Sorgen um den angeschlagenen chinesischen Immobilien-Entwickler Evergrande und die weitere Konjunkturentwicklung haben die Kurse an der Wall Street auf Talfahrt geschickt. Der Dow-Jones-Index der Standardwerte und der breiter gefasste S&P 500 büssten zum Wochenstart jeweils 2,1 Prozent auf 33'860 Punkte beziehungsweise 4338 Zähler ein. Der Index der Technologiebörse Nasdaq rutschte 2,6 Prozent auf 14'650 Punkte ab. Mit Spannung warteten Investoren auf die Sitzung der US-Notenbank Fed am Mittwoch, von der sie ein Signal für ein Zurückfahren der milliardenschweren Anleihekäufe erwarten.

Die Furcht vor einem nachlassenden Tempo bei der Erholung der Wirtschaft setzte vor allem Bankaktien unter Druck. Der entsprechende Branchenindex gab rund vier Prozent nach. Dazu trug auch die Schieflage des hoch verschuldeten China Evergrande bei, die die Nachfrage nach US-Staatsanleihen anheizte und im Gegenzug die Renditen drückte. Anteilsscheine der US-Banken Morgan Stanley, JPMorgan und Bank of America gaben rund vier Prozent nach.

Steuerdiskussionen drücken Lauflaune

Der Leitindex S&P 500 steuert damit auf ein Ende seiner seit sieben Monaten anhaltenden Gewinnstrecke zu. Von dem Anfang September erreichten Rekordhoch hat sich der Index mittlerweile rund vier Prozent entfernt. Der Grund für den Ausverkauf liege aber nicht in erster Linie bei Evergrande, auch wenn die Situation gravierend sei, betonte Jamie Cox, Geschäftsführer bei der Harris Financial Group. "Vielmehr haben die Pattsituation im US-Kongress in Bezug auf die Schuldenobergrenze, die Sorgen um politische Veränderungen oder Fehler in der Geldpolitik und eine ganze Reihe von vorgeschlagenen Steuererhöhungen die Stimmung der Anleger getrübt."

"Die Mauer der Sorgen wird einfach immer höher", sagte Sam Stovall, Chef-Investmentstratege der Analysegesellschaft CFRA Research in New York. "Die hartnäckig steigende Zahl der Covid-Delta-Fälle, die Bedrohung durch ein Tapering der Fed, die Möglichkeit eines langsamer als erwartet verlaufenden Wirtschaftswachstums - und die neueste Sorge ist, dass der Ausfall chinesischer Immobilienentwickler eine Art Kaskadeneffekt im Finanzbereich auslösen könnte."

Nervosität steigt

Auch an den europäischen Handelsplätzen hinterliessen die Evergrande-Turbulenzen Spuren. Der EuroStoxx50 ging 2,1 Prozent niedriger bei 4044 Zählern aus dem Handel. Der Dax büsste bei seinem ersten Auftritt mit 40 Werten 2,3 Prozent auf 15'132 Punkte ein. Die Indizes VDax und VStoxx, die die Nervosität der Anleger messen, stiegen in der Spitze um jeweils rund 24 Prozent. Der US-Volatilitätsindex stieg sogar um rund ein Drittel und erreichte damit den höchsten Stand seit mehr als vier Monaten.

Zu den grössten Kursverlierern gehörten an der Wall Street Technologie-Aktien wie Microsoft, die Google-Mutter Alphabet, Amazon, Apple, Facebook und Tesla, deren Anteilsscheine zwischen 2,3 und 3,9 Prozent nachgaben.

Dagegen konnten die US-Fluggesellschaften United, Delta und American zum Handelsstart leichte Kursgewinne verbuchen. Hintergrund ist die Aufhebung von Einreiseverboten für geimpfte Fluggäste aus vielen europäischen Ländern sowie anderen Staaten. Im Handelsverlauf rutschten aber auch die Kurse der US-Airlines ins Minus.

Angst vor Immobilienkrise

"Die Angst vor einer nächsten Immobilienkrise ist zurzeit gross", sagte Analyst Christian Henke vom Brokerhaus IG. Die zunehmende Furcht vor einem Zahlungsausfall von Chinas zweitgrösstem Immobilienentwickler liess die Anteilsscheine des Krisenkonzerns in Hongkong zeitweise um fast 19 Prozent einbrechen. Die Regierung in Peking machte bislang keine Anstalten, Evergrande aufzufangen."

Die Sorge ist nun, dass weitere Konzerne aus diesem Sektor in die Tiefe gerissen werden und sich daraus möglicherweise eine neue Immobilienkrise entwickelt." Damit würden Erinnerungen an die Pleite der US-Bank Lehman Brothers im Jahr 2008 wach. Evergrande sitzt auf einem 305 Milliarden US-Dollar schweren Schuldenberg und muss in den kommenden Tagen Zinszahlungen leisten.

Evergrande-Krise setzt Luxus- und Bergbauwerten zu

Die Schieflage von Evergrande spiegelte sich auch am Rohstoffmarkt wider: So steuerte der Kupferpreis mit einem Minus von knapp drei Prozent auf 9053 Dollar je Tonne auf den grössten Tagesverlust seit drei Monaten zu. "Bei einem Kollaps von Evergrande würden zahlreiche Immobilienprojekte gekippt", sagte Rohstoff-Experte Malcolm Freeman vom Brokerhaus Kingdom Futures. Dies würde die Industriemetall-Nachfrage signifikant dämpfen. Kupfer wird unter anderem für Stromkabel und Wasserrohre verwendet.

Vor diesem Hintergrund gingen auch die Aktien von Minen-Betreibern in die Knie. Der europäische Branchenindex fiel um rund fünf Prozent und steuerte auf den grössten Tagesverlust seit eineinhalb Jahren zu. Auch der Ölpreis beschleunigte seine Talfahrt. Die Sorte Brent aus der Nordsee verbilligte sich um mehr als zwei Prozent auf 73,70 Dollar je Barrel. Die Furcht vor einem Kollaps des Immobilienkonzerns treibe Anleger in den "sicheren Hafen" US-Dollar. Dessen Aufwertung macht Rohstoffe für Investoren ausserhalb der USA unattraktiver.

Unter die Räder kamen auch die Aktien von Luxusgüter-Anbietern. Die Aktien der europäischen Konzerne Swatch, Richemont, LVMH oder Christian Dior gaben zwischen drei und fünf Prozent nach. Die Krise bei Evergrande brocke chinesischen Investoren herbe Verluste ein, sagte Neil Wilson, Chef-Analyst des Online-Brokers Markets.com. "Das bedeutet weniger Geld für Pelzmäntel."

(Reuters/cash)