Noch vor kurzer Zeit war es das Horrorszenario der Autoindustrie: Ein gesetzlich verordnetes Ende von Verbrennungsmotoren als wichtiges Mittel im Kampf gegen den Klimawandel. Doch: "Das Verbrennerverbot hat seinen Schrecken für die Autobauer verloren", sagt Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer vom Center Automotive Research. "Die neue Welt der Elektromobilität entsteht - je schneller sich die Hersteller darauf einstellen, umso mehr Punkte können sie im internationalen Wettbewerb sammeln."

Damit geht eine über 150 Jahre lange Ära mit den Gründervätern und Erfindern des Autos Gottlieb Daimler und Carl Benz zu Ende, an der beispielsweise die Erfolgsgeschichte der wichtigsten Industrie in Deutschland hing. Doch diese stellt sich schon seit Jahren mit Milliardeninvestitionen auf emissionsfreie Antriebe um.

Die EU-Kommission schlug am Mittwoch vor, die Kohlendioxid-Emissionen (CO2) von Neuwagen ab 2035 um 100 Prozent zu reduzieren. Ab dann werden also keine Autos mehr zugelassen, die mit einem herkömmlichen Benzin- oder Dieselmotoren fahren, und auch keine Plug-in-Hybride, die Elektromotor und Verbrenner verbinden. Als Schritt hin auf dieses Ziel darf die Neuwagenflotte in der EU schon ab 2030 im Schnitt nur noch mit knapp 43 Gramm CO2 pro Kilometer das Klima belasten, 55 Prozent weniger als heute.

In Erwartung der schärferen Klimaschutzregeln haben sich fast alle Autobauer in Europa in den vergangenen Monaten höhere Absatzziele für reine Elektroautos bis 2030 gesetzt. Marktführer Volkswagen nannte den Zeitraum 2032 bis 2035 als letzte Phase des Verkaufs von Verbrenner-Pkw seiner Hauptmarke VW in Europa. Opel will schon ab 2028 eine reine Elektromarke sein.

Patrick Hummel, Autoanalyst der UBS, hält das gesetzliche Verbot für den richtigen Schritt. "Das macht dem letzten Marktteilnehmer klar, wohin die Reise geht", sagt er. Die Vorgabe schaffe mehr Investitionssicherheit in emissionsfreie Antriebstechnik, während die Mittel für die Verbrennertechnik heruntergefahren werden könnten. "Das hilft, den Übergang ins neue Zeitalter zu meistern."

Renditeproblem entschärft

Elektroautos sind wegen der Batterie in der Herstellung teurer als Verbrenner, für ihre Produktion werden zugleich viel weniger Beschäftigte gebraucht - vor allem aus diesen Gründen stand die deutsche Autoindustrie lange auf der Bremse und liess sich vom US-Elektroautopionier Tesla vormachen, dass E-Autos keine lahmen Enten für Ökofreaks sind. Volkswagen, Daimler und BMW kamen an der Börse unter Druck, weil die Transformation die Gewinnspanne drückt.

Doch dieses Problem hat sich entschärft. "Die Batterietechnik macht einen Sprung nach vorne, die Kosten sinken. So löst sich das Problem mit der niedrigen Profitabilität von E-Autos Stück für Stück", sagt Dudenhöffer. Staatliche Kaufanreize tragen in vielen Märkten dazu bei, die Kostenschere zu schliessen. "Das Problem löst sich schneller als früher erwartet durch die Produktion grosser Stückzahlen auf reinen Elektro-Plattformen", erklärt Hummel.

VW-Chef Herbert Diess erwartet deshalb in den nächsten zwei, drei Jahren für E-Autos die gleiche Rendite wie für Verbrenner. Die Ertragslage der Autobauer werde noch einige Jahre angespannt bleiben, gegen Ende des Jahrzehnts aber wieder ein Niveau von rund zehn Prozent Umsatzrendite erreichen, schätzt Dudenhöffer. Auch der Druck von der Börse lässt nach. "Die Investoren akzeptieren vorübergehend niedrigere Renditen, solange ein Unternehmen eine klare Strategie hat und langfristig zu den Gewinnern gehören wird", sagt Hummel.

Ruf nach dem Staat

Während die Autobauer die Lage nach Einschätzung der Experten im Griff haben, gilt das für viele Zulieferer - vor allem kleine, stark auf Verbrennerkomponenten spezialisierte - nicht. Hier befürchtet die deutsche Gewerkschaft IG Metall die grössten Verwerfungen durch Arbeitsplatzabbau, der nur zum Teil von neu entstehenden Unternehmen wie Batteriefabriken aufgefangen werden kann.

Die Zulieferer hätten wegen der trüben Aussichten Finanzierungsprobleme, erklärte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann kürzlich auf einer Konferenz. "Sie ballen sich in manchen Regionen. Und dann kommen nicht nur einzelne Unternehmen, sondern ganze Regionen ins Trudeln, wenn die wirtschaftliche Kraft für Investitionen in neue Geschäftsmodelle fehlt." Die Gewerkschaft fordert deshalb, den Strukturwandel mit staatlichen Geldern, wie zum Teil auch schon beschlossen, zu flankieren.

Nach den Steuerzahlern wird auch gerufen, wenn es um eine weitere wichtige Voraussetzung für Elektromobilität geht - die Ladeinfrastruktur. Von deren Ausbau sei abhängig, wie gut die Autobauer mit dem Verbrennerende leben könnten, sagt Stefan Bratzel, Chef des Center of Automotive Management. "In Westeuropa ist das schon ganz vernünftig, in Osteuropa sieht das noch dünn aus." Es werde viel mehr Schnelllade-Infrastruktur gebraucht, die Bezahlmethoden und die technischen Anforderungen müssten einheitlich sein. Hier gebe es noch viel zu tun. "Ich glaube, das ist leistbar. Aber die Politik darf nicht immer nur Ziele setzen und dann alles laufen lassen wie bisher", mahnt Bratzel.

Der Staat müsse höhere Milliardenbeträge ausgeben und massiv in die Infrastruktur investieren. Das Enddatum für Verbrennungsmotoren verstärke den Druck, dass sich die EU und die Mitgliedstaaten mit um den Aufbau der Ladeinfrastruktur kümmern müssten, sagt UBS-Analyst Hummel. "Es kann nicht sein, dass die Automobilhersteller allein die Stromtankstellen aufbauen müssen."

(Reuters/cash)