Trotz geopolitischer und wirtschaftlicher Unsicherheiten rechnen Analysten mit einer Erholung des Marktes für Börsengänge - sogenannte Initial Public Offering (IPO). Schon der neue Chef des Schweizer Börsenbetreibers SIX Swiss Exchange, Bjørn Sibbern, hatte jüngst für das aktuelle Jahr eine «sehr starke» Pipeline für IPOs in der Schweiz und Spanien prognostiziert.
Die Pipeline sei durch die Durststrecke der letzten zwei bis drei Jahren gewachsen, bestätigt Andreas Neumann, Leiter Equity Capital Markets bei der Zürcher Kantonalbank (ZKB). «Bisher war die Unsicherheit und teilweise auch die Volatilität an den Märkten zu gross. In solchen Phasen geht man als Unternehmen nicht an die Börse, schon gar nicht als Türöffner», führt Neumann gegenüber cash.ch aus. Die positive Entwicklung von Unternehmen wie Galderma, das 2024 an die Börse ging, habe das Interesse an weiteren Börsengängen gesteigert. Die Aktie von Galderma hat sich seit März 2024 im Wert fast verdoppelt.
«Wenn das Börsenumfeld so bleibt, erwarte ich, dass man in der zweiten Jahreshälfte oder Anfang 2026 mit Zuwachs rechnen kann», so Neumann weiter. Das Umfeld stimmt zumindest bislang: Der Swiss Market Index verzeichnete in den ersten vier Wochen 2025 den besten Jahresstart seit 25 Jahren.
Potentielle IPO- und Fusionskandidaten
Für den ZKB-Experten Neumann gibt es aus dem Private-Equity Bereich mehrere Kandidaten, bei denen dieses Jahr ein IPO ein Thema sein könnte, insbesondere solche mit einem «interessanten Business Case» mit Wachstumsperspektiven. Diese Unternehmen können durch ein IPO Kapitalerhöhungen durchführen und ihre Marktposition stärken. Konkret wird Spineart als potenzieller Kandidat gehandelt. Das Westschweizer Unternehmen konzentriert sich auf die Entwicklung von medizinischen Geräten zur Implantation in die Wirbelsäule.
Auch Firmen, die aus dem ehemaligen Swissair-Konzern hervorgingen wie der Airline-Catering-Dienst Gategroup oder der Bodenabfertigungsdienst Swissport, erfüllen relevante Kriterien und könnten somit die Börse bald ergänzen. Beide Unternehmen hatten in der Vergangenheit bereits einen Börsengang angestrebt, aufgrund der Schwierigkeiten und Marktbedingungen wurden die Pläne allerdings verschoben oder verworfen. Beide Firmen dürften durch ihre Stabilität und Marktstellung attraktive Kandidaten für Investoren sein.
Die Schweizer Börse könnte in den kommenden Monaten auch um ein Industrie-Unternehmen erweitert werden. «Ich könnte mir gut vorstellen, dass das Textilmaschinen-Geschäft von Oerlikon dieses Jahr an die Börse kommen wird», sagt ein Finanzmarktexperte, der namentlich nicht zitiert werden will. Im Februar hatte Oerlikon die Abspaltung des Bereichs Polymer Processing Solutions bekanntgegeben.
Einen Verkauf des Bereichs erachtet der Experte als unwahrscheinlich. «Eventuell ist eine Zusammenführung mit Rieter oder einem anderen Rivalen möglich. Aber ich glaube da eher an einen Börsengang in der Schweiz.»
Bei bereits kotierten Gesellschaften rechnet Neumann von der ZKB nach Fusionen von Novavest/SenioResidenz, Starrag/Tornos und Burkhalter/Poenina in den letzten zwei Jahren mit weiteren Zusammenschlüssen, da Investoren zunehmend an Unternehmen mit einer höheren Handelsliquidität interessiert seien - ein Phänomen, das auch für IPO-Kandidaten zutrifft.
