cash.ch: Schweizer Medtech-Unternehmen boomten während Corona und haben seither einen veritablen Einbruch erlebt. Weshalb?
Eugen Perger: Das ist ein entscheidender Punkt. Die Unternehmen haben während Corona und beim Ausbruch des Ukrainekrieges ihre Lager aus Angst vor Lieferschwierigkeiten und Lieferketten-Unterbrechungen gefüllt. Das hat das Bild des tatsächlichen Bedarfs verzerrt.
Betrachtet man die Ergebnisse 2024, scheint sich das zu normalisieren und die Unternehmen finden auf einen Wachstumspfad zurück.
Im Grossen und Ganzen schon. Aber es gibt gewisse Enttäuschungen wie im Dentalbereich, wo das Wachstum nicht so hoch ist wie erhofft. Beispielsweise bei Straumann erhoffte man sich in letzter Zeit noch höhere Wachstumsraten. Auch bei Medmix waren die Erwartungen an das langfristige organische Wachstum des Dentalbereichs, der margenmässig der wichtigste ist, zur Zeit des Spin-Offs von Sulzer höher. Es gab Enttäuschungen, und das hat die Ansprüche der Investierenden an die langfristigen Wachstumsraten gedämpft.
Die Aktien von Medmix, Coltene oder Straumann haben stark korrigiert, das Wachstum wurde «ausgepreist», die Schätzungen heruntergenommen: Sind wir nun auf einer attraktiven Basis oder ist es noch zu früh zum Einstieg?
Das ist definitiv attraktiv. Medmix beispielsweise ist aus verschiedenen Gründen sehr tief bewertet. Das beginnt bei der Beteiligung von Viktor Vekselberg, aber auch weil es eben ein Mix ist und nicht ein reines Medtech-Unternehmen. Unser Kursziel veranschlagen wir mit 20 Franken deutlich über dem aktuellen Kurs, und auch bei Straumann liegt unser Upside-Potenzial bei knapp 20 Prozent. Bei Coltene, das von der Börsenkapitalisierung noch kleiner ist, haben wir ein Hold-Rating.
Die im Dentalbereich tätigen Unternehmen sind global ausgerichtet: Haben sie die Kraft dafür, sich am Markt durchzusetzen?
Grundsätzlich ja, da die Unternehmen sehr stark auf ihre Segmente fokussiert sind. Das macht es unserer Meinung nach zu erfolgsversprechenden Business-Modellen. Die Unternehmen verfügen zudem über globale Produktionskapazitäten und weltweite Verkaufsabteilungen vor Ort. Es sind ja Zahnarztbesucher, Klinikbesucher, welche die unterschiedlichen Produktlinien von verschiedenen Unternehmen anpreisen.
Die Orthopädie-Gruppe mit Medacta und Medartis standen ebenfalls unter Druck. Dauert das noch, bis sie wieder in die Wachstumsspur finden oder sich neu aufgestellt haben?
Nicht unbedingt. Eigentlich sollte es jetzt so weit sein, dass die Auslastung der Anlagen normal ist und dem zu erwartenden organischen Wachstum entspricht.
Betrachtet man die restlichen Titel aus dem Sektor, hat insbesondere Tecan dieses Jahr gelitten...
Das ist genau ein solcher Fall, wo die Erwartungen durch den Lageraufbau aufgrund von Corona und den steigenden Energiepreisen durch den Kriegsausbruch zu hoch waren. Jetzt wo sich die Lage normalisiert, ist die Nachfrage eingebrochen, da alle ihre übermässigen Lager zurückgefahren haben.
Für ein Buy-Rating bei Tecan reicht es aber nicht?
Bei Tecan haben wir nach wie vor ein Halten-Rating mit einem Kursziel von 214 Franken. Das ergibt zwar ein Aufwärtspotenzial, aber nicht von 20 Prozent, was für uns die Grenze zu einer Kaufempfehlung darstellt.
Muss man als Anleger also auf ein bestimmtes Upside-Potenzial fokussieren, da bei diesen Wachstumstiteln das Abwärtsrisiko relativ hoch ist?
Wir sprechen Kaufratings nur aus, wenn wir für die nächsten zwölf Monate ein Aufwärtspotenzial von 20 Prozent sehen. Diese Taktik ist allerdings nicht branchenspezifisch, sondern allgemein. Aber bei einem kleinen volatilen Medtech-Titel sollten mindestens die 20 Prozent vorhanden sein, um das Risiko zu entschädigen.
Empfehlen Sie Anlegern nur in einen Titel zu investieren, in mehrere oder in Kombination mit Pharma-Werten?
Es sind sicher volatile und riskante Medtech-Titel, daher sollte man diversifizieren. Egal ob als privater Anleger, Fondsmanager oder Pensionskasse. Es haben schlussendlich beide Branchen ihre Berechtigung, ob Medtech oder forschende Pharma-Unternehmen, wobei letzteres weniger risikoreich und die Ergebnisse besser abschätzbar sind. Dennoch machen beide Sinn und sind sehr zukunftsträchtig.
Das Zinsniveau ist eine entscheidende Grösse bei Wachstumsunternehmen. Welchen Einfluss haben die höher tendierenden Zinsen auf die Bewertungen der Titel?
Bisher hat es keinen grossen Einfluss. Generell herrscht sicher eine Enttäuschung, was Trumps Politik anbelangt, da man von ihm eine börsenfreundliche Politik erwartet hat. Aber mit dem Handelskrieg und den Unsicherheiten ist die Inflation in den USA alles andere als besiegt und das Zinsniveau wird nicht zurückgehen. Die Unternehmen sind zwar weltweit tätig, dennoch liegt der Fokus mehrheitlich auf Europa und erst dann die USA und Asien. Das dämpft den Effekt.
Gibt es Unternehmen, die von Trump-Zöllen besonders betroffen wären?
Generell ist es eine geringe Betroffenheit in der Branche. Man rechnet teilweise damit, dass die Tarife nicht zu stark zum Tragen kommen, da die Konkurrenzsituation nicht so ausgeprägt ist wie bei Autos oder Rohstoffen. Produktionsländer sind eher asiatische Länder, aber nicht China, eher Malaysia, Taiwan und solche Länder, die nicht direkt im Fokus der USA stehen.
Apropos Asien: China ist ein zunehmend wichtiger Absatzmarkt, aber auch ein Konkurrent für die Schweizer Medtech-Unternehmen?
Die Unternehmen müssen sicherlich am Ball bleiben, um den Anschluss nicht zu verlieren. Durch die überalternde Bevölkerung sind die üblichen Zivilisationskrankheiten wie die Überlastung der Gelenke oder Herzkreislaufprobleme auch in China vorhanden. Derzeit kenne ich keinen chinesischen Konkurrenten, aber die asiatische Konkurrenz wird kommen. Nicht zwingend nur aus China, aber in den Produktionsstandorten wie Singapur, Malaysia oder Taiwan könnten sich ein Spin-Offs ergeben, welche die alteingesessenen Firmen herausfordern könnten.
Was für eine Rolle spielt Künstliche Intelligenz? Bei Sonova hatte das jüngst einen grossen Einfluss. Ist das positiv zu werten oder eine Gefahr?
Es ist generell noch zu früh, eine Einschätzung abzugeben. Es ist nicht klar definiert, was ist KI, was ist Machine Learning - wo ist da die Abgrenzung genau? Das ist klar ein Hype, aber wie man das und wo genau umsetzt, ist wahrscheinlich für einen mittelgrossen Medtech-Anbieter zu früh.