Der Goldpreis verhält sich untypisch für die allgemeine Marktlage: Trotz freundlichen Börsen, rückläufiger Inflation und höheren Realzinsen nähert er sich den alten Rekordmarken. Rund 1960 Dollar kostet die Feinunze wieder. 

Eine treibende Kraft könnten die Hedgefonds und andere Grossinvestoren sein. Sie spekulieren an den Terminmärkten wieder verstärkt auf steigende Goldnotierungen, wie die Positionierungsdaten der Aufsichtsbehörde CFTC zeigen.

Normale Anlegerinnen und Anleger jedoch haben wenig Appetit auf das Edelmetall. In den letzten drei Quartalen haben sie massiv Gelder aus kotierten Goldfonds (ETF) abgezogen, wodurch deren Goldbestände um 380 Tonnen gesunken sind. Das geht aus den neusten Zahlen des World Gold Council (WGC) hervor, der Lobbyorganisation der Minen und Goldhändler.

Was der Bericht ebenfalls zeigt: Die Zentralbanken füllen im Rekordtempo ihre Tresore mit Gold. Im vierten Quartal 2022 kauften sie insgesamt 417 Tonnen, zwölfmal so viel wie im Vorjahresquartal (siehe Grafik).

Über das ganze Jahr 2022 beliefen sich die Goldkäufe der Notenbanken auf 1136 Tonnen. Das ist mehr als das Doppelte der durchschnittlichen jährlichen Käufe der letzten zehn Jahre und der höchste Wert seit 1967, dem Jahr der Pfund-Krise. «Die geopolitische Unsicherheit und die hohe Inflation wurden als Hauptgründe für mehr Goldreserven hervorgehoben», heisst es im Bericht.

Bessere Diversifikation

Seit 2010 treten Zentralbanken per Saldo als Käufer am Goldmarkt auf, nachdem sie zuvor über Jahrzehnte Gold abgestossen hatten.

Laut Carsten Fritsch, Edelmetallanalyst der Commerzbank, gibt es dafür verschiedene Gründe. Dazu zähle die Portfoliodiversifikation, weil Gold keine oder nur eine geringe Korrelation zu anderen Anlageklassen aufweise. «Zudem wollen die Zentralbanken die Abhängigkeit vom Dollar reduzieren», sagt Fritsch. Wie die letzten Jahre gezeigt hätten, bestehe beim Dollar ein Sanktionsrisiko. «Deshalb versuchen Zentralbanken aus Schwellenländern, den Anteil von Gold in ihren Währungsreserven zu erhöhen. Dieser ist verglichen mit dem in Industrieländern zumeist noch immer niedrig.»

An der Spitze der Goldkäufer unter den Ländern und ihren Nationalbanken steht die Türkei. Sie hat 2022 gemäss den Daten, die sie dem Internationalen Währungsfonds übermittelt, rund 150 Tonnen gekauft, davon allein 53 Tonnen in den letzten drei Monaten des Jahres.

China gibt an, im vierten Quartal 62 Tonnen Gold gekauft zu haben. Zu den Grosskunden am Goldmarkt gehörten 2022 auch die Zentralbanken von Indien, Usbekistan, Ägypten und den Golfstaaten.

Russland überholt China

Von den von WGC geschätzten 1100 Tonnen Zentralbankkäufen wird nur ein Teil von den Ländern gemeldet. Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass die nicht registrierten Käufe vor allem auf das Konto von China, Russland und Ländern des Nahen und Mittleren Ostens gehen, wo zum Teil auch Staatsfonds im Goldhandel aktiv sind.

Russland zum Beispiel meldet seit Ende 2021 keine Veränderung der Goldbestände mehr. Die Akkumulation der vergangenen Jahre dürfte sich aber fortgesetzt haben. Nach der Annexion der Krim 2014 und den ersten Wirtschaftssanktionen des Westens begann Russland seine Goldbestände massiv zu erhöhen.

Mit offiziell 2300 Tonnen verfügt Putins Reich unterdessen über die fünftgrössten Goldreserven der Welt und hat China überholt, der Anteil Gold an den Devisenreserven ist auf über 20 Prozent gestiegen.

Bedingter Schutz vor Sanktionen

Die Absichten hinter den Goldkäufen wurden erst später offensichtlich: Im Rahmen der Sanktionen froren die USA und ihre Verbündeten letztes Jahr die Devisenreserven der russischen Zentralbank ein. Gemäss russischen Angaben ist rund die Hälfte der Reserven betroffen. Anders als die im Ausland verwahrten Anleihen entzieht sich das heimisch gelagerte Gold dem Zugriff. 

Am Beispiel der russischen Zentralbank zeigt sich laut Fritsch aber, dass auch Goldreserven nicht vollkommen frei von Sanktionsrisiken sind. Das Gold kann zwar nicht eingefroren oder beschlagnahmt werden, es ist aber nur noch eingeschränkt handelbar. Länder, die an den Sanktionen teilnehmen, dürfen kein Gold mehr von Russland kaufen.

Aus den Goldkäufen der Türkei zu schliessen, dass sich jetzt ein weiteres Land auf eine Konfrontation mit dem Westen vorbereitet und sich auf Sanktionen einstellt, wäre jedoch falsch. Vielmehr liegt der Grund für die türkischen Käufe in der hohen Inflation und der Abwertung der Lira.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der "Handelszeitung" unter dem Titel "Weshalb die Zentralbanken so viel Gold kaufen"