So prüfen die Immobiliengesellschaften Ina Invest und Cham Group bereits seit längerem eine Fusion. «Beide bringen schöne Entwicklungsportfolios mit, wo Wachstum nach wie vor möglich ist», sagt Neumann. Cham Group verfüge über einen hohen Eigenfinanzierungsgrad, was einen guten «Match» der beiden Unternehmen ergebe. «Das mögliche Handelsvolumen ist sehr hoch, was das Interesse und die Attraktivität für Investoren erhöht.»
Bioversys bereits auf der Zielgeraden
Schon länger wird auch über ein IPO der Swiss Marketplace Group (SMG) gemunkelt. Der Betreiber von Online-Marktplätzen wie AutoScout24 oder Homegate liess vergangenen März verlauten, dass sich die Aktionäre einig seien, SMG an die Börse zu bringen. Die TX Group, Ringier AG (Herausgeberin von Handelszeitung und cash.ch) und die Mobiliar halten je rund 30 Prozent am Unternehmen.
Auch bei der Westschweizer Arcotec brodelt die Gerüchteküche schon länger. Die US-Private-Equity-Gesellschaft Carlyle plant seit längerem den Ausstieg beim Luftfahrtzulieferer. Der Börsengang könnte in der zweiten Jahreshälfte 2025 über die Bühne gehen. Der angestrebte Unternehmenswert liegt bei stattlichen vier Milliarden Franken.
Bereits aufgegleist ist das IPO des Biotechunternehmens Bioversys. Letzte Woche begann der Bookbuilding-Prozess für die knapp 2,1 Millionen Aktien, die das Unternehmen auf den Markt bringen will. Der IPO-Preis wird auf 36,00 Franken beziffert. Basierend auf dem Angebotspreis wird die implizite Marktkapitalisierung von Bioversys auf 212,9 Millionen Franken geschätzt.
Am ersten Handelstag wird der Streubesitz den Angaben zufolge voraussichtlich rund 28 Prozent betragen. Bei Bioversys handelt es sich also um einen kleinen Börsengang. Als ersten Handelstag peilt das Biotechunternehmen den 7. Februar an. Anleger müssen sich bei jungen Biotech-Firmen immer der Risiken bewusst sein, welche ein solches Investment mit sich bringt.
«Ich denke, die Aktionäre werden begeistert sein»
Ein Unternehmen, das natürlich auch erwähnt werden muss, ist das US-Geschäft von Holcim. Der Unternehmensteil soll allerdings an der US-Börse kotiert werden. Das Listing ist für die erste Jahreshälfte 2025 vorgesehen. «Ich denke, die Aktionäre werden begeistert sein», frohlockt bereits jetzt der künftige Chef und VR-Präsident des noch nicht geborenen Börsenkindes, Jan Jenisch. Das Nordamerika-Geschäft soll bis 2030 mehr als 20 Milliarden Dollar Umsatz und über 5 Milliarden Dollar operativen Gewinn erzielen.
Nicht nur die Eigenmittelbeschaffung spielt für Unternehmen übrigens eine zentrale Rolle beim Börsengang. Drei Befragungen der Hochschule Luzern unter Finanzchefs in den letzten über 20 Jahren haben ergeben, dass der grösste Vorteil und das wichtigste Motiv eines IPO der erhöhte Bekanntheitsgrad ist. Der Börsengang gilt häufig als «Gütesiegel» und habe eine Verbesserung des Austausches mit zahlreichen Stakeholdern zur Folge, so die Aussagen der Finanzchefs.
Ein wichtiger Effekt beim IPO spielt auch die Personalrekrutierung, ein Punkt, der insbesondere in der letzten Umfrage an Bedeutung gewonnen hat. Dies dürfte mit dem zunehmenden Fachkräftemangel zu tun haben. Der grösste Nachteil einer Börsenkotierung ist in der Regel die Kosten.