Die Rufe nach einem Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und den USA werden lauter. Sei es von der SVP-Nationalrätin und Ems-Chemie-Chefin Magdalena Martullo-Blocher (55) oder zuletzt auch vom ehemaligen Top-Diplomaten Thomas Borer (67). US-Präsident Donald Trump (78) wolle seinen Wählern gefallen, sagte er im Interview mit Blick. «Darunter hat es viele Landwirte, die Rindfleisch oder Soja produzieren und erwarten, dass er etwas für sie tut.» Die US-Bauern würden ihre Produkte sicherlich gerne ohne jede Einschränkung in die Schweiz liefern.
Die Uhr tickt: Trump hat seine Mega-Zölle am letzten Mittwoch für 90 Tage pausiert. Bis dahin hat die Schweiz Zeit, den US-Präsidenten von der Einführung eines Zollsatzes von 31 Prozent gegen die Schweiz abzubringen. Sollte die Schweiz also ein Freihandelsabkommen anstreben und alle Zölle und Regulierungen abbauen?
Pharma, Industrie und Finanzplatz als Gewinner
Beim Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) an der Universität Luzern favorisiert man einen solch ambitionierten Deal. «Ein Freihandelsabkommen würde alle Seiten am meisten bringen», sagt IWP-Ökonom Martin Mosler (34) zu Blick. Er ist Co-Autor einer neuen IWP-Studie und hat verschiedene Deals und deren Auswirkungen für die Schweiz unter die Lupe genommen.
Die Pharmabranche würde gemäss Berechnungen besonders stark vom Freihandel profitieren und um 8,8 Prozent wachsen. Auch der Maschinenbau, die chemische Industrie oder der Hightech-Sektor rund um Elektronik und Optik sollen deutlich zulegen. Im Dienstleistungsbereich erwartet das IWP einen Anstieg von bis zu 5,9 Prozent für den Finanz- und Versicherungssektor.
Bauern als Verlierer
Ein grosser Verlierer eines solchen Abkommens: die Schweizer Landwirtschaft. Deren Produktion würde um bis zu 1,6 Prozent schrumpfen, so das IWP. Bei einem realistischeren Szenario gehe man aber von einem Rückgang von weniger als einem Prozent aus, sagt Mosler. «Das ist natürlich nicht wünschenswert. Aber auch keine Dimension, bei der man die Bauern nicht für ihre Verluste kompensieren könnte.»
Derzeit verdient die Schweizer Exportbranche etwas mehr als jeden sechsten Franken in den USA. Mit einem Freihandelsabkommen könnten die Exporte gemäss IWP um 77 Prozent zulegen und die Schweizer Wirtschaft um 1,3 Prozent wachsen lassen. «Eine solche Wachstumsmöglichkeit dürfen wir uns nicht entgehen lassen. Legt die Landwirtschaft ihr Veto gegen ein mögliches Freihandelsabkommen ein, würde sie der ganzen Schweiz massiv schaden. Eine dann folgende Zolleskalation würde uns alle viel ärmer machen», so der IWP-Ökonom.
Der Blick in die Geschichte zeigt: Die letzten Verhandlungen für ein Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und den USA scheiterten vor knapp zehn Jahren an eben jener Landwirtschaft. Die USA wollten den Agrarsektor ins Abkommen integrieren. Die Schweizer Bauern leisteten Widerstand.
Das sagt der Bauernverband
Was sagt der Bauernverband heute? «Die Diskussionen um ein Freihandelsabkommen mit den USA sind rein spekulativer Natur. Die Zölle von Trump haben nichts mit der Schweizer Landwirtschaft zu tun», sagt Martin Rufer (48), Direktor des Schweizer Bauernverbands. Der einzige Bezug der Zölle zur Landwirtschaft sei, dass die angedrohten Zölle über 31 Prozent auf einer «Milch-Büechli-Rechnung» basiere und Milch ein Landwirtschaftsprodukt sei. «Es ist daher falsch und nicht sachgerecht, wenn nun über Deals im Landwirtschaftsbereich orakelt wird», so Rufer.
Doch es ist kaum vorstellbar, dass die Schweiz die US-Zölle allein mit Dialog und ohne Zugeständnisse abwenden kann. Ist die Lockerung der Handelshemmnisse im Agrarbereich Teil eines Deals, könnte das den US-Präsidenten besänftigen. Deshalb forderte SP-Urgenstein Peter Bodenmann (73) jüngst, dass die Agrarzölle als «symbolische Opfergabe für Trump» fallen sollen. Die «absurd hohen Landwirtschaftszölle sollten wir endlich abschaffen», schrieb er in einer «Weltwoche»-Kolumne.
Müsste die Landwirtschaft also Hand bieten für einen Deal? Beim Bauernverband duckt man sich bei konkreten Fragen hierzu weg. «Zu Freihandelsabkommen hat die Landwirtschaft eine generelle Haltung: Sensible Produkte sind auszunehmen und Konzessionen sind innerhalb der WTO-Kontingente zu machen», so Rufer.