Die Schweizerische Nationalbank (SNB) wird nach Einschätzung von Ökonomen voraussichtlich am Donnerstag ihre Geldpolitik weiter lockern. 30 von 32 von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Finanzmarktexperten erwarten, dass die Notenbank den Leitzins am Donnerstag um 0,25 Prozentpunkte auf 1,00 Prozent senken wird - der Markt erwartet im Schnitt eine Senkung um 36 Basispunkte.

Während ein solcher Schritt der US-Zentralbank (Fed) üblicherweise zu Bewegungen am Aktienmarkt führt, indem die Finanzierungskosten sinken, die Bewertung aufgrund der Diskontierung verändert wird und konjunkturelle Impulse gesetzt werden, ist die Ausgangslage bei der SNB weniger eindeutig und Experten vertreten nicht eine klare Meinung. Was nicht heisst, dass die Bewertungen von an der Schweizer Börse gelisteten Aktien unberührt bleiben.

Beat Pfiffner, Analyst bei der Schwyzer Kantonalbank, sieht beispielsweise keine Aktien, die nach Zinssenkungen der SNB wiederholt deutlich outperformt haben. «Indirekt könnten Immobilienaktien wie SPS und PSP profitieren, falls dank den Zinssenkungen das Zinsniveau auch am langen Ende sinkt», fügt der Experte aber hinzu.

Denn Immobiliengesellschaften finanzieren sich hauptsächlich über langfristige Anleihen. Bei tieferen Langfristzinsen können sie sich günstiger refinanzieren. Zudem sind bei tieferen Langfristzinsen Obligationen weniger attraktiv, wodurch Immobilienaktien als Bond-Ersatz interessanter werden. Allerdings sind die Schweizer Langfristzinsen bereits deutlich gesunken, bevor die SNB den Leitzins gesenkt hat. 

Tatsächlich haben sich beide erwähnten Titel - SPS und PSP - von ihren Tiefs im Mai 2023 entfernt und sich gegenläufig zur Rendite der 10-jährigen Bundesobligationen aufwärts entwickelt:

Von sinkenden Zinsen profitieren auch sogenannte «Long-Duration»-Sektoren. Dazu gehören beispielsweise Unternehmen aus den Branchen Telekommunikation und Versorgung (Energie und Wasser). Diese Unternehmen haben aufgrund ihrer hohen fixen Investitionen in der Regel auch relativ hohe Schulden. Tiefere Zinsen führen entsprechend zu niedrigeren Refinanzierungskosten und damit zu höheren Margen. In der Schweiz sind in diesem Zusammenhang insbesondere Swisscom und BKW zu erwähnen.

Zinssenkungen und Softlanding?

Fabienne Hockenjos, Anlagechefin der BLKB, erwartet sowohl bei der morgigen Sitzung als auch im Dezember einen weiteren Zinsschritt um 25 Basispunkte. Entgegen den Markterwartungen sieht sie die Terminal-Rate bei 0,75 Prozent dann jedoch als erreicht. Einen dritten Zinsschritt hält sie für weniger realistisch. Dies hängt jedoch stark von der Aggressivität des Zinssenkungspfads der US-Notenbank und der Europäischen Zentralbank sowie von der Reaktion des Schweizer Frankens auf das zu erwartende erweiterte Zinsdifferenzial ab.

«Angesichts der erwarteten Zinsschritte in den USA und in der Eurozone - wir rechnen bis zum Jahresende jeweils mit zwei weiteren Reduktionen um 25 Basispunkte seitens der Fed und der EZB - dürfte die SNB nach dem morgigen Zinsschritt im Dezember einen letzten Zinsschritt auf 0,75 Prozent vornehmen», prognostiziert auch Thomas Fischer, Anlagechef der Berner Kantonalbank. Die Markterwartungen deuten für das nächste Jahr auf eine weitere Zinssenkung hin, könnten diesbezüglich jedoch enttäuscht werden.

Welche Aktien von den Zinssenkungen profitieren, hängt auch stark davon ab, ob diese von einer Rezession und einem entsprechenden Risk-Off-Sentiment begleitet werden oder ob eine sanfte Landung realisiert werden kann. Hockenjos geht derzeit davon aus, dass ein Softlanding gelingen kann. In diesem Szenario dürften Wachstumsaktien von den tieferen Diskontierungssätzen profitieren. In diese Kategorie fallen in der Schweiz Unternehmen wie VAT, Comet, Lonza, Bachem und Straumann. Ebenfalls profitieren könnte Swiss Life aufgrund ihres Immobilienportfolios. Tiefere Fremdkapitalkosten dürften zudem für den Privatmarktspezialisten Partners Group von Vorteil sein. 

Anlagenotstand wegen negativer Realzinsen

Matthias Geissbühler, Anlagechef der Raiffeisen, legt hingegen den Schwerpunkt auf die Realzinsen: Mit der erwarteten Leitzinssenkung dürften auch die Geschäftsbanken ihre Sparzinsen weiter reduzieren. Nach Abzug der Inflation führt dies aufgrund von negativen Realzinsen zu einem erneuten Kaufkraftverlust bei Sparguthaben. Dies gilt auch für Investitionen in Schweizer Staatsanleihen, die derzeit über sämtliche Laufzeiten eine Rendite von weniger als 0,4 Prozent abwerfen. «Dieser Zinsrutsch führt bereits wieder zu einem Anlagenotstand bei Anlegerinnen und Anlegern», so Geissbühler.

