Bürgerliche Politiker sind angetan von der Reform der beruflichen Vorsorge (BVG), über die am 22. September abgestimmt wird. «Die BVG-Reform sichert unser bewährtes Drei-Säulen-Modell der Altersvorsorge für die Zukunft», sagt Gerhard Pfister, Präsident der Mitte-Partei. Und die freisinnige Nationalrätin Regine Sauter erklärt: «Die BVG-Reform schafft mehr Gerechtigkeit für Junge und kommende Generationen.» Aufgrund der höheren Lebenserwartung müssten die Altersrenten heute teilweise durch die Erwerbstätigen querfinanziert werden. Die BVG-Reform will diesen Umstand korrigieren, der in der zweiten Säule eigentlich unerwünscht ist. Denn hier spart grundsätzlich jede Person für sich selbst.
Dass es dennoch zu einer Umverteilung kommt, hat insbesondere zwei Gründe: Einerseits ist die Lebenserwartung seit der Einführung des BVG in den 1980er-Jahren um mehr als fünf Jahre gestiegen. Andererseits sind die Erträge auf den Altersguthaben gesunken. Für manche Pensionskassen ist das ein Problem. Sie zweigen deshalb Geld von Erwerbstätigen für die Rentenzahlungen ab. Abhilfe schaffen soll nun eine Senkung des Umwandlungssatzes von 6,8 auf 6 Prozent. Ein angespartes Alterskapital von 100'000 Franken in der 2. Säule ergäbe somit neu eine Rente von 6000 Franken pro Jahr, nicht mehr 6800 Franken.
Allerdings: Längst nicht alle Pensionskassen und Versicherten sind betroffen. Nur die Versicherten gemäss BVG-Minimum (Jahreseinkommen bis 88'200 Franken) sind es. Sie machen rund 15 Prozent aller Versicherten aus. Das Gros befindet sich bereits heute in Pensionskassen, die tiefere Umwandlungssätze - im Median 5,3 Prozent - kennen. Bei diesen Kassen fällt ein grosser Teil der Vorsorgegelder ins Überobligatorium (Jahreseinkommen über 88'200 Franken), weshalb sie die Umwandlungssätze in den letzten Jahren den Gegebenheiten anpassen konnten.
Wer nun aber von der Reduktion des Umwandlungssatzes auf 6 Prozent betroffen ist, hat Aussicht auf einen Ausgleich - Rentenkürzungen sollen möglichst verhindert werden. Zu den Ausgleichsmassnahmen zählen Rentenzuschläge für die Übergangsgeneration. Es handelt sich um 15 Jahrgänge. Tritt die Reform zum Beispiel im Jahr 2027 in Kraft, zählen die Jahrgänge von 1962 bis 1977 zur Übergangsgeneration. Sie sind, so die Auffassung von Bundesrat und Parlament, so nahe der Pensionierung, dass sie durch die Reform bewirkte Nachteile nicht mehr wettmachen können.
«Gravierende handwerkliche Mängel»
Die Rentenzuschläge sind nach Jahrgang und Altersguthaben abgestuft. Sie betragen maximal 2400 Franken pro Jahr, können aber auch gegen null gehen, wenn die Versicherten noch vergleichsweise jung sind und bereits ein grösseres Vorsorgeguthaben aufgebaut haben. Die Krux aber ist: Auch die Rentenzuschläge müssen finanziert werden. Expertenschätzungen rechnen mit einer Summe von insgesamt 11,3 Milliarden Franken. Das Bundesamt für Sozialversicherungen geht von 800 Millionen Franken pro Jahr aus.
Unter Pensionskassenexperten kommen die Ausgleichsmassnahmen für die Übergangsgeneration nicht gut an. Reto Leibundgut vom Pensionskassenberatungsunternehmen c-alm sieht «gravierende handwerkliche Mängel», wie er in seiner Einschätzung kurz nach der Schlussabstimmung des Bundesparlaments schrieb. Das Kompensationsregime führe dazu, «dass die real-existierende Umverteilung in der 2. Säule noch für Jahre im System verbleibt und die Komplexität der beruflichen Vorsorge weiter zunehmen wird». Die Umverteilung werde also ausgebaut, nicht reduziert.
Der Grund sei, dass viele versicherte Personen Zusatzleistungen erhalten, obwohl ihre Leistungen nicht von der BVG-Reform betroffen sind. Dies gelte insbesondere für Kassen, welche die Finanzierungsprobleme bereits angepackt haben - und nun offenbar Zusatzkosten schultern müssen.
Leibundgut ist mit seiner Auffassung nicht allein. Gerechnet hat beispielsweise auch Mia Mendez, welche die Pensionskasse des Beratungsunternehmens PWC leitet. Bei Kosten für die Rentenzuschläge von 11,3 Milliarden Franken bräuchten die jüngeren Generationen 28 Jahre, um die Reform zu bezahlen, schreibt sie in einem Gastbeitrag für die «Handelszeitung». Weiter sagt sie: «Über zwei Drittel aller Erwerbstätigen finanzieren einen Rentenzuschlag für eine Minderheit von 50- bis 65-Jährigen in der Übergangsgeneration, bei der nur ein Bruchteil überhaupt von einer Rentenreduktion betroffen ist.»
So betrachtet gleicht ein wesentliches Element der Reform einer Art Schildbürgerstreich. Bundesrat und Parlament wollen die Querfinanzierung von Renten auf Kosten von Erwerbstätigen verringern. Sie schaffen via die Rentenzuschläge aber eine neue Umverteilung. Offenbar hat der politische Prozess zu einem Kompromiss geführt, der im Parlament zwar mehrheitsfähig war, der in den Augen der Experten aber teilweise mangelhaft ist.
