Dem Dax-Konzern fehlen 1,9 Milliarden Euro. Die Suche nach dem Geld verliert sich bislang auf den Philippinen. Wirecard selbst sieht sich als mögliches Opfer eines gigantischen Betrugs. Die Aktien des von einem Bilanzskandal erschütterten Zahlungsdienstleisters stürzten am Montag um weitere 44 Prozent ab und waren mit 12,99 Euro zeitweise so billig wie zuletzt vor acht Jahren. Was macht Wirecard eigentlich und wird das Unternehmen in seiner heutigen Form überhaupt noch existieren können?

Die Fakten zu Wirecard

Wirecard wurde während der Hochphase der New-Economy-Zeit 1999 gegründet und war anfangs auf die Abwicklung von Zahlungen von Porno- und Glückspiel-Internetseiten fokussiert. 2002 übernahm der nun zurückgetretene Firmenchef Markus Braun den Vorstandsvorsitz. Er baute das Geschäftsmodell um, besorgte eine Vollbanklizenz für die Wirecard Bank und brachte das Unternehmen schließlich im September 2018 in den Dax. Weltweit arbeiten an 26 Standorten rund 5800 Mitarbeiter für Wirecard. Zu den Kunden zählen unter anderem die niederländische Airline KLM, das O2-Mutterunternehmen Telefonica, Aldi, Ikea, WMF und Fedex .

Wie funktioniert das Geschäftsmodell?

Grob gesagt fungiert Wirecard als Bindeglied zwischen Händler und Kunde. Der Konzern mit Hauptsitz in Aschheim bei München steuert das bargeldlose Bezahlen via Smartphone oder Kreditkarte an Ladenkassen und Online-Shops und darf durch eine Kooperation mit Anbietern wie Visa und Mastercard Kreditkarten selbst herausgeben. Zudem geht Wirecard für Händler ins Risiko, prüft bei Bestellvorgängen, ob der jeweilige Kunde vertrauenswürdig ist, nimmt den Kaufpreis entgegen und leitet ihn abzüglich einer Gebühr an den Händler weiter.

In Europa betreibt Wirecard für diese Geschäfte eine eigene Bank. In Ländern, in denen Wirecard keine eigenen Lizenzen hat, ist der Konzern auf Drittanbieter angewiesen. Um Geschäfte zwischen zwei Vertragspartnern abzusichern, deponiert Wirecard auf Treuhandkonten Geld. Einen Treuhändler in Asien hatte Wirecard 2019 gewechselt. Wirtschaftsprüfer stellten fest, dass für 1,9 Milliarden Euro, die auf solchen Treuhandkonten sein sollten, keine oder gefälschte Bescheinigungen existierten.

Was bleibt von Wirecard übrig?

Dem Unternehmen einen Wert beizumessen, kommt nach Meinung von Branchenexperten einem Blick in die Glaskugel gleich. Für Wettbewerber gebe es keinen zwingenden Grund, lebensfähige Teile der Wirecard-Geschäfte aufzugreifen, da es einfacher sei, die Kunden abzuwerben. "Wir sind nicht in der Lage, das wahre Profil des Unternehmens mit Überzeugung zu quantifizieren", sagte Analyst Robert Lamb von der US-Bank Citi, der sein Kursziel für die Wirecard-Aktie ausgesetzt hat. Die Ratingagentur Moody's zog ihr Rating für den Konzern komplett zurück mit der Begründung, es gebe keine ausreichenden, überprüfbaren Informationen mehr.

An der Börse ist das Vertrauen hinüber. Die Aktien sackten innerhalb von drei Tagen um rund 85 Prozent auf 14 Euro ab. Beim Aufstieg in den Dax hatte eine Aktie noch fast 200 Euro gekostet, die Marktkapitalisierung war damals höher als die der Deutschen Bank. Experten fürchten, dass Wirecard nicht nur die Anleger sondern auch Kunden davon laufen. "Die Kunden, die wenigen, die es wirklich gibt, werden sich nach alternativen Zahlungsanbietern umsehen", sagte Analyst Neil Campling vom Broker Mirabaud zur Nachrichtenagentur Reuters. "Meiner Ansicht nach ist das nicht mehr zu retten."

Wird Wirecard übernommen?

Wirecard hat selbst angekündigt, Geschäftsteile und Produkte auf den Prüfstand zu stellen. Auch die kreditgebenden Banken dürften ein Wörtchen mitzureden haben bei einem Umbau. Es liege im Interesse der Gläubigerbanken, Wirecard nicht in den Bankrott zu treiben, da dies den in Kundenbeziehungen und Zahlungsverträgen verbliebenen Restwert zerstören würde, sagte Investmentanalyst Richard Sbaschnig vom Researchhaus CFRA.

Ein großer Konkurrent von Wirecard in Europa ist die niederländische Adyen. "Wir sehen Adyen als sehr gut positioniert, um bestehende Wirecard-Kunden zu gewinnen, die Wirecard verlassen könnten", sagte Julian Serafini von der Bank Jefferies. Adyen habe bislang aber immer erklärt, vorzugsweise organisch wachsen zu wolen. Für die französische Worldline sei nur das Wirecard-Geschäft in Europa interessant, sie hätte weniger Bedarf an Teilen in Asien, vermuten Analysten. Für den in Italien ansässigen Rivalen Nexi komme Wirecard ebenfalls nicht infrage, da Nexi keine Ambitionen habe, im Ausland zu expandieren. 

(Reuters)