Im Wirtschaftsleben ist alles bis ins kleinste Detail reguliert. Doch ausgerechnet im grössten Wachstumsmarkt bei Investments – den nachhaltigen Anlagen – fehlen nach wie vor klare Regeln.
Denn weder in der Schweiz noch in der Europäischen Union existiert eine klare Regulierung dessen, was «nachhaltiges Anlegen» genau ist, noch gibt es eine Definition von «Greenwashing». Dies hat zur Folge, dass Produktanbieter Fonds als «grün» vermarkten, die es in Tat und Wahrheit nicht sind.
Das führt zu abstrusen Entwicklungen: Denn mangels eines staatlichen Labels haben sich die Offenlegungsvorschriften der EU de facto als Nachhaltigkeitslabel etabliert: Die Rede ist von der «Sustainable Finance Disclosure Regulation» (SFDR). «Die SFDR ist aber nicht als Nachhaltigkeitslabel gedacht und eignet sich auch nicht dazu», sagt Sabine Döbeli, Geschäftsführerin des Branchenverbandes Swiss Sustainable Finance. Diese Zweckentfremdung führt nun zunehmend zu Problemen.
Die SFDR-Regeln sehen vereinfacht gesagt vor, dass Fondsanbieter darlegen müssen, ob und wie sie Nachhaltigkeitsrisiken bei ihren Investitionsentscheidungen einbeziehen.
Auf- und Abstufungen von Produkten verwirren
Dabei gibt es drei Kategorien: Produkte nach Artikel 6 der Verordnung sind solche, welche Nachhaltigkeitskriterien lediglich berücksichtigen. Produkte nach Artikel 8 gelten als solche, die ökologische und soziale Merkmale fördern und ESG-Kriterien als Teil des Anlageprozesses berücksichtigen. Und Produkte nach Artikel 9 wollen ein nachhaltiges Ziel erreichen und zielen daher neben der Rendite auch auf Nachhaltigkeitsergebnisse ab – entweder ökologisch oder sozial.
Anhand dieser Offenlegungen sollen Anlegerinnen und Anleger Produkte leichter vergleichen und besser entscheiden können, welcher Fonds zu ihren Bedürfnissen passt. Wichtig ist dabei, zu wissen, dass es die Anbieter selbst sind, die ihre Produkte in eine der drei Kategorien einordnen.
Dennoch hat sich diese Selbsteinstufung als eine Art Ersatzlabel für nachhaltige Anlagen etabliert, wie auch die Europäische Wertpapieraufsicht bereits kritisierte. Und jede neue Konkretisierung der Regeln führt nun zu neuen Auf- und Abstufungen von Produkten. Das sorgt für Verwirrung bei den Investorinnen und Investoren.
Neue Aussagen der EU wirbeln Einstufungen durcheinander
Ende vergangenen Jahres konkretisierte die EU, dass nur Fonds in die höchste Kategorie eingestuft werden dürfen, wenn die Anlagen des Fonds zu 100 Prozent nachhaltig investiert seien. Laut dem Datenanbieter Morningstar führte das dazu, dass über 300 Fonds mit einem Volumen von 170 Milliarden Euro in die Kategorie 8 heruntergestuft wurden. Denn die Anbieter fürchteten Klagen von Investoren und Investorinnen wegen möglicher Täuschungen.
Nun dürfte es in die andere Richtung gehen, denn Mitte April veröffentlichte die EU Antworten auf Fragen der europäischen Finanzaufsichten, die laut Analystinnen und Analysten wieder zu Hochstufungen von Fonds führen werden.
In dem neuen Schreiben heisst es, dass die SFDR-Regeln "keine Mindestanforderungen festlegen für (...) die Schlüsselparameter einer ‹nachhaltigen Investition›". Und weiter: "Die Finanzmarktteilnehmenden müssen für jede Investition eine eigene Bewertung vornehmen und die zugrunde liegenden Annahmen offenlegen."
Im Klartext: Ein Fondsanbieter muss selbst definieren, was er als nachhaltige Anlage ansieht und dann erklären, wie er zu dieser Einstufung kommt. Damit könnten sich auch passive Fonds, die einer Klima-Benchmark folgen, für die höchste Einstufung nach Kategorie 9 eignen.
Verpasste Chance
Einige Anbieter wie BNP Paribas Asset Management erwägen nun, die zuvor auf Artikel 8 heruntergestuften Produkte wieder in die Kategorie 9 hochzustufen. Andere Anbieter dürften folgen.
Doch das Hin und Her bei den Fondseinstufungen dürfte Investoren und Investorinnen nur verwirren und zudem die Kritik des Greenwashings verstärken.
Für Sabine Döbeli vom Branchenverband Swiss Sustainable Finance zeigt das Chaos mit den SFDR-Einstufungen, wie wenig sich das Regelwerk als Nachhaltigkeitslabel eignet. "Die EU hatte die Chance, einen Standard zu setzen, hat es aber bis heute nicht geschafft», so die Expertin.
Die Schweiz schickt ein eigenes Label ins Rennen
Im Rennen um ein Nachhaltigkeitslabel mischt auch die Schweiz mit. Das Finanzministerium hatte dazu im Juni ein neues Transparenzlabel namens "Swiss Climate Score"geschaffen. Der Einfachheit halber fokussiert dieses Label nur auf die Frage, wie klimafreundlich ein Produkt ist. Dieser Score umfasst sechs Indikatoren, fünf sind davon Pflicht: So muss ein Anbieter offenlegen, wie gross der CO2-Ausstoss der Firmen im Portfolio ist und wie gross der Anteil von Firmen aus den fossilen Sektoren wie Öl, Kohle oder Gas ist.
Erste Anbieter wie Globalance legen den Score für ihre Produkte bereits offen, aber noch scheint das Label kein Selbstläufer zu sein. Ob es sich international durchsetzt, ist mehr als fraglich. Denn im Rennen um die Normen geben weiterhin die grossen Player wie die EU und die USA den Takt an – egal, wie unsinnig deren Vorschriften manchmal sind.
Dieser Artikel erschien in der Handelszeitung unter dem Titel "Die EU sorgt für Chaos bei grünen Fonds."