Viele Experten raten den Anlegerinnen und Anlegern in Wirtschaftsabschwüngen, Aktien zu bevorzugen, die durch Dividenden und Aktienrückkäufe verlässliche Renditen liefern. Denn Kursgewinne selbst sind in einem solchen konjunkturellen Umfeld seltener, und Dividenden und Aktienrückkäufe helfen, diese Durststrecke bis zum Aufkommen von besseren Bedingungen zu überbrücken.

"Die Zinserhöhungen beginnen ihre Wirkung zu zeigen. Die konjunkturellen Vorlaufindikatoren (PMI) für das verarbeitende Gewerbe befinden sich in den USA und Europa - aber auch global - im kontraktiven Bereich", sagt Raiffeisen-Anlagechef Matthias Geissbühler  gegenüber cash.ch. Die Rezessionsrisiken seien entsprechend hoch. Für die USA rechnet Geissbühler 2023 mit einem Wachstum von 0,5 Prozent, was für die zweite Jahreshälfte eine "technische" Rezession bedeutet. Für die Weltwirtschaft liegt die Wachstumsprognose bei 2,2 Prozent.

"Zumindest eine technische Rezession - zwei Quartale mit negativem BIP-Wachstum - scheint für die USA - und zeitverzögert auch für Europa - unvermeidlich. Ein entsprechendes Signal sendet seit einigen Monaten auch die inverse Zinskurve aus", argumentiert Geissbühler. Ob es sich letztendlich um eine milde Rezession oder einen stärkeren Rückgang handle, werde sich erst noch zeigen. Dies hänge von zusätzlichen exogenen Faktoren ab, aber insbesondere auch davon, wie stark die Arbeitslosenraten steigen und damit der Konsum tangiert werde.

Aktienrückkäufe bei konjunkturellen Gegenwind nicht gesichert

Doch bei konjunkturellen Gegenwinden auf Titel wegen Aktienrückkäufen zu setzen, ist auch ein Risiko: Denn ein Rückkaufprogramm bietet dem Unternehmen mehr Flexibilität als  Dividendenzahlungen, da diese jederzeit gestoppt werden können. Vor einer Dividendenkürzung schrecken hingegen viele Unternehmen zurück. David Kostin, Chefstratege für US-Aktien bei Goldman Sachs, ist ebenfalls der Meinung, dass sich Anlegerinnen und Anleger derzeit  nicht auf Rückkäufe verlassen sollten. Dies berichtet die Finanznachrichtenplattform Markets Insider.

"Die Aussichten für Unternehmensrückkäufe sind weniger günstig und eine Verlangsamung ist bereits im Gange. Die Rückkäufe gingen im vierten Quartal im Jahresvergleich um 21 Prozent zurück", schrieb Kostin in einer aktuellen Mitteilung an seine Kunden. "Neben dem schwachen Cashflow-Wachstum sind auch die sinkenden Cash-Bestände, die hohen Zinssätze und die relativ geringe Differenz zwischen den Eigenkapital- und den Fremdkapitalkosten der Unternehmen ein schlechtes Vorzeichen für das Wachstum der Rückkäufe".

Steigende Dividenden erwartet

Der Stratege von Goldman Sachs geht davon aus, dass die Rückkäufe der S&P 500-Unternehmen in diesem Jahr um 10 Prozent sinken werden. Im Gegensatz dazu schrieb er, dass die Dividenden der S&P 500-Unternehmen im ersten Quartal 2023 bereits stärker aussahen als ein Jahr zuvor. Er geht sogar davon aus, dass die Dividendenausschüttungen der S&P 500-Unternehmen in diesem Jahr um 5 Prozent steigen werden und von da an weiter zunehmen könnten.

"Wir gehen davon aus, dass der S&P 500 im Jahr 2023 gesamthaft eine Dividende pro Aktie von 70 Dollar und im Jahr 2024 von 73 Dollar erreichen wird. Die jüngsten Massnahmen der Unternehmen deuten ebenfalls auf ein gesundes Umfeld für Dividendenwachstum hin", schrieb er. "Der Unterschied zwischen den Aussichten für das Dividenden- und das Rückkaufwachstum deutet darauf hin, dass Unternehmen, die sich auf die Dividende konzentrieren, weiterhin besser abschneiden werden als Rückkaufaktien.”

Kostin fügte gleichzeitig hinzu, dass Unternehmen mit hohen Dividenden tendenziell besser abschneiden als Unternehmen mit hohen Aktienrückkäufen. Dies, wenn das Dividendenwachstum insgesamt besser ist als das Wachstum der Rückkäufe, was nach Kostins Einschätzung in Zukunft der Fall sein wird. Auch die derzeitige Wirtschaftslage begünstigt die hohen Dividendenzahler gegenüber anderen liquiditätsstarken Unternehmen.

