cash.ch: Herr Kolm, Sie sind Mathematik-Professor an der New York University und waren Quant des Jahres 2021. Was sind die grundlegenden Prinzipien des quantitativen Investierens?
Eine ausgewogene Diversifikation ist entscheidend. Statt alles in eine einzige Anlage zu stecken, sollte man sein Geld auf verschiedene Anlagen verteilen. Das bedeutet, dass Sie ein Portfolio aus verschiedenen Aktien, Anleihen oder anderen Wertpapieren halten sollten.
Das unterscheidet quantitatives Investieren nicht von anderen Strategien…
Der traditionelle Ansatz liegt eher in der praxisorientierten Fundamentalanalyse. Dabei ist es wichtig zu verstehen, in welchen Geschäftsbereichen Unternehmen aktiv sind und ob es Wachstumschancen in diesen Bereichen gibt. Wenn wir uns hingegen der quantitativen Seite zuwenden, basiert die quantitative Investition auf den gleichen Prinzipien. Der Unterschied besteht darin, dass wir mithilfe automatisierter quantitativer Techniken Daten aus verschiedenen Quellen sammeln können, nicht nur aus Finanzberichten, sondern auch aus den Medien, von den Börsen und makroökonomischen Entwicklungen.
Wie werden diese Daten genutzt?
Diese Daten können dann in einem gross angelegten Rahmen genutzt werden, um eine Auswahl an Investments zu treffen. Diese Automatisierung in Echtzeit ermöglicht es Firmen wie Aisot Technologies, tausende von Investitionen gleichzeitig und in Echtzeit zu analysieren, über verschiedene Anlageklassen hinweg. Da wir von Millionen von Datenpunkten reden, übersteigt dieses Vorgehen die menschlichen Fähigkeiten bei Weitem, versetzt den Menschen aber in die Lage, schneller und genauere Entscheide zu treffen.
Vor allem die Qualität der Daten ist ausschlaggebend. Wie geht man da vor?
Beim fundamentalen Anlagestil, bei dem Menschen Jahresabschlüsse und ähnliche Berichte analysieren, stehen sie vor den gleichen Herausforderungen. Jahresabschlüsse können auf unterschiedliche Weise erstellt werden, daher sind Daten immer von grosser Bedeutung. Bei einem automatisierten Prozess müssen Filter eingebaut werden. Statt die Daten visuell zu betrachten und ihre Aussagekraft zu beurteilen, sollte man Filter implementieren, die die Daten bewerten und prüfen, ob sie relevant sind. Denn, wie bereits erwähnt, sind Entscheidungen nur so gut wie die vorliegenden Informationen. Und Daten sind das, wonach wir suchen.
Sie machen Aussagen über die Zukunft. Es werden aber nicht alle Einflussgrössen wie die politische Entwicklung berücksichtigt, weil man gar keine Daten dazu hat. Ist dies nicht ein Problem?
Die Grundidee eines modernen Investitionsprozesses ist, dass man nicht immer zu 100 Prozent richtig liegen muss.
Sondern ich muss mehr richtig als falsch. Es sind Wahrscheinlichkeiten…
Genau. Die Vorhersage zukünftiger Aktienkurse ist äusserst schwierig. Um dieses Dilemma zu umgehen, streut man das Risiko, indem man auf viele Aktien gleichzeitig setzt. Statt nur auf eine Handvoll Aktien zu setzen, setzt man auf hunderte oder tausende Aktien. Zudem verknüpft man die Vorhersagen in der Regel mit einer quantitativen Risikooptimierung. So kann man oft auch schon bei kleineren Portfolios einiges rausholen. Und es ist heute weithin bekannt, dass einzelne Anleger nicht immer optimal handeln. Im quantitativen Investieren bauen wir Risikomodelle, die in der Lage sind, verschiedene Risikoquellen zu messen und zu quantifizieren. Mit Hilfe dieser Modelle können wir dann diversifizierte Portfolios erstellen, die die Risikoprofile aufweisen, die ein Kunde sucht.
Sie sprechen die Verhaltensökonomie an. Ist das Ausschalten der menschlichen Komponente der grosse Vorteil beim quantitativen Ansatz?
Genau. Bei dieser Herangehensweise nimmt man eine viel umfassendere Perspektive ein. Menschen können bei ihren Entscheidungen nicht alle verfügbaren Informationen berücksichtigen. Für Analysten ist es eine riesige Herausforderung, Informationen wie Marktdynamiken, Finanzberichte, Pressemitteilungen, Earnings Calls, soziale Medien für einige wenige Aktien zu sammeln und zu verarbeiten. Quantitative Ansätze ermöglichen es uns jedoch, diese Aufgabe effizient und in Echtzeit für Tausende von Aktien sowie für andere Vermögenswerte zu bewältigen.