Von tiefen oder negativen Realzinsen profitieren vor allem Aktien mit hoher Dividendenrendite. Dazu gehören Werte wie Swisscom, Roche, Novartis, Nestlé, Zurich Insurance und Swiss Life. «Diese Blue Chips werden oft auch als ‹Bond-Ersatz› bezeichnet, obwohl dieses Prädikat aufgrund der deutlich höheren Volatilität nur bedingt zutreffend ist», sagt der Raiffeisen-Anlagechef gegenüber cash.ch. Die genannten Aktien seien aber grundsätzlich kaufenswert, insbesondere weil sie auch über defensive Qualitäten verfügen, die im aktuellen schwachen Konjunkturumfeld von Vorteil sind.

In Zinssenkungsphasen, die wir «späte Schwächephasen» nennen, profitieren in der Regel die zyklischeren Märkte stärker. Besonders der US-Markt hat dank Technologie- und zyklischen Konsumwerten gute Karten. Der Schweizer Aktienmarkt hat grundsätzlich einen defensiven Charakter, weist im Vergleich zum US-Aktienmarkt - gemessen am Shiller-KGV - jedoch einen historisch hohen Abschlag auf. «Die (zu) tiefen Obligationenrenditen werden beim Ausbleiben einer Entspannung zu einem neuen Anlagenotstand führen. Schweizer Dividendentitel dürften deshalb als teilweiser Obligationenersatz wieder Aufwind erfahren», sagt auch Fischer.

Qualität, Defensive, Dividende

Neben Swisscom hält Frank Plüss, Finanzanalyst bei der Berner Kantonalbank, auch Nestlé und Helvetia für spannend. Bei Nestlé wurde die Dividende seit 1959 nie gekürzt und in den letzten 29 Jahren jährlich gesteigert. Die erwartete Dividendenrendite beträgt rund 3,7 Prozent. Seit dem Aktienhöchststand gegen Ende 2021 hat der Titel über 35 Prozent eingebüsst. «Das Unternehmen ist jedoch in vielen Segmenten globaler Marktführer und solide finanziert. Der Einstiegszeitpunkt erscheint jetzt günstig», so das Resümee.

Der Versicherungskonzern Helvetia zahlt seit 1863 ununterbrochen eine Dividende. Helvetia ist hervorragend kapitalisiert - die geschätzte SST-Quote betrug per Ende Juni 2024 rund 300 Prozent - und hat in den letzten Jahren die Dividende mehrmals erhöht. Plüss erwartet weiterhin steigende Dividendenausschüttungen mit einer erwarteten Rendite von rund 5 Prozent. Auch der Aktienkurs sei nach oben noch nicht ausgereizt.

Kursentwicklung der Aktien von Helvetia.

«Im Falle einer Rezession dürften vor allem defensivere Aktien mit attraktiven und nachhaltigen Dividendenrenditen gesucht sein», fügt Hockenjos an. Dazu zählen Pharmawerte wie Roche und Novartis oder der Nahrungsmittelkonzern Nestlé. Ebenfalls auf Interesse stossen könnte in diesem Umfeld Swisscom. Für eher vorsichtige Anleger könnte daher ein guter Zeitpunkt sein, gerade defensive Dividendentitel zu kaufen. Der Anlagenotstand führt so oder so wohl zu einem Rückenwind und bei einem Rezessions-Szenario ist man zusätzlich im Vorteil.

Gedämpfte Frankenstärke?

Auch auf einer anderen Front könnten sich Profiteure ergeben: Wenn nämlich die Frankenstärke gedämpft wird. Zu den relativen Gewinnern zählen hierbei laut Pfiffner von der Schwyzer Kantonalbank Exporteure wie VAT, Ems oder Emmi. Allerdings sei der Franken nur einer von vielen Faktoren, die für diese Unternehmen relevant sind. Viel wichtiger sei die Entwicklung in ihrem operativen Geschäft.

Für eine Dämpfung der Frankenstärke wäre allerdings wohl eine Zinssenkung um 50 Basispunkte notwendig. Kurzfristig könnte in diesem Szenario der Euro laut einem Bericht der UBS auf 0,9580 Franken steigen, doch schlussendlich das hauseigene Jahresendziel von 0,93 Franken anstreben. Eine für den Eurokurs günstige Saisonalität im vierten Quartal, Positionierungen, Devisenabsicherungsströme, EU- und geopolitische Risiken sowie gemischte Aussichten für Devisenmarktinterventionen tragen alle zu dieser Einschätzung bei. Im Falle einer Senkung um 25 Basispunkte könnte das Jahresendziel sogar frühzeitig erreicht werden, was die Frage nach den relativen Aktien-Gewinnern obsolet machen würde.

ManuelBoeck
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