Als Chinas Spitzendiplomat Wang Yi am Samstag die Bühne im Bayerischen Hof in München betrat, läutete er ganz offen eine neue Phase in der Auseinandersetzung zwischen seinem Land und dem Westen ein. Er forderte nicht nur die USA auf, ihre "Schmutzkampagne" gegen China zu unterlassen und bezeichnete den amerikanischen Abschuss eines chinesischen Ballons über den USA als Zeichen der Schwäche. D

er Top-Diplomat machte etwas, was für die Regierung in Peking bisher sehr untypisch war: Er kündigte selbstbewusst einen eigenen Vorschlag zur Beendigung des Ukraine-Krieges an, der im Umfeld des Jahrestages des russischen Angriffs auf die Ukraine vorgelegt werden soll. "Dabei geht es aber nur vordergründig darum, einen Krieg zu beenden - es geht um das Ringen mit dem Westen um Einfluss im sogenannten globalen Süden, im grossen Rest der Welt", sagte ein EU-Diplomat danach zu Reuters.

Die Geschichte, die Chinas und Russlands Diplomaten überall in der Welt mit Blick auf die Ukraine dabei erzählen, wirkt einfach: Während der Westen die Ukraine militärisch immer stärker unterstütze, bemühe man sich selbst um Frieden. Das trifft einen Nerv in weiten Teilen der Welt, die den Konflikt im entfernten Europa nicht verstehen und mit Blick auf die Preisexplosion bei Energie und Nahrungsmitteln im vergangenen Jahr einfach nur Frieden wollen. Wang Yi betonte deshalb in München, dass sich China mit den Entwicklungs- und Schwellenländern um die wirklichen Menschheitsprobleme kümmern wolle.

Aus westlicher Sicht wirkt dies auf den ersten Blick absurd. Kanzler Olaf Scholz und eine Legion anderer Gesprächspartner forderten China auf, Russlands Angriff endlich als das zu kritisieren, wovor Peking selbst immer gewarnt hatte: eine Verletzung der territorialen Integrität und Souveränität eines Staates. Tatsächlich machte Wang Yi zumindest Andeutungen. Er warnte vor dem Einsatz von Atombomben und der Instrumentalisierung von Atomkraftwerken in dem Krieg. Und er betonte, dass China kein Land angreife.

Weiter ging die Distanzierung von Moskau aber nicht. Chinesische Experten verweisen in Hintergrundgesprächen gerne darauf, dass eine Distanzierung vom Partner Russland auch gar nicht einfach sei, da man selbst von den Gas- und Öllieferungen abhängig sei - und anders als Deutschland als Ersatz etwa kein Flüssiggas aus den USA erhalten könne.

China punktet bei anderen Ländern auf dieser Welt

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine ist vielen westlichen Regierungen klar geworden, dass die Erzählung Pekings in vielen Teilen der Welt durchaus ankommt. Die wirtschaftliche und politische Konkurrenz findet nicht nur bilateral statt, sondern auf allen Kontinenten. "Afrika China zu überlassen, wäre ein riesiger Fehler", warnte deshalb der italienische Aussenminister Antonio Tajani am Sonntag.

Nur müssen Europäer und Amerikaner dazu radikal umdenken. Amrita Narlika, Präsidentin des German Institute for Global and Area Studies (GIGA), fordert, dass die Regierungen viel stärker darauf schauen müssten, was Länder im Süden brauchten statt nur Solidarität von ihnen einzufordern. Den Erfolg Pekings erklärt sie mit zwei Punkten. "Erstens ist China in der Lage, Infrastrukturinvestitionen und Unterstützung in Schlüsselsektoren anzubieten, was zumindest kurzfristig billig erscheint", sagt sie zu Reuters.

"Zweitens gelingt es China besser, die Herzen und Köpfe der Entwicklungsländer zu gewinnen." Während westliche Staats- und Regierungschefs dem globalen Süden Vorträge über sozialpolitische Fragen hielten, spreche China davon, dass es die Entwicklungsprobleme dieser Länder teile. "Und so sehen wir, dass Länder wie Indien in einer ganzen Reihe von Fragen, vom Handel bis zu den Menschenrechten, auf Chinas Seite stehen."

Das lässt die Alarmsirenen auch in Berlin schrillen. Kanzler Olaf Scholz will durch stärkere Kontakte mit Schwellen- und Industrieländern auf anderen Kontinenten erreichen, dass diese nicht abdriften. Wie schwer das selbst mit Demokratien ist, zeigt Brasiliens lauwarme Haltung im Ukraine-Krieg und Südafrikas Militärmanöver zusammen mit China und Russland.

Deshalb fanden diesmal eigentlich zwei Sicherheitskonferenzen statt. Die zentrale Botschaft der transatlantischen Sicherheits-Community auf der offiziellen Konferenz laute "Einheit, Einheit, Einheit gegenüber Russland", sagt eine der teilnehmenden Aussenministerinnen. Doch in vielen vertraulichen Runden in den Salons des Bayerischen Hofs wurde diskutiert, wie man eigentlich mit China umgehen solle. Dabei zeigte sich nicht nur eine transatlantische Kluft, die eine neue Studie der Aspen Strategy Group, des Mercis-Instituts und der MSC beschreibt, sondern auch eine Spaltung in Europa.

Die USA suchen einen konfrontativeren Stil mit Peking und wollen die Europäer im Kampf der Supermächte gerne voll an ihre Seite haben. Schwedens Ministerpräsident Ulf Kristersson und die Osteuropäer unterstützen das auch - mit Hinweis auf die Abhängigkeit vom amerikanischen Schutz gegen Russland. Länder wie Frankreich oder Deutschland versuchen dagegen den Spagat, sich zwar eng mit den USA in der China-Politik abzustimmen, aber dennoch nicht zum blossen Anhängsel Washingtons zu werden.

Bei der chinesischen Delegation in München sei jedenfalls der Schock sehr gross gewesen, wie negativ sich in Europa das Bild Chinas allein durch die Nähe Pekings zu Moskau durch den Ukraine-Krieg verändert habe, sagt ein Diplomat nach Gesprächen mit der chinesischen Seite. Das könne durchaus eine positive Wirkung haben, so die leise Hoffnung. Denn auch Wang Yi betonte in München, wie sehr den Chinesen gerade mit Blick auf die Spannungen mit den USA daran gelegen sei, zumindest mit dem riesigen Wirtschaftspartner EU halbwegs gute Beziehungen zu bewahren.

(Reuters)