Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz diesen Samstag mit einer Wirtschaftsdelegation für mehrere Tage nach China reist, hat er auch die Sorgen der Firmen im Gepäck. Denn so sehr die chinesische Seite derzeit im Ringen um ausländische Investitionen freundliche Signale an die Europäer sendet und so sehr deutsche Firmen weiter am China-Geschäft interessiert sind - die Liste der Klagen ist lang. Sie reicht nach Aussagen von Wirtschaftsvertretern gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters mittlerweile von Marktzugangsbeschränkungen in China über rechtliche Unsicherheit, die Sorge vor einer politischen Eskalation um Taiwan bis zum Vorwurf des unfairen Wettbewerbs auf Drittmärkten.
Gerade deshalb sei es gut, dass der Kanzler nun nach China reise, sagt etwa Daniel Marek, Vorstandsmitglied der German Asia-Pacific Business Association (Ostasiatischer Verein/OAV), zu Reuters. «Dass der Kanzler so lange nach China kommt und in drei Städte reist, ist ein starkes Zeichen für die Normalisierung der Beziehungen», betonte auch Maximilian Butek, Geschäftsführer und Vorstandsmitglied der Deutschen Handelskammer in Ostchina, in einem Reuters-Interview. Regierungssprecher Steffen Hebestreit will die Reise allerdings eher in der Kontinuität der Regierungshaltung sehen.
«In der Wirtschaftsdelegation sind nach Reuters-Informationen unter anderem die Chefs grosser Konzerne wie Siemens, Bayer, Mercedes, BMW, Merck, DHL, ThyssenKrupp sowie des schwäbischen Anlagenbauers Voith dabei. »Als wichtigster Handelspartner ist China ein bedeutender Lieferant für viele Vorprodukte und Rohstoffe, aber auch ein wichtiger Absatzmarkt für deutsche Produkte«, sagt der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Martin Wansleben, zu Reuters.
Geopolitische Sorgen führen zu lokaler Produktion
Doch ein Unsicherheitsfaktor für die Unternehmen sind die geopolitische Lage und etwa die Spannungen zwischen China und den USA. »Die deutschen Unternehmen betrachten den weltweit zunehmenden Protektionismus mit grosser Sorge«, warnt Wansleben mit Blick auf eine Fragmentierung der Weltwirtschaft. In China sorgten sich mit 71 Prozent weit überdurchschnittlich viele deutsche Unternehmen darum. »In keinem anderen Land wird dieses Risiko annähernd so oft genannt«, fügt er hinzu. Hintergrund sind Befürchtungen, dass China sich das als abtrünnige Provinz angesehene Taiwan gewaltsam einverleiben und damit eine weltweite Sanktionspolitik auslösen könnte.
»Die deutschen Unternehmen betreiben bereits seit geraumer Zeit ein verstärktes Risikomanagement«, betont der DIHK-Hauptgeschäftsführer deshalb. Zum einen werde das Geschäft noch stärker lokalisiert, also zum Beispiel in China für den chinesischen Markt produziert. »Im Fall einer Eskalation kann man den Markt von dort aus weiter bedienen.« Zum anderen würden sich viele Betriebe nach anderen Beschaffungs- und Absatzmärkten ausserhalb Chinas umschauen und dort investieren.
Genau diese verstärkte lokale Produktion in China ist laut einer neuen Analyse der Commerzbank Research der entscheidende Grund, wieso die deutschen Exporte nach China zuletzt gefallen sind. Trotz der Strategie des »de-risking« sind deshalb auch die Investitionen einiger Unternehmen in China jüngst gewachsen. »ES GIBT KEINE GLEICHBEHANDLUNG«
Aber auch unterhalb der geopolitischen Ebene gibt es erhebliche Kritik. »Solange im chinesischen Recht - anders als etwa in Deutschland - zwischen ausländischen und chinesischen Firmen unterschieden wird, kann es keine wirkliche Gleichbehandlung geben,« sagt Ulrich Ackermann, Aussenwirtschaftschef des Maschinenbauverbands VDMA, zu Reuters. Politische Einflussnahme könne es jederzeit geben. Ganze Marktsegmente könnten wegbrechen, wenn die Führung in Peking einheimischen Firmen das Geschäft zuschieben wolle. »Der Kanzler sollte schon gegenüber China einfordern, dass das zugesagte 'Level Playing Field' für Firmen jetzt wirklich eingehalten wird«, mahnt OAV-Vorstand Marek. Butek als Geschäftsführer der Handelskammer in Shanghai sieht dies ähnlich: »Umso wichtiger ist es, dass die chinesische Regierung dann für Wettbewerbsgleichheit sorgt. Die gibt es derzeit nicht.«
Angst vor Chinas Überkapazitäten
Dazu kommt angesichts der Schwäche der chinesischen Inlandsnachfrage, dass China Güter ins Ausland umlenkt. Die EU-Kommission hat gerade ein Anti-Dumping Verfahren gegen die chinesische Solarindustrie eingeleitet. »China versucht Überkapazitäten auf Weltmärkte zu drücken - mit Subventionen bis hinunter auf die Städteebene«, sagte VDMA-Vertreter Ackermann. US-Finanzministerin Janet Yellen äusserte bei ihrem Besuch in China ebenfalls Sorgen über die umstrittene Exportoffensive.
Zwar seien Exportüberschüsse nicht automatisch »Überkapazitäten«, heisst es warnend in deutschen Wirtschaftskreisen. Aber wo Subventionen der Grund für konkurrenzlos billige Preise chinesischer Anbieter seien wie etwa im Eisenbahn- oder Solarsektor, müssten diese beendet werden. Falls China nicht einlenke, sei es »völlig in Ordnung«, wenn die EU sich wehre, etwa mit Anti-Dumping-Massnahmen.
Mehr informelle Hemmnisse
Der Diebstahl geistigen Eigentums oder die für ausländische Firmen schwer überschaubare Patentflut gelten weiter als Probleme auf dem chinesischen Markt. Aber es gibt auch neue Phänomene: So sei die chinesische Seite bei der Abschottung des Marktes fintenreicher geworden, verlautet aus den Kreisen weiter. »Tatsächlich hat China in den vergangenen 15 bis 20 Jahren wie versprochen viele formale Zugangsbarrieren abgebaut«, betont ein Wirtschaftsvertreter, der namentlich nicht genannt werden will. Die Negativliste für Bereiche, in denen ausländische Firmen aktiv werden dürfen, ist etwa deutlich geschrumpft. »Aber gleichzeitig nehmen informelle Marktzugangshemmnisse zu.«
So klagen deutsche Firmen über »buy chinese"-Aufforderungen an örtliche und regionale Behörden. Probleme gibt es verstärkt bei der Produktzulassung: Diese werde teilweise verschleppt, um chinesischen Konkurrenten einen Vorsprung zu geben.
(Reuters)