Die Rede ist von staatlichen Garantien in der Höhe von 15 Milliarden Euro. Das hat die Börsianer aufgeschreckt und verunsichert. Sie fragen sich, was die «Staatshilfen» für das Unternehmen und seine Aktionäre bedeuten - und ob Siemens Energy erneut frisches Kapital braucht.

WAS SIND DIE PROBLEME VON SIEMENS ENERGY?

Das Auftragsbuch von Siemens Energy ist auf 109 Milliarden Euro (per Ende Juni) angeschwollen - und es könnte im Zuge der Energiewende noch grösser werden. Vieles davon sind milliardenschwere Projekte, die sich über Jahre hinziehen und für die die Kunden meist 20 bis 30 Prozent des Auftragswertes anzahlen.

Dafür wollen sie Sicherheit haben, dass der Hersteller die Anlagen wie versprochen baut und dass sie später auch funktionieren. Ein Unternehmen, das solche Erfüllungs- oder Leistungsgarantien (performance bonds) zur Verfügung stellen kann, hat es leichter, Aufträge an Land zu ziehen. In Anspruch genommen werden solche Garantien so gut wie nie: Die Internationale Handelskammer hat für die Jahre von 2016 bis 2022 Ausfallraten von 0,2 Prozent errechnet.

WARUM BRAUCHT SIEMENS ENERGY DANN DEN STAAT?

Normalerweise stellen Banken solche Garantien bereit. Etwa die Hälfte der Anzahlungen müsste darüber abgesichert werden. Daraus errechnen sich die 15 Milliarden Euro. Doch die Kreditinstitute sind angesichts steigender Zinsen und des wegen der Milliardenverluste bei der Windkraft-Tochter Siemens Gamesa verschlechterten Kreditratings verunsichert. Zugleich steigt wegen des boomenden Geschäfts mit der Energiewende der Bedarf - der Konzern ist also praktisch ein Opfer des eigenen Erfolgs. Siemens Energy spricht davon, man wolle den «Zugang zu einem wachsenden Volumen an Garantien sicherzustellen, die das erwartete starke Wachstum ermöglichen».

Auch in anderen Ländern übernehme solche Garantien der Staat, heisst es in Verhandlungskreisen. Insidern zufolge gibt es einen Plan, wonach sich der Staat und die Banken die ersten zehn Milliarden Euro an Garantien im Verhältnis 80:20 teilen, für die nächsten fünf Milliarden Euro will der Staat den ehemaligen Mutterkonzern Siemens in die Pflicht nehmen.

WELCHE ROLLE SPIELT DABEI DIE SIEMENS AG?

Der Münchner Technologiekonzern hat Siemens Energy 2020 abgespalten und an die Börse gebracht. Es gibt aber noch immer Verflechtungen: Zum einen zahlt Siemens Energy Lizenzgebühren an den ehemaligen Mutterkonzern, zum anderen stehen bei der Siemens AG Garantien über sieben Milliarden Euro in den Büchern. Das ist nur noch ein Viertel des Volumens zum Zeitpunkt der Abspaltung. Siemens hat seinen Anteil an Siemens Energy - auch deswegen - von 35,1 auf 25,1 Prozent abgebaut und will ihn weiter senken.

Trotzdem sieht die Regierung die Siemens AG bei den Garantien in der Pflicht. Schliesslich müsse Siemens ohnehin für alle Altschulden von Siemens Energy gesetzlich bis 2025 haften. Siemens-Vorstandschef Roland Busch hat sich persönlich in die Gespräche eingeschaltet. Noch ziert sich der Konzern Insidern zufolge aber. Man richte sich nach den Interessen von Siemens und seiner Aktionäre. Vieles sei offen. Mit Finanzvorstand Ralf Thomas und Matthias Rebellius sitzen zwei Siemens-Vorstände im Aufsichtsrat von Siemens Energy, die ein Interesse am Wohlergehen des Unternehmens haben müssen. Und je stärker der Aktienkurs von Siemens Energy sinkt, desto weniger wird das Anteilspaket der Siemens AG wert.

UND WENN DER STAAT NICHT HELFEN WILL?

Dann kann Siemens Energy keine neuen Aufträge mehr annehmen - oder jedenfalls weniger. Oder der Konzern muss mit den Kunden sprechen, dass sie auf Garantien verzichten.

BRAUCHT SIEMENS ENERGY FRISCHES GELD?

Siemens Energy prüfe «derzeit verschiedene Massnahmen zur Stärkung der Bilanz» - diese vage Mitteilung hatte die Aktionäre alarmiert. Braucht der Konzern erneut eine Kapitalerhöhung, nachdem er erst im März 1,25 Milliarden Euro eingesammelt hatte? Droht sogar eine Verstaatlichung?

Aufsichtsratschef Joe Kaeser gab in der «Welt am Sonntag» Entwarnung: «Das Unternehmen braucht erkennbar kein Geld vom Staat.» Eine Kapitalerhöhung ist zwar immer im Hinterkopf des Vorstands, wie Insider berichten. Doch geht es offenbar mehr darum, Geld durch den Verkauf kleinerer Sparten hereinzubekommen. Ein Beispiel dafür ist der jüngste, rund eine halbe Milliarde Euro schwere Verkauf von Trench, des Geschäfts mit Hochspannungskomponenten, an den Finanzinvestor Triton.

(Reuters)