Wer die Rally an den US-Aktienmärkten nur dem Hype um die Künstliche Intelligenz zuschreibt, greift zu kurz. Vielmehr ist es ein Zusammenspiel von mehreren Faktoren, welche dem S&P 500 in der abgelaufenen Woche praktisch jeden Tag ein kräftiges Plus bescherten. Innerhalb von drei Wochen hat der Index stattliche 7,3 Prozent zugelegt - exakt zu dem Zeitpunkt, wo eigentlich galt: "Sell in May and go away".

Ein starker Treiber sind die amerikanischen Optionsmärkte, wo am Donnerstag ein neuer Umsatzrekord bei den Call-Optionen - mit diesen setzen Anleger auf steigende Kurs - registriert wurde. Auch wenn verschiedene Investmentbanken von Bank of America, JP Morgan, Morgan Stanley bis zu UBS seit Wochen zur Vorsicht mahnen, so haben sich unterinvestierte Anleger seit der Bankenkrise Mitte März mit Call-Optionen eingedeckt, um eine allfällige Kursrally nicht zu verpassen. Deshalb ist es kaum verwunderlich, dass am heutigen Hexensabbat in den USA - dem Verfallstag für Optionen und Futures auf Aktien und Indizes - eine Rekordmenge verfällt. 

In den letzten zwei Wochen haben US-Aktienfonds ihre Bargeldbestände reduziert und diese sind auf den tiefsten Stand seit Anfang Jahr gesunken, wie die Bank of America (BofA) in ihrer jüngsten Umfrage zum Investitionsverhalten festhält. Das hat die Nachfrage nicht nur nach Techwerten angetrieben, sondern auch am breiteren Markt zu höheren Kursen geführt. Entsprechend halten die BofA-Strategen fest: "Pain trade is up" - sprich das Rally geht vorderhand weiter, auch wenn die Nachhaltigkeit des Rallys von Strategen und Marktteilnehmern weiter in Frage gestellt bleibt. 

Wieso die Tech-Aktien weiter zulegen, obwohl diese Titel mittlerweile zum Teil wieder sehr hohe Bewertungen aufweisen, erklärt Sarah Jessica Rabe, Co-Gründerin der Analysefirma Datatrek. Sie meint, dass diese Tech-Rally wie ein Staubsauger funktioniert. Je höher die Kurse der Techwerte steigen, desto mehr Geld wird aus den anderen Aktienmärkten abgezogen, damit die Gewichtungen in den Aktienportfolios von privaten und institutionellen Investoren ausgeglichen bleiben.

Sprich, kaufe eine Einheit Tech-Aktien, verkaufe dagegen einen Anteil eines anderen Marktes wie den SMI, DAX oder den amerikanischen Small-Cap-Index Russell 2000. Damit steigt die Tech-Aktie, der SMI sinkt und entsprechend muss das Ganze erneut wiederholt werden, weil sonst die Gewichtung wiederum nicht mehr stimmt. Eine sogenannte sich selbst erfüllende Prophezeiung tritt in diesem Fall ein und es geht nur noch nach oben mit den Tech-Aktien.

Der Options-Analysedienst Gammalab lag in den letzten Wochen meist goldrichtig bei der Prognose der Marktrichtung mit der Analyse der Liquidität an den US-Optionsmärkten. Nun scheint der Ausblick weniger rosig, und die Analysten halten fest, dass "sich der Markt an einem gefährlichen Wendepunkt befindet, weil vieles wenig Sinn macht und wir Rekordvolumina im S&P 500 in einem äusserst unsicheren Umfeld sehen, das selbst die klügsten Köpfe verblüfft."

Die Optionsstrategen von Goldman Sachs verweisen denn auch darauf hin, dass sich viele Hedge Funds bereits absicherten, indem sie sich mit Calls und Puts auf den Volatitlitätsindex VIX eindecken. Oder wie es der Options-Guru Charlie McElligot von Nomura formuliert: "Kaufe die Absicherung gegen heftige Kursausschläge dann, wenn du kannst und nicht dann, wenn du musst".

Nach dem Fed und der EZB ist vor der SNB

Das Thema Geldpolitik dürfte die Anlegerinnen und Anleger vor allem in der Schweiz in der kommenden Woche umtreiben. Die Zinsentscheidung der Schweizerischen Nationalbank (SNB) stellt dabei einen Höhepunkt in einem ruhigen Terminkalender dar.

Während vor Monatsfrist die Marktteilnehmer noch von einer Zinserhöhung um 0,25 Prozentpunkte durch die hiesigen Währungshüter ausgingen, hat der Schweizer Swap-Markt jüngst einen Sprung nach oben vollzogen, der auf eine Zinserhöhung um 0,50 Prozentpunkte hindeutet. Thomas Stucki, Anlagechef bei der St. Galler Kantonalbank, erklärte im cash-Interview, weshalb er einen Zinsschritt von 50 Basispunkten erwartet. 

Die Entscheide der Fed und der EZB haben an den Aktienmärkten hingegen keine hohen Wellen geschlagen. Entsprechend zeichnet sich auch für den Leitindex SMI im Soge der Wall Street aktuell ein Plus von knapp 1,5 Prozent auf Wochensicht ab.

Marktexperte Daniel Lüchinger von der Graubündner Kantonalbank erklärt gegenüber der Nachrichtenagentur AWP, dass er die insgesamt positive Entwicklung an den Finanzmärkten im laufenden Jahr dennoch als trügerisch erachte. "Gerade auf der Aktienseite ist die Marktbreite aktuell tief. An den wirtschaftlichen und geldpolitischen Herausforderungen hat sich nichts geändert."

Die Auswirkungen der restriktiven Geldpolitik auf die Realwirtschaft seien mehr und mehr spürbar. Auch andere Strategen zeigen sich eher zurückhaltend. Ein höherer Aktienmarkt bedeute nicht, dass er für die Anleger leichter zu navigieren sei, heisst es etwa bei der britischen Barclays. Vielmehr sei die Datenlage nach wie vor widersprüchlich. 

Der Unternehmenskalender bleibt für den Moment weiter ausgedünnt, da die Berichtssaison zu den Halbjahresresultaten erst Mitte Juli beginnt. Der Markt dürfte deshalb weiter von Firmennews - so wie in dieser Woche bei Logitech oder VAT - bewegt werden.

Thomas Daniel Marti
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