Viele Anlegerinnen und Anleger haben die Börsengeschichte der letzten Tage gar nicht entdeckt. Dabei wäre sie deutlich abzulesen an den Aktien von Firmen wie Intellia Therapeutics (+81 Prozent seit einer Woche), Beam Therapeutics (+29 Prozent), Editas Medicine (+22 Prozent), Crispr Therapeutics (+15 Prozent) oder auch Regeneron (+2 Prozent).
Die Kurssprünge signalisieren, dass in dieser Ecke des Biotech-Business etwas passiert ist. Aber was? Offenbar gelang ein nennenswerter gentechnologischer Durchbruch in der so genannten Crispr-Technologie. Zwischen all den Kürzeln der Medizin – Covid-19, mRNA, RNA, etc. – ging Crispr in den letzten Monaten ziemlich vergessen, zumindest in der breiten Öffentlichkeit. Dabei gilt es als Hoffnung allererster Güte im Kampf gegen Erbkrankheiten und genetische Schwächen – bis hin zu Krebs.
Nun meldeten die Forschungsfirma Intellia Therapeutics und ihr Partnerkonzern Regeneron bahnbrechende neue Daten dazu. Offenbar war es in einer kleinen Studie mit sechs Patienten gelungen, bei einer seltenen Erbkrankheit namens Transthyretin-Amyloidose Verbesserungen zu erzielen. Bei dieser Erkrankung neigt der Körper dazu, abnorme Proteine zu bilden, welche wichtige Gewebe angreifen, zum Beispiel die Nerven.
Am Samstag veröffentlichte nun eine Forschergruppe ihre Studie dazu. Danach war es gelungen, den Ausstoss der zerstörerischen Proteine zu verringern. Vor allem – und das war bei der so genannten Phase-I-Studie der entscheidende Punkt – wurden keine nennenswerten Nebenwirkungen festgestellt. Erneut erhärtete sich also, dass man es wagen kann, mit einer so genannten "Gen-Schere" in die tiefste menschliche Struktur einzugreifen und dort Fehler auszumerzen.
Meilenstein für Patienten
"Das ist ein grösserer Meilenstein für Patienten", kommentierte Jennifer Doudna die Resultate auf NPR, dem National Public Radio der USA. Doudna lehrt Biochemie an der Universität in Berkeley und erhielt letztes Jahr für ihre Forschungen in diesem Feld den Nobelpreis für Chemie. «Auch wenn es noch frühe Daten sind, so zeigen sie doch, dass wir eine der grössten Herausforderungen bei der Anwendung von Crispr überwinden können: nämlich in der Lage zu sein, es systematisch abzugeben und am richtigen Ort einzusetzen.»
Zuvor schon hatte sich gezeigt, dass Crispr eine neue Chance bietet für Menschen, die an Sichelzellenkrankheit oder an der Kinderblutkrankheit Beta Thalässemie leiden. Bei der Methode wird die DNA gezielt verändert – man fügt einzelne DNA-Bausteine ein oder entfernt respektive modifiziert sie. Damit erschliesst sich ein breites Feld – bis hin zur landwirtschaftlichen Gentechnologie (mehr).
In der Menschen-Medizin laufen derzeit unter anderem Versuche in der Onkologie oder bei seltenen Krankheiten wie der Leberschen kongenitalen Amaurose, einer genetisch angelegten Netzhauterkrankung. Dass in den letzten zwei Tagen mehrere Milliarden Dollar in diverse Firmen flossen, geschah wegen dieser sehr weitreichenden Hoffnungen – fundamentale Hoffnungen, die weit über die Phase-I-Erfolge bei einer seltenen Erbkrankheit hinaus gehen.
(rap/hz)
Dieser Artikel erschien zuerst bei handelszeitung.ch mit dem Titel: "Crispr: Der nächste Gentech-Durchbruch rüttelt die Börsen auf."