Deutschland hat mit seiner neuen Verteidigungspolitik eine historische Zäsur gesetzt. Der Umfang der finanziellen Zusagen sowie die dafür notwendigen Verfassungsänderungen zeigen die Tragweite dieser Entscheidung, erklärte Draghi in einem Bloomberg-Interview auf dem HSBC Global Investment Summit in Hongkong.

Seine grösste Sorge betrifft jedoch die Rolle der Europäischen Kommission. «Wenn das nicht richtig gemanagt wird, dann rüstet sich Deutschland auf, aber die anderen Länder nicht», warnte Draghi.

Deutschland hat Hunderte Milliarden Euro für schuldenfinanzierte Verteidigungs- und Infrastrukturprojekte freigegeben. Die kürzlich verabschiedeten Massnahmen beenden Jahrzehnte der Sparpolitik und markieren den Beginn einer neuen Ära des Defizit-Ausgaben, um Europas grösste Volkswirtschaft anzukurbeln und marode Infrastruktur zu modernisieren.

Hintergrund der deutschen Entscheidung ist der sicherheitspolitische Rückzug der USA unter Donald Trump. Dieser hat europäische Sicherheitsgarantien infrage gestellt und die wachsende Bedrohung durch Russland unter Präsident Wladimir Putin offenbart.

«Die USA haben uns im Grunde gesagt: ‚Euch läuft die Zeit davon‘», so Draghi. Die Botschaft sei klar gewesen: «Entweder ihr verteidigt euch selbst, oder ihr seid schutzlos.» Angesichts der aktuellen geopolitischen Lage sei es «keine angenehme Vorstellung, wehrlos zu sein, weil wir einen Feind haben – und das ist Russland».

Draghi setzt sich seit Langem dafür ein, dass Europa wettbewerbsfähiger wird. In seinem «Draghi-Bericht» aus dem vergangenen Jahr empfahl er der Europäischen Kommission Massnahmen zur Schaffung einer Kapitalmarktunion sowie zur Nutzung der enormen europäischen Ersparnisse für Innovation und Wachstum. Nun fordert er eine stärkere Integration der europäischen Streitkräfte und gemeinsame Verteidigungsausgaben.

Handelskrieg mit den USA

Eine weitere Herausforderung für Europa ist Trumps Handelspolitik. Die USA haben kürzlich einen globalen Handelskonflikt verschärft, indem sie 25 Prozent Zölle auf Stahl- und Aluminiumimporte verhängten. Die EU reagierte mit eigenen Strafzöllen auf gezielt ausgewählte US-Produkte.

Trump plant zudem für den 2. April eine Ankündigung zu sogenannten «Befreiungstag-Zöllen», mit denen er sich gegen Handelsbarrieren anderer Länder – darunter auch langjährige Verbündete der USA – wehren will.

Während in der EU Stimmen laut werden, die eine entschlossene Antwort fordern, mahnt Draghi zur Zurückhaltung. Europa sei viel stärker vom globalen Handel abhängig als die USA oder China.

«Wenn Trump eine Zollmauer errichtet, dann liegt es nicht in unserem Interesse, ebenfalls eine zu bauen», erklärte Draghi. «Wir müssen uns fragen: Reagieren wir mit Gegenmassnahmen oder nicht?»

(Bloomberg)