Bessere Vorsorge für Menschen mit tiefem Einkommen
Andere Reformbausteine klingen besser an als die Rentenzuschläge und ihre Finanzierung - etwa, dass sich die Vorsorge von Teilzeitbeschäftigten und Menschen mit tiefem Einkommen verbessern sollte. «Damit erfüllt die BVG-Reform einen wichtigen Anspruch», schreibt Leibundgut in seiner Einschätzung. Bewirkt wird diese Verbesserung durch eine tiefere Eintrittsschwelle und eine Neugestaltung des Koordinationsabzugs.
Heute wird ein fixer Betrag von 25'725 Franken - der Koordinationsabzug - vom Bruttolohn abgezogen. Die Differenz entspricht dem versicherten Lohn. Der Abzug wirkt sich besonders stark auf tiefe Einkommen aus. Wer 60'000 Franken verdient, kommt auf einen versicherten Lohn von 34'275. Wer 30'000 Franken verdient, hat einen versicherten Lohn von lediglich 4'275 Franken. Die Halbierung des Bruttolohns achtelt den versicherten Lohn also. Und das wirkt sich via die Beitragssätze auf die persönliche Vorsorge aus.
Der Modus soll sich nun mit der BVG-Reform ändern. Geplant ist, dass der Koordinationsabzug 20 Prozent des Bruttolohns ausmacht. Bei einem Einkommen von 30'000 Franken bleibt ein versicherter Lohn von 24'000 Franken - mehr als fünfmal so viel wie heute. Obschon sich damit die persönliche Vorsorgesituation verbessert, sinkt der Nettolohn in der Gegenwart. Man kann heute weniger ausgeben, hat dafür aber im Alter mehr zu Verfügung. Wie gross der Effekt ist, lässt sich nicht pauschal sagen.
Laut einer aktuellen Umfrage von LeeWas ist die bessere Vorsorge für Menschen mit niedrigem Einkommen das stärkste Argument für die Reform. Drei von fünf Befragten haben es genannt. Insgesamt stösst die Reform aber überwiegend auf Skepsis. 33 Prozent sind zurzeit dafür, 59 Prozent dagegen, 8 Prozent sind noch unentschlossen. Erwirkt hat die Abstimmung die politische Linke. Sie hat sich schon im Parlament gegen das Projekt ausgesprochen und dann das Referendum ergriffen.
4 Kommentare
Die Hauptherausforderung besteht darin, dass man die Wirklichkeit nicht sehen wollte und will.
In einem Umfeld sehr niedriger Zinsen und Geldentwertung ist eine Verzinsung von 6.8%, oder 6% kaum sicher zu erzielen.
Deshalb strebt man komplizierte Umverteilungslösung an und meint dies sei gerechter als die Wirklichkeit. Was spräche dagegen wenn die Pensionskassen ganz einfach die erzielten Zinsen anwenden.
Wenn sie, Jonny1 , wie sie schreiben politisch eher Rechts stehen, müsste ihnen jedoch auch klar sein, dass die Linke das Referendum ergriffen hat
weil sie noch mehr Umverteilung wollen. Es ist immer die gleiche Taktik der Linken, sie drohen mit dem Referendum , die Räte suchen dann einen Mittelweg mit vielen Eingeständnissen an die Linke. Wenn schlussendlich alles in den Räten verabschiedet ist, kommt trotzdem oder immer noch das Referendum. Wird die Abstimmung gewonnen
kommen prompt neue Forderungen mit dem Argument, dass das Volk
eben mehr Fairness wollte. Die Linken haben ja das Monopol für die Fairnessbeurteilung.
Bei durchschnittlich 5.3% (nicht inflationsbereinigt!) muss man sich bei einer überdurchschnittlichen PK schon Gedanken machen, on man nicht einfach das Kapital bezieht und gut diversifiziert anlegt. Dabei wählt man thesaurierende ETFs und lebt von gelegentlichen Verkauf von Anteilen, die dann als Kapitalgewinn nicht steuerpflichtig sind. Die gesparten Ausgaben für Steuern ist defacto ein indirektes Einkommen, weil der Cash Bedarf entsprechend reduziert wird.
Ich selbst bin von vom Ja-Lager ins Nein-Lager gewechselt.
Obwohl auch ich noch zu einer der Übergangsjahrgänge gehöre, sind die Kosten dafür viel zu hoch. Und die Jungen (Aktiv Versicherten) müssen sie bezahlen.
Da der Koordinationsabzug auf 20% des Br.-Lohnes gesenkt würde, wäre die Reform aber gut für Geringverdiener. Und auch gut wäre, dass die Eintrittsschwelle gesenkt würde.
Aber eben, wie im Text erklärt wird eine Umverteilung (6.8 auf 6.0) von jungen Aktiven zu gemildert, aber gleichzeitig wird eine neue Umverteilung auf Kosten der Jungen mit der sehr langen und teuren Übergangsregelung geschaffen.
Dazu kommt noch, dass es einen riesigen bürokratischen Aufwand geben wird, um die Anspruchsberechtigen zu ermitteln. Denn darunter fallen auch Personen, deren ehemalige PK es gar nicht mehr gibt, oder die wieder ins Ausland gezogen sind, usw. usf.
Deshalb stimmt ich auch gegen die Reform, obwohl ich mich politisch rechts der Mitte sehe. Aber die Gründe sind andere als die der Linken.
Sollte die Reform abgelehnt werden - woran ich glaube - sollte der Koordinationsabzug und die Eintrittsschwelle denoch zugunsten der Kleinverdiener gesenkt werden.
Und: Warum erst ab dem 25. Lebensjahr Sparbeiträge? Warum nicht ab dem 1. Tag nach der Lehre/Ausbildung?