozent des Umsatzes entfallen auf das Aromensegment, welches durch Anpassungen im Bereich der Snacks oder Süssgetränke vor Veränderung gestellt werden könnte.
Dennoch setzt der Konzern schon seit einigen Jahren auch auf den gesunden Trend. Anfangs Dezember nahm Givaudan in Zusammenarbeit mit Bühler und Migros das 2021 angekündigte Innovationszentrum «The Cultured Hub» in Betrieb. Der Hub diene Start-ups und Organisationen dazu, «die Entwicklung marktreifer, nachhaltiger, gesunder und erschwinglicher Produkte zu beschleunigen und vergrössern», heisst es. Da das Genfer Unternehmen mit den Neunmonatszahlen zu überzeugen wusste, und starke Zuwächse in den aufstrebenden Märkten in Südamerika, Afrika, Mittlerer Osten und Asien vermeldete, dürfte die Produktpalette und Marktsegmentierung genügend breit sein, um bei einem negativen Einfluss entsprechend reagieren zu können.
Chancen
Nicht nur für Givaudan eröffnen sich Chancen, die Entwicklung ebnet grundsätzlich den Weg für neue und potenziell teurere Produkte in Ländern wie den USA. Die steigende Konsumentennachfrage nach Produkten zur Gewichtskontrolle bietet einen fruchtbaren Boden für Innovationen in der Lebensmittel & Getränke Branche.
Gemäss Innova ist beispielsweise Sporternährung einer der dynamischsten Bereiche innerhalb des Trends zur Gewichtskontrolle. Produkte wie Sportpulver, Sportriegel und heisse Cerealien gewinnen an Beliebtheit und haben ein schnelles Wachstum gezeigt. Eine Verlagerung hin zu praktischen, proteinreichen und mit Ballaststoffen angereicherten Optionen, die sich nahtlos in einen aktiven Lebensstil einfügen. Die ZKB sieht aber auch Chancen für Produkte, die speziell während und nach einer GLP-1-Diät eingenommen werden können, um beispielsweise dem Muskelverlust entgegenzuwirken.
Kurz und gut: Lebensmittelkonzerne stehen also sicherlich vor einer Veränderung, wobei das Mass an Auswirkungen dabei von Unternehmen zu Unternehmen variiert. Bei Nestlé sind die Einflüsse sogar innerhalb desselben Unternehmens sowohl Gefahr als auch Chance. Während der Lebensmittelbereich potenziell negativ betroffen ist, ist Nestlé Health Science prädestiniert, um mit neuen Produkten vom GLP-1-Boom zu profitieren. Auch Emmi könnte durch eine Anpassung des Portfolios einen Vorteil aus dem Trend ziehen, während Hersteller von Massenprodukten wie Barry Callebaut potenziell mehr zu kämpfen haben werden, da dessen Produktpipeline sehr spezifisch ist.
2 Kommentare
Sehr analytisch und ein super Bericht!
Wann hört der Journalismus auf mit den Anti Zucker Kampagnen, den Zucker zu verteufeln?
Es ist eine Frage des Konsums, wenn man 1 oder 2 Zucker in seinen Kaffee tut..und dies ist noch jedem selbst überlassen. Patisserie ohne Zucker gibt's nicht und wird es auch nie geben👍