cash.ch: Herr Romanzina, die Schweizer Börse lief im Januar bisher einigermassen stabil. Zuletzt gerieten die Kurse aber etwas unter Druck. Sind Sie beunruhigt?
Peter Romanzina: Beunruhigt nicht. Aber wir müssen schon sehen, dass die Börsen die letzten Jahre sehr gut gelaufen sind. Volatile Phasen gibt es immer und sollten einen nicht all zu nervös machen. Aber das hängt natürlich auch mit der Positionierung zusammen. Man sollte sich mit der eigenen Aktienauswahl wohl fühlen. Überrascht über diese Volatilität bin ich aber nicht. Wenn es etwa um Immunisierung der Bevölkerung und die Impfstofflogistik geht, waren wir schon immer der Ansicht: Das ist ein Marathon und kein Sprint.
Die Hoffnungen ruhen auf einer breiten wirtschaftlichen Erholung im Lauf von 2021. Soll man jetzt also auf zyklische Werte setzen?
Das ist kurz- vielleicht sogar mittelfristig durchaus denkbar. Allerdings greift die Frage zyklisch oder nicht-zyklisch in unseren Augen zu kurz. Wir schauen bei der Aktienauswahl auf vier Faktoren.
Die da wären?
Als erstes ist eine starke Bilanz wichtig. Wenn wir von einer starken Bilanz sprechen, dann tun wir dies in einer "holistischen" Weise. Ein Unternehmen, welches viel Cash generiert, darf in der jetzigen Phase durchaus auch mal Schulden haben. Zweitens sollten die Unternehmen wertschöpfend arbeiten und gute Erträge auf das investierte Kapital abwerfen. Gutes Beispiel sind die gestrigen Zahlen von SGS, wo die Erträge sehr gut waren. Drittens ist eine gewisse Marktführerschaft wichtig, am besten in einem spannenden Markt oder in einer Nische. So kann das Unternehmen weiterwachsen und Marktanteile gewinnen.
Was ist da ein Beispiel?
VAT hat eine sehr starke Marktführerschaft. Die haben in ihrem Kerngeschäft als Anbieter von Vakuumventilen etwa 58 Prozent Weltmarktanteil. Wir glauben, dass sich das Unternehmen weiter gut entwickeln wird. Gerade in einer Krise werden die Starken stärker und die Schwachen schwächer.
Ihr vierter Punkt?
Zuletzt schauen wir auf die Gewinner des "New Normal". Da fallen mir Wachstumstitel wie dem IT-Dienstleister Also oder auch Logitech ein. Auch Firmen im Healthcare-Bereich oder in der Telekommunikationsbranche sind hier spannend. Wichtig ist: Anleger sollten nicht einfach stur auf zyklische Werte oder Wachstumstitel schauen. Ich finde es übrigens auch schwierig, zu sagen, man sollte den Markt kaufen oder auf diese oder jene Branchen setzen. Die einzelnen Werte laufen so weit auseinander mit grossen Gewinnern und ebenso grossen Verlierern. Schauen Sie sich beispielsweise den Luxussektor in der Schweiz an.
Sie haben Logitech angesprochen. Ist die Aktie heissgelaufen?
Ja das ist sie. Trotzdem halten die Trends, von der Logitech profitiert, länger an. Logitech stösst jetzt ins Enterprise-Segment vor, will seine Produkte also auch direkt an Firmen verkaufen. Die Frage ist einfach, wie der Markt reagiert, wenn das Wachstums sich wieder etwas normalisiert.
Apropos Schweizer Technologie-Aktien: Was denken Sie von Temenos?
