Am Mittwochabend steht der nächste Zinsentscheid der US-Notenbank Fed an. Zwar erwarten die Marktteilnehmer (noch) keine Zinssenkung, doch dürften die gleichzeitig veröffentlichten Prognosen für die US-Wirtschaft und die Einschätzung der Notenbank über den weiteren Zinspfad starken Einfluss auf die Aktienmärkte ausüben. Denn: Gehen die Zinsen runter, hilft dies grundsätzlich den Aktienmärkten.

Bereits Ende Juli ist eine Zinssenkung nötig, um den Markterwartungen gerecht zu werden. Die US-Notenbank darf daher am Mittwoch eine Juli-Zinssenkung nicht ausschliessen, sonst drohen Turbulenzen. "Ist die Fed in ihren Aussagen zu wenig entgegenkommend, werden die Anleger verschnupft reagieren und die Rezessionspropheten werden sich zeigen", schreibt Thomas Stucki, Anlagechef der St. Galler Kantonalbank (SGKB), in einem Kommentar. "Eine deutliche Korrektur der Kurse wäre die Folge."

Derzeit sind im Markt für den restlichen Jahresverlauf gleich drei Zinsschritte nach unten eingepreist. Tritt diese Erwartung tatsächlich ein, sind die US-Zinsen Ende Jahr noch bei 1,5 bis 1,75 Prozent - aktuell sind es 2,25 bis 2,5 Prozent. Die Chance, dass die Fed stattdessen ihre Füsse für den restlichen Jahresverlauf ganz still halten wird, stuft der Markt aktuell als vernichtend klein ein (1,4 Prozent). 

Die genauen Markterwartungen lassen sich mittels der Kontraktpreise für Fed Futures eruieren und sind für die restlichen US-Zinssitzungen in diesem Jahr in der folgenden Grafik dargestellt:

Markterwartungen Zinspolitik USA. Stand 17.06.2019. Grafik: Eigene Darstellung, Daten: CME Group

Der Markt erwartet aus verschiedenen Gründen eine abrupte Änderung der Geldpolitik: Die US-Inflation war jüngst mit 1,6 Prozent - Energie- und Nahrungsmittelkosten ausgeklammert - weit unter dem Fed-Ziel von 2,0 Prozent. Hinzu kam im Mai eine enttäuschende Zahl an Neueinstellungen in der US-Wirtschaft. Tiefere Zinsen würden helfen, Inflation und Beschäftigung anzukurbeln. Auch eine sich anbahnende Rezession - etwa durch ein weiteres Eskalieren im Handelsstreit - spricht für Zinssenkungen.

Es war aber in erster Linie Fed-Chef Jerome Powell selbst, der die Hoffnung der Anleger auf tiefere Zinsen anheizte: Am 4. Juni kündigte er an einer Notenbank-Konferenz in Chicago eine "angemessene Reaktion" auf den Handelsstreit an, um den Aufschwung zu stützen (cash berichtete). Marktteilnehmer interpretierten daraus, dass die Fed die Umkehr ihrer Geldpolitik einläutete.

Alles nur ein Missverständnis?

Doch drei Zinssenkungen in diesem Jahr scheint eine sehr hohe Erwartung an die Fed zu sein, Enttäuschungen sind daher denkbar. Was, wenn die Märkte die Anspielung von Powell Anfang Juni missinterpretierten? "Es ist gut möglich, dass Powell eine sanftere Politik andeuten wollte, als dies nun der Markt einpreist", schreibt Ipek Ozkardeskaya, Senior Market Analystin bei London Capital Group.

Sollte der Markt Powells Hinweis tatsächlich falsch interpretiert haben, so dürfte der US-Notenbankchef am Mittwochabend dieses Missverständnis aus dem Weg zu räumen versuchen. Schliesslich ist es nicht im Interesse der Notenbank, falsche Erwartungen zu wecken. Allerdings wären Verwerfungen am Aktienmarkt, bei US-Anleihen und am Devisenmarkt die logische Folge.

Die US-Notenbank befindet sich aber auf einem sehr schmalen Pfad. Auch eine Zinssenkung bereits am Mittwoch könnte die Börsen verunsichern. "Die Anleger würden sich beunruhigt fragen, ob die Fed mehr wisse als sie und ob die Situation schlechter sei als bekannt", schreibt Stucki von der SGKB. Für die Aktienmärkte sei es daher am besten, wenn Powell die Zinsen am Mittwoch noch nicht senke und gleichzeitig die Märkte in der "hoffnungsvollen Ungewissheit" belasse - also die drei erwarteten Zinssenkungen im weiteren Jahresverlauf nicht ausschliesst.

Börse wird von Notenbank gesteuert

Wie stark die Geldpolitik der US-Notenbank die Richtung der Aktienmärkte bestimmt, zeigt die Entwicklung des Dow-Jones-Index seit Dezember 2018 (Grafik am Artikelende). Als die Fed Mitte Dezember 2018 die Zinsen auf 2,25 bis 2,5 Prozent erhöhte, fielen die Aktienmärkte in die Tiefe (roter Pfeil links in Grafik)

Anfang 2019 wiederum deutete die Fed an, es mit den Zinsanstiegen etwas ruhiger angehen zu lassen. Das verhalf den Börsen zu einer beeindruckenden Rally (grüner Pfeil links). Dieser ging am 1. Mai wieder die Luft aus, als Fed-Chef Jerome Powell zwar die Zinsen unverändert liess, sich aber zuversichtlich zur weiteren Inflationsentwicklung äusserte (roter Pfeil rechts).

Anfang Juni euphorisierte Powell die Märkte erneut, indem er Zinssenkungen andeutete (grüner Pfeil rechts). Wie es ab Mitte Woche an den Börsen weitergehen wird, liegt wiederum in den Händen des Fed-Chefs.

Kursentwicklung des Dow-Jones-Index seit Dezember 2018

Kursentwicklung Dow Jones seit Dezember 2018. Pfeile: Kursbeeinflussende Aussagen der US-Notenbank.