Eine Vielzahl von Finanz-Titeln

Vor diesem Hintergrund haben Kostin und sein Team den Korb der Unternehmen mit den höchsten Dividendenrenditen und -wachstum aktualisiert und 21 neue Aktien in die Liste aufgenommen. Diese ausgewählten Unternehmen hätten nicht nur eine bessere Zukunft als solche, die sich auf Aktienrückkäufe konzentrieren, sondern dass diese Dividendenaktien würden derzeit mit einem erheblichen Abschlag gegenüber den führenden “Aktienrückkäufern” gehandelt.

Die 21 aufgenommenen Unternehmen sind anhand der Dividendenrendite in der unten stehenden Tabelle absteigend geordnet. Die höchsten Ausschüttungen bietet mit 8,4 Prozent Lincoln National, das in der Versicherungs- und Investmentbranche tätig ist. Der Aktienkurs hat im letzten Jahr einen Rückschlag erlitten. Das liegt an der Beteiligung an der Pleite gegangenen SVB Financial, der Holdinggesellschaft der kollabierten Silicon Valley Bank. Zudem verbuchte das Unternehmen im dritten Quartal 2022 einen Verlust von 2,6 Milliarden Dollar, was das Jahresergebnis in die roten Zahlen beförderte.

Zusätzlich zu Lincoln National sind Finanz-Titel mit Truist Financial (6,1 Prozent), Fifth Third Bancorp (4,8 Prozent), PNC Financial Services (4,8 Prozent), Invesco (4,3 Prozent) und Regions Financial (4,2 Prozent) überdurchschnittlichs stark vertreten. Die Titel sind mit der Bankenkrise stark zurückgekommen, was sich auch in den tiefen Kurs-Gewinn-Verhältnisses widerspiegelt.

Titel Dividendenrendite 2022

Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV)

  Titel Dividendenrendite 2022

Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV)

Lincoln National 8,4 Prozent -   Seagate Technology 4,5 Prozent 22
Diamondback Energy 8,3 Prozent 6   NRG Energy 4,4 Prozent 7
Altria Group 8,1 Prozent 15   Invesco 4,3 Prozent 12
Verizon Communications 6,7 Prozent 8   Regions Financial 4,2 Prozent 8
Truist Financial 6,1 Prozent 8   Pfizer 4,1 Prozent 7
IBM 5,2 Prozent 72   Evergy 3,9 Prozent 19
Viatris 4,9 Prozent 6   WestRock 3,6 Prozent 10
Ford 4,9 Prozent -   Gilead Sciences 3,6 Prozent 23
Vici Properties 4,8 Prozent 26   HP 3,4 Prozent 12
PNC Financial Services 4,8 Prozent 9   Medtronic 3,3 Prozent 27
Fifth Third Bancorp 4,8 Prozent 8        

Quelle: Bloomberg.

Technologie, Pharma und ein Autobauer

IBM, das als global tätiges Technologieunternehmen Unternehmenssoftware, Infrastruktur und Dienstleistungen anbietet, gilt als Dividendenaristokrat und hat damit seit mindestens 25 Jahren eine Dividende gezahlt und die Ausschüttung jedes Jahr erhöht. Das IT-Urgestein ist mit einer Dividendenrendite von 5,2 Prozent auf der Liste vertreten und hat im ersten Quartal den Gewinn um mehr als ein Viertel gegenüber dem Vorjahr steigern können, wie IBM am Mittwochabend mitteilte. Mit HP und Seagate Technology setzt Goldman Sachs auf zwei weitere Titel aus dem Technologie-Sektor.

Während mit Gilead (3,6 Prozent) und Pfizer (4,1 Prozent) wenig überraschend zwei Pharmakonzerne - Medikamente sind auch in Krisenzeiten für Menschen unverzichtbar - auf der Liste von Goldman Sachs vertreten sind, ist die Präsenz des US-Autobauers Ford (4,9 Prozent) auf den ersten Blick überraschender: Nach einem von Lieferkettenproblemen und Materialmangel geprägten schwachen Vorjahr kommt der US-Automarkt aber wieder in Gang. Konkret legten die Ford-Verkäufe auf dem US-Markt im ersten Quartal um gut zehn Prozent zu.

Verizon wiederum ist der grösste Mobilfunkanbieter in den USA und bietet auch Festnetz- und Breitbanddienste an. Der Telekommunikationskonzern war in seit 2020 von der Kursperformance her eine enttäuschende Investition, zahlt jedoch mittlerweile eine Dividende von 6,7 Prozent und ist mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 8 auch relativ tief bewertet.

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