Temenos stellt sein Geschäftsmodell etwas um und befindet sich demnach in einer Übergangsphase. Es geht im Cloud-Bereich Richtung Software as a Service, übrigens ähnlich wie bei SAP. Das führt dazu, dass der Umsatz zunehmend monatlich oder quartalsweise in Schritten verbucht wird und nicht mehr komplett bei "Abschluss des Vertrags". Dadurch sinkt das Wachstum kurzfristig scheinbar. Langfristig ist das aber der richtige Weg, weil der Gesamtwert (Barwert) der Verträge tendenziell sogar höher ist. Daran müssen sich die Investoren, die sich bei Temenos an wahnsinnig hohe Wachstumsraten gewöhnt haben, erst neu einstellen.
Lonza hat diese Woche ordentliche Zahlen veröffentlicht. Die Aktie gerät seitdem aber unter Druck. Ist das ein Zeichen, dass die Bewertungen teilweise eine kritische Höhe erreicht haben?
Man sieht generell im Markt, dass die teilweise wirklich guten Resultate schon relativ stark eingepreist sind. Das muss erstmal etwas verdaut werden. Ab und zu kommt es dann völlig zurecht auch mal zu einer Pause oder gar einer Konsolidierung. Das ist aber nicht dramatisch.
Was ist ihr erster Eindruck der angelaufenen Zahlensaison?
Grundsätzlich ist mein erster Eindruck sehr gut. Die Frage stellt sich immer wieder, ist das alles nachhaltig? Nehmen wir beispielsweise die UBS. Die haben ein fantastisches Resultat präsentiert. Doch es stellt sich die Frage, wie nachhaltig sind die derzeitigen starken Gewinnsteigerungen?
Sie denken da an das anziehende Handelsgeschäft.
Einerseits ist es das Handelsgeschäft oder insgesamt das Investmentbanking. Doch auch in Bereichen wie dem Wealth Management sind die Volumen doppelt angestiegen. Durch die höheren Asset-Preise stiegen die verwalteten Vermögen und somit auch die Erträge in diesem Bereich. Zudem haben sich viele Investoren im Wealth Management wegen der hohen Volatilitäten und Marktveränderungen neu positioniert, was auch zu mehr Kommissionserträgen führt.
Was signalisiert die Bilanzsaison sonst noch?
Schauen Sie sich manche Industrieunternehmen an, die rapportiert haben. Das sieht mehrheitlich sehr gut aus. Das liegt teilweise daran, weil sie in der Krise sehr schnell und gut reagiert haben, insbesondere durch Kostensenkungen. So konnten die Margen verbessert werden, auch weil die Preise für Rohmaterial gesunken sind.
Das klingt doch alles gar nicht so schlecht.
Stimmt, doch es bleibt schwierig zu sagen, was in diesen mitunter sehr guten Resultaten nachhaltig ist. Da wird der Markt noch eine Antwort finden müssen.
Diese Woche hat auch Pharmariese Novartis seine Zahlen vorgelegt. Wann kommt die Aktie mal wieder in Schwung?
Bei den Pharmatiteln bevorzugen wir Roche, weil das Unternehmen im Pipeline-Zyklus etwas weiter vorne ist. Roche leidet in den letzten Jahren wegen zahlreicher Patentverfälle stark unter den Biosimilars, also den Nachahmerprodukten. Doch sie haben eine riesen Pipeline mit haufenweise neuen, innovativen Produkten. Sobald der negative Effekt der Biosimilars auslaufen wird, wird sich das Wachstum einstellen. Novartis ist diesbezüglich noch etwas weiter hinten. Hinzukommt, dass sich Novartis in einer absoluten Neupositionierung, die einfach dauert.
Inwiefern?
Seit Vasant Narasimhan CEO ist, konzentriert sich das Unternehmen zunehmend auf Innovative Medicines, was aus unserer Perspektive die richtige Strategie ist. Sie ist aber nicht ganz ohne Risiken. Roche hat viel mehr Produktkandidaten, die sich in den finalen Phasen befinden. Novartis greift hier auch auf Zukäufe zurück. Das kostet und ist nicht ohne Risiken, denn: Ob sich die Zukäufe auszahlen, weiss man erst im Nachhinein. Diese Transformationsphase bei Novartis dauert noch etwas an.