Aber ist der Mensch manchmal auch im Vorteil? Stichwort politische Entwicklungen.
Wenn eine politische Unsicherheit in einem bestimmten Land besteht, hat der Mensch aufgrund seiner Intuition einen Vorteil. Dies ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass die menschliche Intuition oft auf einer breiteren Palette von Erfahrungen, sozialem Verständnis und emotionaler Intelligenz beruht, was eine bessere Erfassung und Bewertung komplexer Situationen ermöglicht. In Zeiten politischer Unsicherheit können diese menschlichen Fähigkeiten helfen, subtile Signale und nuancierte Kontexte zu erkennen, die von rein quantitativen Ansätzen möglicherweise übersehen werden.
Zurück zu Investitionsentscheiden: Wie geht Ihr bei Aisot vor?
Es handelt sich um ein Angebot zur Erweiterung der menschlichen Fähigkeiten beim Investieren mittels systematischer, datengetriebener Herangehensweisen. Der quantitative Handel existiert jedoch schon seit langem. Es geht um die Idee, Daten mithilfe verschiedener Algorithmen und statistischer Techniken zur Entscheidungsfindung zu nutzen. Neu ist der Einsatz von Künstlicher Intelligenz respektive maschinellem Lernen. Wir haben bei Aisot ein Team aufgebaut, das sich mit modernen Techniken und maschinellem Lernen auskennt. Dadurch können wir nicht nur die traditionelleren quantitativen Instrumente einsetzen, sondern auch moderne Instrumente der statistischen Datenverarbeitung und des maschinellen Lernens nutzen. Zudem priorisieren wir bei Aisot die Nutzung von neuen Datenquellen über herkömmliche Daten. So können wir beispielsweise unseren Kunden Strategien anbieten, die verschiedene Nachrichtenquellen nutzen, wie Zeitungsartikel, Pressemitteilungen und mehr.
Und was ist dort jetzt der Vorteil von Aisot?
Wir sind ein junges Unternehmen und derzeit konzentrieren wir uns auf die Aktienmärkte in den USA, Grossbritannien, der Schweiz und der EU sowie Digitale Assets. Mit unserem quantitativen Ansatz können wir personalisierte Portfolios aus diesen Anlagen erstellen, die unterschiedliche Risikoprofile für verschiedene Arten von Anlegern aufweisen. Wir verfügen über Instrumente und Techniken, die es uns ermöglichen, Portfolios auf persönliche Weise zu gestalten und zu formen. Und das Beste daran ist, dass dieser Prozess vollständig automatisiert werden kann. Zum Beispiel können Kunden von Aisot unsere Tools nutzen, um individuelle Portfolio-Lösungen rechnen zu lassen. Und das alles wird auf einer sicheren Cloud-basierten Plattform durchgeführt.
Wie schnell passiert dies?
Es geht blitzschnell, innerhalb von Sekunden. Es ist kein langwieriger Entscheidungsprozess, der Tage dauert, um berechnet zu werden.
Was entscheidet dabei der Kunde?
Bestimmte Entscheidungen werden auf Kundenebene getroffen. Wenn ein Kunde zu uns kommt und sagt: "Ich möchte in den US-Aktienmarkt investieren", haben wir kein Modell, das ihm sagt, dass er stattdessen in den japanischen Markt investieren sollte. Es gibt also bestimmte Entscheidungen, die von den Personen im Anlagemanagement getroffen werden. Manchmal kommen Kunden zu uns und haben eine bestimmte Vorstellung von dem Anlagestil, den sie suchen, und wir unterstützen sie dabei. Natürlich müssen wir die aktuellen Aktienkurse kennen und schauen uns Volumen und Preise an, aber das kann jeder sehen. Wenn ich mir heute einen Aktienkurs anschaue und ihn mit dem von gestern vergleiche, um zu sagen, ob er steigen oder fallen wird, ist das nur von sehr geringer Bedeutung.
Welche Rolle hat das Momentum?
Das Momentum ist ein wichtiger Faktor, der auf verschiedenen Zeitskalen und Märkten wirkt. Akademische Studien zeigen, dass an den Aktienmärkten in der Regel ein Momentum im Zeitraum von drei bis neun Monaten besteht. Es gibt zwei verschiedene Arten von Momentum: Zeitreihenmomentum und Querschnittsmomentum.
