Während und nach der Coronapandemie wurde von einem Rückbau der internationalen wirtschaftlichen Verflechtung - von einer Deglobalisierung - gesprochen. Gestörte Lieferketten gaben dazu Anlass. Genährt wurde die Diskussion dann auch durch den Krieg in der Ukraine sowie durch geopolitische Spannungen.
Im November erschienene Daten zeigen allerdings, dass die internationale Verflechtung nicht abgenommen hat: Der DHL Global Connectedness Index misst die internationalen Aktivitäten im Verhältnis zu inländischen Aktivitäten. Im Jahr 2022 erreichte er mit 25 Prozent ein Hoch. Bis heute habe keine wesentliche Veränderung stattgefunden, schreiben die Autoren der Erhebung. «Das Wachstum der internationalen Ströme hält mit dem Wachstum der inländischen Aktivität Schritt.»
Der Studie zufolge läuft weder eine zunehmende Regionalisierung, noch nimmt die Diversifizierung der Ströme zwischen den Ländern ab. Die Deglobalisierung sei ein Risiko, aber «keine aktuelle Realität», heisst es.
Das könnte sich ändern, nachdem der Republikaner Donald Trump im Januar 2025 ins Weisse Haus eingezogen sein wird. Der designierte US-Präsident hat Zölle angekündigt, die vor allem China, aber auch alle andere Länder betreffen werden. In einem Szenario der Commerzbank bedeuten die höheren Handelsschranken der USA aber nur den Startschuss für eine weltweite zunehmende Behinderung des internationalen Handels.
Dieses Szenario sieht so aus, dass «alle Länder der Welt gegenüber allen anderen Ländern Handelsbarrieren errichten oder erhöhen würden». Zollanhebungen auf breiter Front wären die Folgen. Und «dann käme es zu einer breitbasierten De-Globalisierung, die das Bruttoinlandsprodukt der Länder nicht nur um wenige Prozente senkt, sondern schnell um 10 oder mehr», schreibt Jörg Krämer, Chefökonom der Commerzbank.
Speziell betroffen wäre die Schweiz: Sie gehört zu den Ländern, die sehr stark in den internationalen wirtschaftlichen Austausch eingebunden ist. Im Jahr 2023 machten die Importe 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus, die Exporte zirka 47 Prozent; in den Jahren zuvor waren die Quoten ähnlich hoch. Der Volksmund hat also recht, wenn er sagt, die Schweiz verdiene jeden zweiten Franken im Ausland. Die wichtigsten Exportdestinationen sind - in absteigender Rangfolge - die USA, Deutschland, China, Italien und Frankreich.
Hohes Gewicht von Chemie und Pharma
Der dominante Sektor im Schweizer Aussenhandel ist die chemisch-pharmazeutische Industrie: Im Jahr 2023 exportierte sie Produkte im Wert von 135 Milliarden Franken. Das sind mehr als ein Drittel der gesamten Schweizer Ausfuhren.
Im vergangenen Oktober zogen die Gesamtexporte um 10,2 Prozent auf über 24 Milliarden Franken an. Wertmässig beträgt das Plus gegenüber dem September 2,27 Milliarden Franken. Wesentlicher Treiber waren wiederum die chemisch-pharmazeutischen Produkte: Um 1,8 Milliarden Franken legten die Exporte von Roh- und Grundstoffe zu, um 477 Millionen die Ausfuhren von Medikamenten. Ein Minus von 466 Millionen gab es hingegen in der Sparte der immunologischen Produkte.
Alles in allem bewegt sich die Schweiz also auf einem heiklen Terrain: Womöglich höhere internationale Handelsschranken, die USA als relevanter Handelspartner und die hohe wirtschaftliche Bedeutung von Chemie und Pharma. Martin Weder, Leiter des Team «Economic Research» der Zürcher Kantonalbank, formuliert es so: «Die Schweiz wäre von flächendeckenden Importzöllen stärker betroffen als andere Industrieländer. Die USA ist nämlich mittlerweile der grösste Absatzmarkt der Schweiz, wobei der überwiegende Teil der Exporte auf chemisch-pharmazeutische Produkte fällt.»
Eine für die Schweiz und ihre Industrie negative Entwicklung dürfte auf Aktien durchschlagen. Einen ersten Eindruck erhielten Anleger beispielsweise Mitte November. Donald Trump kündigte an, Robert F. Kennedy Jr. (RFK) zum Gesundheitsminister in seiner künftigen Regierung zu machen. In der Folge kamen Gesundheitswerte unter Druck. Roche fiel fast fünf, Bachem rund acht und Lonza neun Prozent. «Zu viel Unsicherheit macht den Sektor weniger beliebt», lautete ein Fazit der Experten von Wells Fargo, die sich mit den Folgen von Kennedys Nomination für Pharma- und Biotechnologie-Unternehmen befassten.
Unklar ist jedoch, wie weit Trump seine Pläne in die Tat umsetzt. Denkbar ist, dass er mit seinen Ansagen eine Position für künftige Verhandlungen mit anderen Staaten aufbauen will. Laut der Commerzbank gibt es jedenfalls Gründe, welche die Zollerhöhungen aus Sicht der USA nachteilig erscheinen lassen. So beispielsweise dürften US-Produkte an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Die Begründung dazu lautet: Da US-Unternehmen auf importierte Vorprodukte Zölle bezahlen müssen, werden ihre Endprodukte teurer. Dies mache, so die Commerzbank weiter, amerikanische Güter im Vergleich zu europäischen Gütern teurer, insbesondere auf Märkten ausserhalb der USA.
So gut wie sicher ist derweil, dass die Schweiz in einem Handelsstreit voraussichtlich nicht mitmischen wird. Das Land hat sein Bekenntnis zu offenen Wirtschaftsbeziehungen durch mehrere Freihandelsabkommen und mit der Abschaffung der Industriezölle per Anfang Jahr unterstrichen. Nun teilt das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) auf Anfrage von cash.ch mit: «Die Schweiz setzt sich für offene Märkte und Freihandel ein. Sie verzichtet deshalb im eigenen volkswirtschaftlichen Interesse generell auf protektionistische Massnahmen.»
1 Kommentar
Zumindest hinsichtlich der Schweiz ist der Artikel zu alarmistisch. Es ist klar, dass die Exportüberschüsse nicht für alle Zeiten aufrecht erhalten können. Bereits heute verfügt die Pharmaindustrie über beträchtliche Produktionskapazitäten in den USA so dass teilweise eine Verlagerung der Produktion möglich ist. Auch innenpolitisch wäre eine Reduktion der Sogwirkung der Pharmabranche auf den Arbeitsmarkt und die Immigration nicht nur negativ zu sehen.