Die Risikomanager der deutschen Kreditinstitute bereiten sich wegen der Energie-Krise und der drohenden Rezession auf ein düsteres Szenario vor: Sie erwarten einen 25-prozentigen Anstieg der notleidenden Kredite im kommenden Jahr auf ein Volumen von 37,6 Milliarden Euro, wie eine Erhebung der Bundesvereinigung Kreditankauf und Servicing (BKS) und der Frankfurt School of Finance & Management ergab. Besonders gefährdet sind laut der Umfrage Kredite an Verbraucher und an mittelständische Unternehmen. Dennoch geben sich die Bankvorstände und die Aufsichtsbehörden entspannt: Wegen der staatlichen Hilfsprogramme für insolvenzgefährdete Firmen sind für sie derzeit keine systemischen Risiken erkennbar.
"Die Banken haben das Alarmsignal mittlerweile deutlich aufgenommen, dennoch sitzen sie in einer sehr komfortablen Situation", erläutert BKS-Präsident Jürgen Sonder im Gespräch mit Reuters. "Sie rechnen damit, dass der Staat auch diesmal eingreifen wird, um eine Pleitewelle zu verhindern." Commerzbank-Finanzchefin Bettina Orlopp zeigte sich im Sommer zuversichtlich, dass es im Fall eines Gasstopps "irgendeine staatliche Massnahme geben wird" - und sie war nicht die Einzige. Die meisten deutschen Geldhäuser rechneten zur Vorlage ihrer Halbjahreszahlen im August damit, dass sich ihre Geschäftskunden auf Hilfsmassnahmen würden stützen können.
Uniper-Risiko der Banken von der KFW aufgefangen
Und sie haben recht: Mittlerweile schnürt die Bundesregierung das dritte Entlastungspaket, um Verbraucher und Unternehmen in der Energiekrise zu unterstützen. Es soll ein Volumen von 65 Milliarden Euro haben. Der Fall des kriselnden Gasimporteurs Uniper zeigt, wie Staatshilfen indirekt auch die Risiken der Banken minimieren. Der Konzern, der wegen seiner Abhängigkeit von russischem Gas und der explodierenden Energiepreise in Schieflage geriet, hat Kredite im Gesamtvolumen von 1,8 Milliarden Euro bei 16 Banken, darunter bei der Commerzbank, Deutsche Bank, BayernLB, Goldman Sachs und Morgan Stanley. Doch weil die staatliche Förderbank KfW Uniper einen Kredit über neun Milliarden Euro gewährte, müssen die Banken kaum Verluste befürchten.
Das Uniper-Szenario nährt die Hoffnung vieler Kreditinstitute, dass die Bundesregierung die in der Pandemie eingesetzten Staatshilfen in der aktuellen Wirtschaftslage ebenfalls als Mittel sieht. Auch bei der Zahlung der im Stromhandel gängigen Sicherheiten, den sogenannten "Margin Calls" müssen die Banken nicht in die Bresche springen. Zu normalen Zeiten sind diese Zahlungen für die Energieversorger kein Problem, doch mit den stark gestiegenen Strom- und Gaspreisen sind sie in die Höhe geschossen. Um Liquiditätsengpässe zu vermeiden, setzte die KfW ein Margining-Kreditprogramm von bis zu 100 Milliarden Euro auf, die der Bund mit einer Garantie unterlegt. Energieunternehmen haben einem Insider zufolge bereits mehrere Milliarden aus diesem Programm abgerufen.
Risiken für Banken wegen Staatshilfe schwer zu erkennen
Die Finanzaufsicht und die Bundesbank beobachten die Lage intensiv und versuchen, die angemessene Risikovorsorge für Finanzinstitute zu identifizieren. Das sei gar nicht so einfach, hatte Bafin-Chef Mark Branson Anfang September auf einer Konferenz zugegeben: "Kreditrisiken zu prognostizieren ist angesichts des unbekannten Ausmasses staatlicher Hilfsprogramme schwierig." Noch sind die Aufsichtsbehörden aber offenbar relativ entspannt. Einem Insider zufolge sehen sie derzeit kein systemisches Risiko und keine Ansteckungseffekte im Finanzsystem. Die Energiekrise habe bisher keinen besonderen Liquiditätsdruck bei den Kreditinstituten ausgelöst.
Es gibt auch andere Gründe, warum bei den grossen Banken keine Alarmglocken läuten. Den Geldhäusern hierzulande helfe die gute Ausgangslage, erklärt S&P-Analyst Harm Semder. Die Corona-Risiken für Banken seien nicht wie erwartet eingetreten. "Viele Institute haben also ihre Risikovorsorge neu zugeteilt, um der verschlechternden Wirtschaftslage Genüge zu tun." Es kommt auch ein anderer Puffer hinzu: "Der Verschuldungsgrad von Privathaushalten und Unternehmen in Deutschland ist insgesamt deutlich niedriger als in anderen Ländern," erläutert Semder. Christoph Schalast, Professor an der Frankfurt School of Finance, schätzt, dass der Anteil notleidender Kredite aktuell in der Regel signifikant unter einem Prozent liege.
Um diese Quote auch möglichst niedrig zu halten, sind Banken mit ihrer Kreditvergabe vorsichtiger geworden. "Als CEO oder Risikovorstand einer Bank würde ich mich nicht darauf verlassen, dass der Staat wieder flächendeckend allen helfen wird – auch weil die Entlastungspakete nicht annähernd dem gerecht werden, was notwendig wäre", warnt BKS-Präsident Sonder. "Die gleiche Dimension an flächendeckenden staatlichen Hilfsprogrammen wie zu Pandemie-Zeiten wird es nicht geben."
(Reuters)