Was ist das Querschnittsmomentum?
Beim Querschnittsmomentum geht man davon aus, dass Aktien, die zum Beispiel in den letzten sechs Monaten gestiegen sind, im Durchschnitt weiter steigen werden, während Aktien, die in den letzten sechs Monaten gefallen sind, im Durchschnitt weiter fallen werden. Auf Grundlage dieser statistischen Erkenntnisse kann man ein Portfolio zusammenstellen, das sowohl Long-Positionen von gestiegenen Aktien als auch Short-Positionen von gefallenen Aktien enthält. Durch die Differenz der Wertentwicklung kann man dann Geld verdienen. Dies ist eine wichtige Erkenntnis. So würde man in der realen Welt aber nicht vorgehen. Denn man kann nicht mit all den Tausenden von Aktien handeln, und das will man auch nicht unbedingt. Daher möchte man bei den Aktien, die gestiegen sind, und bei denen, die gefallen sind, vielleicht etwas selektiver vorgehen.
Wie macht man das?
Man kann quantitative Instrumente einsetzen, um Aktien auszusieben und zu sagen: "Okay, wir konzentrieren uns auf diese 50 Aktien und schliessen diese 50 aus." Jemand könnte auch sagen: "Oh, ich möchte keine Short-Positionen in meinem Portfolio haben." Das bedeutet, dass alle Aktien mit negativem Momentum ausgeschlossen werden müssen. Stattdessen wählt man diejenigen aus, die ein positives Momentum aufweisen. Man könnte sich auch dafür entscheiden, Momentum mit mehreren anderen Signalen zu kombinieren, um eine Gruppe von Anlagen für den Handel auszuwählen. Dieser Ansatz ermöglicht es Investoren, nicht nur von Momentum zu profitieren, sondern auch über andere Anlagethemen zu diversifizieren.
Wie wichtig wird quantitatives Investment in der Zukunft sein?
Wenn wir über quantitatives oder systematisches Investieren sprechen, können wir sagen, dass es in den 70er und frühen 80er Jahren einen sehr kleinen Teil der Investments ausmachte. Heute hat der Anteil systematischer Ansätze weiter zugenommen. Das Besondere daran ist, dass wir dies heute in gewisser Weise alle sehen können. Sie kennen sicherlich das Konzept der sogenannten systematischen Indexierung. Unternehmen wie BlackRock und Fidelity bieten ETFs an, die nicht nur einen Index wie den S&P 500 oder den Nasdaq abbilden, sondern auch Indexierungsstrategien, die früher systematische Strategien waren. Es gibt ETFs, die einen Momentum-Ansatz verfolgen. Viele dieser Ansätze, die in den 70er und 80er Jahren von Hedge-Fonds genutzt wurden, sind nun für uns als ETFs erhältlich. Was ich damit sagen möchte, ist, dass die Akzeptanz eines systematischen und wissenschaftlichen Ansatzes beim Investieren nun auf einer breiteren Basis verstanden wird. Und dieser Trend wird sich mit Sicherheit noch verstärken. Maschinelles Lernen und neue globale Datenquellen bieten schon heute fantastische Möglichkeiten, innovative Anlagestrategien für Kunden zu entwickeln. Durch Automatisierung können wir schnell Entscheidungen über verschiedene Vermögenswerte und Anlagethemen treffen und Portfolios an die Risikoprofile und Anlageziele der Kunden anpassen. Über rasch verfügbare Investment-Produkte wie AMCs und ETPs können Anleger auch heute schon von maschinell optimierten Anlagen profitieren, z.B. mit der Technologie von aisot im Hintergrund.
Vor seiner Rolle als Professor und Direktor des Studiengangs Mathematik in Finanzwesen am NYU Courant arbeitete Petter in der Quantitative Strategies-Gruppe bei Goldman Sachs Asset Management. Im Jahr 2021 wurde er für seine Beiträge auf dem Gebiet der quantitativen Portfoliotheorie zum "Quant des Jahres" ernannt. Petter hat zahlreiche Artikel und Bücher über quantitative Finanzen, Handel und Finanzdatenwissenschaft mitverfasst und ist Mitglied mehrerer Unternehmensbeiräte, Herausgebergremien für wissenschaftliche Zeitschriften und beruflicher Vereinigungen. Er hat einen Doktortitel in Mathematik von der Yale University, einen M.Phil. in Angewandter Mathematik vom Royal Institute of Technology und einen M.Sc. in Mathematik von der ETH Zürich.