Bei vielen Wahlkämpfern in Ostdeutschland schrillten sofort die Alarmglocken, als die Bundesregierung die Stationierung von US-Langstreckenwaffen in Deutschland ab 2026 bekanntgab. Parteiübergreifend werden der Ukraine-Krieg und die militärischen Folgen mittlerweile als dominierendes überregionales Thema für die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im September angesehen.

«Die Menschen haben einfach Angst, dass sich dieser Krieg ausbreitet», sagt die sächsische SPD-Spitzenkandidatin Petra Köpping. «Die Stationierung von Langstreckenwaffen beeinflusst diese Ängste natürlich», fügt sie hinzu - zumal der Kreml droht, dass Länder wie Deutschland dadurch zu einem möglichen Ziel russischer Raketen würden.

Vor allem die Parteien an den Rändern wie die Alternative für Deutschland (AfD) und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) wittern ihre Chance. Sehr schnell warnten AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla als auch BSW-Chefin Sahra Wagenknecht vor einer Eskalation in den Beziehungen mit Russland.

Dabei werde bewusst unterschlagen, dass Russland stark aufrüste, die Ukraine überfallen habe und längst deutsche Städte etwa mit in Kaliningrad stationierten Atomraketen bedrohe, warnen mehrere Ost-Spitzenpolitiker von SPD und CDU übereinstimmend. Mit Blick auf die heisse Phase der Wahlkämpfe wollen sie nicht genannt werden, weil sie in einer vergifteten Atmosphäre schnell als «Kriegstreiber» beschimpft würden.

Die Stationierung der US-Waffen sei dabei nur das letzte Element, das die Stimmung im Osten umschlagen lasse. Andere seien die monatelangen Debatten über Waffenlieferungen an die Ukraine und die Bemerkung von Verteidigungsminister Boris Pistorius, dass Deutschland «kriegstüchtig» werden müsse. Dass die Ampel-Regierung wegen der Nato-Selbstverpflichtung, zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben, einen Wehretat von 80 Milliarden Euro 2028 anpeilt, wird von Linken und BSW prompt als «Aufrüstung» kritisiert.

Bündnis Sahra Wagenknecht holt auf

Seit Monaten warnen ostdeutsche Politiker von CDU und SPD hinter den Kulissen, dass man in Berlin völlig verkenne, wie unterschiedlich die Botschaften in der Ukraine-Politik in verschiedenen Teilen Deutschlands ankommen - und welch grossen Einfluss der Krieg und die Folgen auf Stimmung und Wahlen hätten. Dort lag die AfD laut Umfragen ohnehin vorne. Aber nun holt die selbsterklärte «Friedenspartei» BSW ebenfalls stark auf und kommt in den drei Ostländern auf 15 bis 20 Prozent - obwohl sie bundesweit laut ZDF-Politbarometer bei sieben Prozent verharrt.

«Der Ukraine-Krieg ist wirklich ein Thema, bei dem es fundamentale Ost-West-Unterschiede in den Einstellungen gibt», sagt Forsa-Geschäftsführer Peter Matuschek. So gab es in allen Umfragen der vergangenen Monate in den neuen Bundesländern eine deutlich höhere Ablehnung von Waffenlieferungen.

CDU-Wahlkämpfer bremsen Parteichef Merz

Umso energischer drängen CDU-Wahlkämpfer Parteichef Friedrich Merz hinter den Kulissen, dass er beim Thema Waffenlieferungen Kanzler Olaf Scholz nicht noch überholen sollte. Die Entschliessungsanträge der Unionsbundestagsfraktion zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern gelten in Dresden, Potsdam und Erfurt in der CDU als Fehler. Zwar betont Merz öffentlich, dass sich seine entschiedene Haltung zur Unterstützung der Ukraine nicht geändert habe - aber beim Thema Waffenlieferungen ist er merklich ruhiger geworden.

Auffallend ist, dass Grüne und FDP, die in Berlin Kanzler Scholz eine zu zögerliche Haltung bei Waffenlieferungen vorgeworfen hatten, in den drei ostdeutschen Ländern so gut wie keine Rolle mehr spielen. Auch sie werden vom BSW als «Kriegstreiber» tituliert. Die Grünen liegen in Brandenburg bei sieben, in Sachsen bei fünf bis sieben und in Thüringen bei vier Prozent. Die FDP dürfte mit gemessenen Werten von zwei bis drei Prozent in keinen der drei Landtage mehr einziehen.

«Friedenskanzler» zieht nicht im Osten 

Die Europawahl hat gezeigt, dass die Kanzlerpartei SPD ein besonderes Problem hat. Denn die Plakatierung mit dem «Friedenskanzler» Scholz zog nicht, weil er gleichzeitig international einer der Hauptantreiber für Waffenlieferungen an die Ukraine ist. «Das ist natürlich auch die richtige Politik. Aber der Kanzler sollte gleichzeitig mehr über Friedensverhandlungen reden und immer wieder klarmachen, dass diese an Russland scheitern», sagt ein führender ostdeutscher Sozialdemokrat. Es ist auch ein Kampf der Begriffe: Das BSW redet von «Aufrüstung», die SPD von «Nachrüstung». Pistorius hat die «Kriegstüchtigkeit» in den vergangenen Tagen nicht mehr wiederholt und redet nun wie der Kanzler von «Verteidigungsfähigkeit».

Als Ampel-Partei wird die SPD zudem dafür verantwortlich gemacht, dass die Ukrainer Leistungen aus dem Bürgergeld bekommen. Das komme gerade in Ostdeutschland mit den dortigen niedrigeren Löhnen schlecht an, räumt ein anderer ostdeutscher Sozialdemokrat ein.

Russland-Nostalgie

Mittlerweile rätselt das Führungspersonal von SPD und CDU, wieso man im Osten überhaupt mit einer Art Russland-Verklärung punkten kann. Zum einen wird dies biografisch erklärt: «Es war keineswegs so, dass alle DDR-Bürger wirklich schlechte Erfahrungen mit den sowjetischen Besatzungssoldaten gemacht hatten - die Kontakte waren zudem regional je nach Vorhandensein von Kasernen sehr unterschiedlich», sagt ein CDU-Politiker.

Zum anderen wird darauf verwiesen, dass viele Westdeutsche jahrzehntelang mit der Bedrohung durch die Sowjets aufwuchsen, während in der DDR der Antiamerikanismus gepflegt wurde. Forsa-Geschäftsführer Matuschek verweist darauf, dass schon im Jahr 2020 in einer Befragung überdurchschnittlich viele Ostdeutsche und AfD-Wähler angaben, dass die US-Truppen ganz aus Deutschland abziehen sollten.

Drittens wird auf die evangelische Kirche im Osten verwiesen. Die habe zwar beim Sturz des DDR-Regimes eine wichtige Rolle gespielt, gleichzeitig aber mit Parolen wie «Schwerter zu Pflugscharen» oder «Frieden schaffen ohne Waffen» einen naiven Pazifismus verbreitet, kritisiert ein Ost-Ministerpräsident. «Das wirkt noch heute nach - und nutzt nun AfD und BSW.»

(Reuters)