Die Wahllokale sind bis 18.00 Uhr (MESZ) geöffnet, in grossen Städten kann bis 20.00 Uhr gewählt werden. Meinungsumfragen deuten darauf hin, dass die rechtspopulistische Partei Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen die Wahl gewinnen könnte, jedoch ohne absolute Mehrheit. Die neue Zusammensetzung der 577 Sitze umfassenden Nationalversammlung wird erst nach der zweiten Wahlrunde am kommenden Sonntag feststehen. Präsident Emmanuel Macron hatte nach den Verlusten seines liberalen Lagers und dem Sieg des RN bei der Europawahl den Urnengang kurzfristig anberaumt. Er wird Präsident bleiben.

Dem europaskeptischen Rassemblement National (RN) werden gute Chancen eingeräumt, stärkste Kraft im Abgeordnetenhaus zu werden. Die gebündelten Kräfte der Linken treten als Neue Volksfront (Nouveau Front populaire, NFP) an und könnten dahinter folgen. Auf dem dritten Rang dürfte das liberale Lager von Macron landen, dem weniger Gestaltungsspielraum droht. Bei einem RN-Sieg würde er zwar noch drei weitere Jahre Präsident bleiben und könnte der Verteidigungs- und Aussenpolitik seinen Stempel aufdrücken. Zugleich würde er die Kontrolle über die innenpolitische Agenda weitgehend verlieren - also etwa Wirtschaftspolitik, Sicherheit, Einwanderung und Finanzen.

Rechtspopulisten liegen in Umfragen klar vorn

Wahlforscher sagen dem RN-Lager für die erste Wahlrunde 33 bis 36 Prozent voraus. Die Neue Volksfront käme demnach auf 28 bis 31 Prozent. Macrons Allianz Ensemble mit seiner Partei Renaissance wird auf dem dritten Platz gesehen mit 20 bis 23 Prozent. Die politische Atmosphäre ist aufgeheizt. Macron sieht durch die Programme der Parteien am rechten und linken Rand sogar die Gefahr eines «Bürgerkriegs» heraufziehen - eine drastische Wortwahl, zumal Paris in wenigen Wochen die Olympischen Spiele ausrichtet. Die Neuwahl und der drohende Rechtsruck sorgte auch schon für Verunsicherung an den Finanzmärkten. Die Risikoprämie für französische Staatsanleihen stieg am Freitag auf den höchsten Stand seit der Euroschuldenkrise 2012.

Der RN will die Mehrwertsteuer auf Energie von 20 Prozent auf 5,5 Prozent senken. Laut der Ratingagentur S&P könnte dies Frankreichs Bonität weiter belasten. Die Neuwahl erhöhe die Risiken für die Haushaltskonsolidierung. Die Bonitätsprüfer hatten das Land bereits herabgestuft. In der Euro-Zone könnten sich die Konflikte in der Schuldenpolitik verschärfen, warnte kürzlich Ifo-Chef Clemens Fuest. Die sehr hohe Verschuldung in Frankreich und auch in Italien berge Konfliktpotenzial. Gegen beide EU-Kernstaaten und weitere Länder strebt die EU-Kommission ein Defizitverfahren wegen übergrosser Haushaltslöcher an.

Die Abgeordneten werden nach einem Mehrheitswahlrecht in zwei Wahlgängen in den 577 Wahlkreisen bestimmt. Die absolute Mehrheit liegt also bei 289 Sitzen. In der ersten Runde können sich Kandidaten im Wahlkreis ein Mandat sichern, wenn sie mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen erreichen - vorausgesetzt die Stimmenzahl beträgt mindestens 25 Prozent der Zahl der eingeschriebenen Wähler. Im zweiten Wahlgang am 7. Juli reicht die einfache Mehrheit.

Le Pen will RN-Image aufpolieren

Le Pen (55) ist bemüht, das Image ihrer nationalistischen Partei aufzupolieren und sie als politische Bewegung darzustellen, die Kaufkraft stärken und Jobs sichern will. Das Gesicht des RN prägt mittlerweile auch Parteichef Jordan Bardella (28). Er will Regierungschef werden - allerdings nur mit einer absoluten Mehrheit im Parlament im Rücken. Er umgarnt Arbeitgeber und stellt niedrigere Unternehmenssteuern in Aussicht.

Ministerpräsident Gabriel Attal von Macrons Renaissance warnte eindringlich vor einem Sieg der Rechten und auch des Linksbündnisses NFP. Die Rechtsextremen würden den Platz Frankreichs in der EU und die Unterstützung für die Ukraine gefährden und das Risiko einer «Unterwerfung unter Russland» mit sich bringen. Bardella ging jüngst auf Distanz zu Moskau. Er sehe Russland als «eine mehrdimensionale Bedrohung sowohl für Frankreich als auch für Europa». Er sei dafür, die Ukraine weiter mit Logistik und Verteidigungsgütern zu unterstützen. Doch ziehe er eine rote Linie bei allem, was russische Städte direkt treffen könnte.

Attal stellte im kurzen Wahlkampf zugleich die Linke als zerstritten dar und sagte diplomatische «Kakophonie» voraus, sollte sie gewinnen. Die NFP besteht aus der Partei «Unbeugsames Frankreich», den Sozialisten, den Grünen und den Kommunisten. Sie will die Rentenreform, ein Leuchtturmprojekt Macrons, kippen. Auch der RN hat ähnliche Pläne. Er will das gesetzliche Renteneintrittsalter wieder auf 62 Jahre herabsetzen, was den Staat laut dem RN-Finanzpolitiker Jean-Philippe Tanguy neun Milliarden Euro kosten würde. Dies werde aber durch andere Massnahmen ausgeglichen.

(Reuters)