Fortschritte auf dem Weg zum Fahren ohne Hände am Lenkrad sind ein beherrschendes Thema auf der Automesse in Shanghai in dieser Woche. Kunden in China legen grossen Wert auf diesen Komfort, um Zeit im dichten Stadtverkehr etwa sinnvoll nutzen zu können. Doch der Unfall mit dem Autopilot eines SU7 von Xiaomi, der drei Studentinnen Ende März das Leben kostete, löste eine Diskussion über die Sicherheit der Technik aus und rief die Behörde auf den Plan. Das vom Westen beneidete hohe «China-Tempo» könnte etwas abgebremst werden, erwarten Branchenkenner.
Bisher galt: «Die EU reguliert normalerweise zuerst und geht dann voran. In China ist es eher so: Man geht voran und reguliert dann», erklärte Mercedes-Chef Ola Källenius. Der Schutz der Bürger habe für die chinesische Behörde aber genauso Priorität wie für die europäische. Kurz vor dem Start der Automesse wies die Regierung in Peking die Unternehmen an, künftig nicht mit Begriffen wie «intelligentes» oder «smartes» Fahren um sich zu werfen, die Verbraucher zu Leichtsinn mit den noch begrenzt fähigen Assistenzsystemen verleiten könnten. Hersteller betonten bei Präsentationen das Thema Sicherheit. Für Mercedes-Benz nichts Neues, wie Källenius anmerkte.
Die Schwaben arbeiten mit dem Credo «Safety First» seit vier Jahrzehnten an der schrittweisen Weiterentwicklung von Assistenzfunktionen. Mercedes und Honda waren 2021 die ersten Autobauer, die eine Zulassung für automatisiertes Fahren nach Level 3 bekamen. Dabei kann sich der Fahrer mit anderem beschäftigen, muss aber jederzeit eingreifen können. Der Drive Pilot von Mercedes darf seit Kurzem auf der Autobahn bis maximal 95 Stundenkilometer das Steuer übernehmen. Der Xiaomi-Unfallwagen hatte Level 2, automatisches Beschleunigen und Bremsen auf der Autobahn, und prallte mit fast 100 km/h auf eine Absperrung nach sehr kurzer Vorwarnzeit für die Fahrerin. In den USA gab es mit Teslas Fahrmodus Autopilot und später Full Self Driving nach Daten der Aufsichtsbehörde NHTSA, die Reuters auswertete, bis Oktober letzten Jahres 40 Unfälle mit Todesopfern.
Das nächste grosse Ding
In China bereiten sich die Hersteller auf Level 3 vor und haben auch die Stufe 4 schon im Visier, das vollständig autonome Fahren in begrenzten Einsatzgebieten wie Robotaxis in der Stadt. Grünes Licht für Level 3 steht noch aus. Ein halbes Dutzend chinesischer Hersteller, darunter Huawei, Zeekr und der VW-Partner Xpeng stellten auf der Messe ihre Fortschritte auf dem Weg dorthin heraus. Der chinesische staatliche Autobauer GAC plant, im nächsten Jahr autonome Fahrzeuge der Stufe 4 in einigen Gebieten von Guangzhou und Peking zu testen.
Die Technik gilt als nächster grosser Game-Changer am grössten Automarkt der Welt, an dem der Umschwung zu E-Autos am schnellsten geht und, begleitet von hartem Preiskampf, die chinesischen Autobauer BYD und Geely an die Spitze des Marktes katapultierte. Tempo und niedrige Kosten waren dabei wichtige Wettbewerbsvorteile. Sie sind auch jetzt das Erfolgsrezept der Chinesen. Die Entwicklung gehe schneller, und die Softwarekompetenz in den Unternehmen selbst sei deutlich höher als bei ausländischen Konkurrenten, erklärte Kersten Heineke, Autoexperte und Berater von McKinsey. Die Autobauer entwickelten viel Software selbst, statt das Zulieferern anzuvertrauen. Das reduziere Schnittstellen-Reibungsverluste.
Chinesische Partner wichtig
Die deutschen Autobauer müssten hier mithalten, denn die Technik sei in China ein wichtiger Kaufgrund. «Es ist nicht nur eine Frage, ob ich es anbieten kann, sondern muss ich es anbieten, um im Wettbewerb bestehen zu können», ergänzte Heineke. Er sieht gute Chancen für Volkswagen, Mercedes-Benz oder BMW. Denn was sie nicht selbst könnten, organisierten sie sich mit chinesischen Partnerfirmen und hätten damit die gleichen Kostenstrukturen wie die lokale Konkurrenz. «Daher gibt es keine strukturellen Nachteile, weder in der Leistungsfähigkeit des Systems noch in den Kosten.»
Auch Felix Kuhnert, Auto-Chefanalyst von PwC, sieht die Deutschen, die bei Elektroautos stark in die Defensive geraten sind, auf der richtigen Spur. «Grundsätzlich brauchen sich die deutschen Hersteller beim Thema Autonomes Fahren nicht zu verstecken.» Mercedes-Technikchef Markus Schäfer sagte, die Kosten für die zunächst teure Technik sänken dramatisch. Preise für Chips und Rechenleistung gingen nach unten. «Ich denke, das L3-System kann erschwinglich gemacht werden.»
(Reuters)